Nichterfüllung des Luftbeförderungsvertrags
Eine Verletzung dieser Pflichten haben die Berufungsgerichte in den Streitfällen jedoch nicht festgestellt. Der jeweils zugesprochene Schadensersatzanspruch beruht vielmehr allein auf nationalem deutschem Recht, nämlich der Nichterfüllung des Luftbeförderungsvertrags durch die Annullierung des gebuchten Flugs. Ob nach Art. 12 der Verordnung in einem solchen Fall eine wechselseitige Anrechnung von Ausgleichs- und Schadensersatzansprüchen in Betracht kommt, sieht der Bundesgerichtshof als ungeklärt an.
Sollte eine Anrechnung grundsätzlich möglich sein, ist des Weiteren ungeklärt, ob zwischen den Kosten der Ersatzbeförderung zum Endziel der Flugreise und weiteren Kostenpositionen, die in beiden Verfahren von den Klägern geltend gemacht worden sind (Weiterreise nach Civitavecchia im ersten Fall, nutzlos aufgewendete Hotelkosten im zweiten), zu differenzieren ist. Art. 5 der Verordnung könnte zu entnehmen sein, dass das Luftverkehrsunternehmen neben der Ausgleichszahlung lediglich zur vollständigen Erstattung der Art. 8 und 9 der Verordnung unterfallenden Kostenpositionen verpflichtet sein soll.
Die Anrechnung könnte aber auch hinsichtlich sämtlicher Kostenpositionen ausgeschlossen sein, da der nach den Entscheidungen des Gerichtshofs mit der Ausgleichszahlung verfolgte Zweck, infolge des Zeitverlusts eingetretene Unannehmlichkeiten auszugleichen, eine solche Differenzierung nicht zwingend erfordert, wenn die Reisenden - wie in den Streitfällen - auch mit dem Ersatzflug erst mit erheblicher Verspätung am Endziel angekommen sind.
Kulanzleistung
Sollte - jedenfalls teilweise - eine Anrechnung des Schadensersatzanspruchs auf den Ausgleichsanspruch möglich sein, ist schließlich zu klären, ob das Luftverkehrsunternehmen die Anrechnung ohne weiteres vornehmen kann oder ob sie von weiteren Voraussetzungen abhängig ist. In Betracht kommen drei Möglichkeiten: 1. Das Luftverkehrsunternehmen kann ein Recht zur Anrechnung haben; der Verzicht hierauf wäre dann eine Kulanzleistung. 2. Die Frage der Anrechenbarkeit ist - ebenso wie die Gewährung eines weitergehenden Schadensersatzanspruchs selbst (Art. 12 Satz 1 der Verordnung) - der Entscheidung des nationalen Gesetzgebers vorbehalten. 3. Die Gerichte entscheiden über die Anrechnung im Einzelfall unter Berücksichtigung sich aus dem Unionsrecht (der Verordnung) ergebender Wertungen.
Sollte über die Anrechnung nach nationalem Recht zu entscheiden sein, kommt es schließlich darauf an, welche Beeinträchtigung die Ausgleichszahlung nach Art. 7 der Verordnung kompensieren soll. Denn nach deutschem Recht könnten Ersatzleistungen für den materiellen Schaden auf immaterielle Nachteile nicht angerechnet werden und umgekehrt. Daher schiede eine Anrechnung aus, wenn die Ausgleichszahlung nach Art. 7 der Verordnung nur dem Ausgleich immaterieller Schäden diente, da demgegenüber mit den von den Klägern geltend gemachten Schadenersatzansprüchen Vermögensschäden ausgeglichen werden.
Klarmann empfiehlt, den Ausgang zu beachten und bei Fragen auf jeden Fall rechtlichen Rat in Anspruch zu nehmen, wobei er dabei u. a. auch auf die DASV Deutsche Anwalts- und Steuerberatervereinigung für die mittelständische Wirtschaft e. V. (www.mittelstands-anwaelte.de) verweist. (oe)
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Jens Klarmann, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Arbeitsrecht und DASV-Landesregionalleiter "Schleswig-Holstein", c/o Passau, Niemeyer & Collegen, Kiel, Tel.: 0431 974300, E-Mail: j.klarmann@pani-c.de, Internet: www.pani-c.de