Tomaten, Einweg-Handschuhe und Smartphones: Hinter diesen Produkten steckt immer wieder Zwangsarbeit. Fast 28 Millionen Menschen weltweit gelten der Europäischen Kommission zufolge als moderne Sklaven. Dagegen will die Behörde vorgehen. Ein am Mittwoch vorgestellter Gesetzesentwurf soll künftig etwa den Import und Export sowie den Verkauf von Produkten, die nachweislich unter Zwangsarbeit hergestellt wurden, in der EU verbieten. Den einzelnen Staaten soll damit ermöglicht werden, entsprechende Produkte aus dem Verkehr zu ziehen.
"Diese Verordnung wird bei der Bekämpfung der modernen Sklaverei, von der Millionen von Menschen auf der ganzen Welt betroffen sind, einen echten Unterschied machen", sagte der Handelskommissar Valdis Dombrovskis. Die Kommission nennt unter anderem die Landwirtschaft, Minen und die Textilindustrie als Branchen, in denen Fälle moderner Sklaverei häufig gemeldet werden.
Der Vorschlag der EU-Kommission sieht vor, dass nationale Behörden Ermittlungen zu Produkten aufnehmen müssen, die im Verdacht stehen, unter Zwangsarbeit hergestellt worden zu sein. Beweise können der Kommission zufolge Berichte von Nichtregierungsorganisationen sein oder auch Videos und Zeugenaussagen von Betroffenen. Erhärtet sich der Verdacht, dürfen die Produkte gar nicht erst auf den Markt oder müssen von den nationalen Behörden umgehend abgesetzt und entsorgt werden. Die Kommission will die Länder mit einer Plattform unterstützen, in der Erkenntnisse über einzelne Produkte gebündelt werden.
Der Sprecher der Nichtregierungsorganisation European Coalition for Corporate Justice (ECCJ) sieht aber auch Schwächen im Vorschlag der Kommission. Die Organisation setzt sich etwa dafür ein, dass europäische Unternehmen Verantwortung in Fragen der sozialen Gerechtigkeit übernehmen müssen. Kritisiert wird, dass Opfer von Zwangsarbeit in globalen Wertschöpfungsketten nicht entschädigt werden. Möglich sei es - das zeige ein ähnliches Gesetz in den USA.
Wegen Verstößen gegen Menschenrechte ist etwa das Exportland China schon lange im Fokus. Zuletzt hatte etwa das UN-Menschenrechtsbüro in einem Bericht erhebliche Vorwürfe gegen das Land wegen seines Umgangs mit der muslimischen Minderheit der Uiguren erhoben. Diese und andere Randgruppen würden etwa zur Arbeit verpflichtet. Auch in anderen Teilen der Welt - unter anderem in Europa - werden manche Arbeiter etwa auf dem Feld, auf dem Bau oder in der Prostitution nach Angaben von Nichtregierungsorganisationen als moderne Sklaven ausgebeutet. Die Liste ist lang.
Neben den von der Kommission benannten 27,6 Millionen Zwangsarbeitern weltweit gibt es weitere 22 Millionen, die etwa in erzwungenen Ehen leben und dort vor allem als Hausbedienstete ausgenutzt werden. Das geht aus einem am Montag veröffentlichten Bericht der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO), der Organisation für Migration (IOM) und der Walk Free-Stiftung, die sich gegen Sklaverei engagiert, hervor.
EU-Beamte hatten vorab darauf hingewiesen, dass sich die Verordnung explizit nicht gegen einzelne Firmen oder Regionen richte, sondern gegen konkrete Produkte. Dabei sei es unerheblich, welcher Anteil eines Produkts in Zwangsarbeit hergestellt wurde. Hingegen ist Zwangsarbeit im Dienstleistungssektor vom Gesetzesvorschlag nicht erfasst.
Der ECCJ-Sprecher sagte, dass Zwangsarbeit wegen dieses Gesetzesentwurfs daher wohl nicht abgeschafft werde. Außerdem gebe es strukturelle Schwierigkeiten, überhaupt an Daten zu kommen: "Wie sollen EU-Behörden, Nichtregierungsorganisationen und Gewerkschaften Zwangsarbeit in globalen Wertschöpfungsketten von EU-Unternehmen aufdecken, wenn die Daten dieser Lieferketten weder erfasst noch öffentlich zugänglich gemacht werden?"
Der Vorschlag der Kommission wird vermutlich auch Auswirkungen auf die Wirtschaft haben. Dominik Enste vom Institut der deutschen Wirtschaft betont, dass es für Unternehmen langfristig ohnehin rufschädigend sei, mit Zwangsarbeit in Verbindung gebracht zu werden. Aber er sagte auch, dass andere Anreize als Gesetze Unternehmen zu verantwortungsvollerem Handeln führen könnten. Er befürchtet, dass das Gesetz zu mehr bürokratischen Kosten führen könnte - ohne entsprechenden Nutzen zu haben.
Die deutsche Position in Bezug auf unter Zwangsarbeit hergestellte Produkte ist klar. Werte und Interessen seien keine Gegensätze, sagte Bundesaußenministerin Annalena Baerbock kürzlich. "Weil nachhaltiger Wohlstand und Sicherheit mittel- und langfristig nur dort gelingen, wo die Rechte von Menschen gewahrt sind." Auf EU-Ebene wolle sich Deutschland dafür einsetzen, dass Produkte aus Zwangsarbeit nicht mehr in die EU gelangen dürfen.
Die EU-Staaten und das Parlament müssen sich nun jeweils auf eine Haltung zu dem Entwurf verständigen. Anschließend müssen beide Seiten miteinander über eine gemeinsame Position verhandeln. Das Gesetz soll nach einer Übergangsfrist von rund zwei Jahren in Kraft treten. (dpa/rw)