Mehr Qualität in der Kundenberatung

Digitale Berater - Fluch oder Segen?



Marcus Enger leitet den indirekten Vertrieb bei Pitney Bowes Software. Sein beruflicher Werdegang begann mit dem Studium der Wirtschaftsinformatik in Mannheim und Nizza mit dem Abschluss eines deutsch-französischen Doppeldiploms. Über die Stationen Oracle Consulting, das Start-up Sagent Technology und Group 1 Software kam er zu Pitney Bowes und durchlief mehrere internationale Stationen: Leitung der Beratung in Deutschland, Verantwortung des Produktmarketings in EMEA bis zur aktuellen Position.
Die Angst vor dem Arbeitsplatzverlust durch Automatisierung greift um sich. Im Kundenservice können jedoch Kunden wie Berater von der Digitalisierung profitieren.

Ein freundlicher Video-Avatar begrüßt Sie mit persönlicher Anrede, nimmt sich geduldig all Ihrer Fragen an und berät Sie schnell und effektiv in sämtlichen Belangen. Das klingt für viele noch nach Science-Fiction, ist aber in einigen Unternehmen bereits Realität.

Angesichts dessen meldet sich die warnende Stimme im Hinterkopf: "Verlieren wir durch die Automatisierung Arbeitsplätze? Und was ist mit der Beratungsqualität?". In diesem Fall kann die Warnung aber als Fehlalarm verbucht werden. Ganz im Gegenteil wirken sich neue Formen der Kundenberatung durch Videolösungen, mobile Apps oder auch Chatbots positiv auf die Effizienz und Qualität der Beratung aus.

Wenn Unternehmen eine helfende Hand im Kundenservice ausstrecken - nehmen Verbraucher sie auch dann dankbar an, wenn ein Chatbot dahintersteckt.
Wenn Unternehmen eine helfende Hand im Kundenservice ausstrecken - nehmen Verbraucher sie auch dann dankbar an, wenn ein Chatbot dahintersteckt.
Foto: panuwat phimpha - shutterstock.com

Digitale Kundenberatung

Den ersten Kundenkontakt übernehmen personalisierte, interaktive Videos. Sie können in Dialogform grundlegende Fragen klären und weiterführende Schritte vorschlagen. Hat ein Kunde beispielsweise einen neuen Vertrag mit einem Mobilfunkanbieter oder einer Versicherung abgeschlossen, kann sich der Video-Avatar zur Begrüßung für den Vertragsabschluss bedanken, die Vertragsdetails noch einmal anschaulich darstellen und die Vorteile der Anbieter-eigenen App erläutern. Gleichzeitig werden weitere Informationen über den Interessenten gesammelt, die der Berater in einem zweiten Schritt einbinden kann. Das bei Bedarf folgende Gespräch mit einem menschlichen Kundenberater erreicht so die Qualität eines Zweitgesprächs.

Ähnlich funktionieren auch Chatbots: Sie beantworten konkrete Kundenanfragen und können ein Gespräch mit einem Kundenberater möglicherweise sogar ersetzen. Im Gegensatz zu den Videosequenzen fehlt der Interaktion mit Chatbots jedoch eine emotionale Komponente. Diese ergänzen Videolösungen durch einen Ansprechpartner mit Gesicht und Stimme.

Die repetitiven Fragen eines Erstgespräches kann heute ein interaktiver Berater übernehmen.
Die repetitiven Fragen eines Erstgespräches kann heute ein interaktiver Berater übernehmen.
Foto: Montri Nipitvittaya - shutterstock.com

Die repetitiven Fragen eines bislang üblichen Erstgespräches kann ein menschlicher Berater nun also den interaktiven Beratern überlassen. Er selbst kann seine Aufmerksamkeit anspruchsvolleren Fragen sowie personalisierten Themen widmen und dadurch die Wertigkeit seiner eigenen Arbeit steigern.

Ein Beispiel hierfür liefert die Versicherung Allianz mit ihrer "Meine Allianz"-App. Die App stellt einen direkten Kommunikationskanal zu unterschiedlichen Dienstleistungsangeboten der Allianz Versicherung dar und unterstützt die Kundenbindung. Die Interaktion mit der App liefert dem Berater wichtige Einblicke über Interessen und Probleme des Kunden anhand derer er die nachfolgende Beratung entsprechend optimieren kann.

Digitale Dienste fördern Kundenbindung

Die Allianz-App ist nur eines von zahlreichen Beispielen, die den positiven Einfluss der Digitalisierung auf den Kundenservice darstellen. Zu den Vorteilen gehört etwa die Stärkung der Kundenbindung. Kundenberater können durch die Entlastung des Beratungsaufwands und auf Basis des digital gewonnenen Wissens über den Kunden effizienter arbeiten und sich so auch stärker auf die Kundenbindung konzentrieren. Dies gewinnt vor allem durch die zunehmende Vergleichbarkeit von Produkten und Dienstleistungen eine entscheidende Bedeutung.

Der eigentliche Wettbewerb findet zunehmend in der Customer Experience statt - und je besser die ist, desto länger bleiben Kunden einem Unternehmen treu.
Der eigentliche Wettbewerb findet zunehmend in der Customer Experience statt - und je besser die ist, desto länger bleiben Kunden einem Unternehmen treu.
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Neben der Bindung von Bestandskunden können die digitalen Beratungsmöglichkeiten auch der Neukundenakquise dienen. Sie erleichtern nicht nur den Erstkontakt und die Interaktion mit dem Unternehmen, sondern erweitern zudem die klassischen Akquise-Kanäle durch digitale Komponenten.

Lesetipp: Sieben Berufe, die Zukunft haben

Die digitalen Beratungsmöglichkeiten können zur Entlastung der Callcenter beitragen, indem die Beratung auf mehrere Kanäle verteilt wird und so eine Effizienzsteigerung bewirkt. Das macht sich bei der Zufriedenheit positiv bemerkbar: Die Kunden verbringen weniger Zeit in Warteschleifen und erhalten, unabhängig von den Kapazitäten der Mitarbeiter, eine kompetente, personalisierte Beratung. Auch für die Unternehmen lohnt sich die Investition in digitale Angebote, da sie sich schnell amortisiert. Das Ziel ist etwa bei interaktiven Videos ein ROI von sechs Monaten.

Die Aufmerksamkeit halten: der persönliche Touch

Zahlreiche Studien belegen, dass die durchschnittliche Aufmerksamkeitsspanne der Rezipienten so kurz ist wie noch nie. Eine Kommunikationsstudie von Pitney Bowes etwa zeigte, dass Verbraucher innerhalb von nur fünf Sekunden entscheiden, ob eine Nachricht für sie relevant ist. Die Kommunikation via Text alleine kann heute kaum noch die Aufmerksamkeit der Kunden halten und ist somit weniger einprägsam. Besser funktioniert die Kommunikation mithilfe von Bild und Ton. Das gilt auch für die Kundenberatung.

Bei der Gestaltung ihrer Videokommunikation sollten Unternehmen einige wichtige Faktoren beachten.
Bei der Gestaltung ihrer Videokommunikation sollten Unternehmen einige wichtige Faktoren beachten.
Foto: Imagine Photographer - shutterstock.com

Allerdings müssen Unternehmen bei der Gestaltung ihrer Videokommunikation einige wichtige Faktoren beachten: Die Videos sollten interaktiv gestaltet sein - sonst verpufft der Effekt - und die "magische" Schwelle von 90 Sekunden möglichst nicht überschreiten, länger hält die Aufmerksamkeit der Interessenten meist nicht an. Um einen entsprechenden Dialog herzustellen, sollte der Kunde außerdem verschiedene Auswahlmöglichkeiten haben, oder auch frei zwischen den Themenblöcken navigieren können.

Im Sinne der datengetriebenen Erkenntnisse werden so gleichzeitig auch wichtige Informationen und Daten über den Kunden gesammelt: Welche Themenblöcke hat sich der Kunde bereits angesehen? Was macht er mit den Informationen? Leitet er das Video weiter? Ist ein Kaufinteresse wahrscheinlich? Basierend auf diesen Informationen können die Videos bei einem erneuten Zugriff individuell und in Echtzeit generiert werden, um Wiederholungen zu vermeiden und so einen echten Dialog zu simulieren. Auch die Kundenberater profitieren von diesen Erkenntnissen. Sie können ihr konkretes Wissen über das lokale und soziale Umfeld des Kunden nutzen und ihre Beratung entsprechend optimieren. Ziel dabei ist ein verbesserter Kundenservice.

Der Mensch im Mittelpunkt

Bei all den Digitalisierungs- und Automatisierungsmöglichkeiten sollte jedoch nicht die manuelle Gestaltung dieser Prozesse unterschätzt werden. Die Planung und Programmierung eines Chatverlaufs oder der Anwendungen und Produktion der Videosequenzen sowie die Auswertung der gesammelten Daten erfolgen immer noch von Menschenhand. Dies wird sich auch in Zukunft nicht so schnell ändern. Damit wird der Mensch mehr denn je zum zentralen Dreh- und Angelpunkt der Digitalisierung. Menschliche Urteilskraft und kreatives Denken werden zu zentralen Merkmalen bei der Suche nach neuen Talenten.

Lesetipp: Ohne Automatisierung keine Digitalisierung

Entscheidend ist, dass durch die Digitalisierung im Kundenservice die Berater von standardisierten und repetitiven Prozessen entlastet werden und so mehr gestalterische und inhaltliche Tätigkeiten übernehmen können. Neben einer Effizienzsteigerung erscheint die damit verbundene Verbesserung der Kundenzufriedenheit langfristig sogar als wichtigstes Ziel. Vor allem in Hinblick auf jüngere Generationen, die bevorzugt über digitale Kanäle kommunizieren, bietet die Digitalisierung neue Chancen und Möglichkeiten, die Unternehmen dringend nutzen sollten.

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