Interview mit Deltatecc-Chef Andreas Müller

„Die Marktplatzstrategie von Expert wird kontrovers diskutiert werden“



Matthias Hell ist Experte in Sachen E-Commerce und Retail sowie  Buchautor. Er veröffentlicht regelmäßig Beiträge in renommierten Handelsmagazinen und E-Commerce-Blogs. Zuletzt erschien seine Buchveröffentlichung "Local Heroes 2.0 – Neues von den digitalen Vorreitern im Einzelhandel".
Deltatecc-Geschäftsführer Andreas Müller ist Marktplatzhändler und Expert-Gesellschafter. Im Interview erklärt er, worauf es ankommt, um erfolgreich auf Online-Plattformen zu verkaufen – und welche Herausforderungen auf die neue Marktplatzstrategie von Expert zukommen.
Andreas Müller ist Geschäftsführer des Elektronikversenders Deltatecc und Expert-Gesellschafter
Andreas Müller ist Geschäftsführer des Elektronikversenders Deltatecc und Expert-Gesellschafter
Foto: eBay

Andreas, Du bist mit Deltatecc langjähriger Marktplatzhändler - und Expert-Gesellschafter. Wie bewertest Du, dass Expert künftig selbst auf Online-Marktplätzen verkaufen will?

Andreas Müller: Ich denke dabei vor allem an die Grundprinzipien des Marktplatzgeschäfts: Als Marktplatzhändler muss man jeden Marktplatz ganz individuell bespielen. Jeder Marktplatz hat andere Anforderungen, erfordert andere Strategien und hat andere Bedingungen, die zum erfolgreichen Agieren auf dem Marktplatz führen. Der Händler muss hier sehr agil sein, da sich die Marktplätze ständig weiterentwickeln und neue Anforderungen an die Händler stellen. Expert allerdings kann mit Rücksicht auf seine Gesellschafter, die häufig schon selber auf den Marktplätzen aktiv sind, oft nur eine passive Rolle einnehmen.

Welche aktiven Schritte sind denn aus Deiner Sicht besonders wichtig, um das Marktplatzgeschäft erfolgreich zu betreiben?

Andreas Müller: Wichtig dabei ist, jede Transaktion für sich zu betrachten, denn jede dieser Transaktionen muss 100 Prozent rentabel sein, sofern es sich nicht um abgeschriebene Altware handelt. In der Vergangenheit hatte man oft den Gedanken, dass man sich Kunden über einen Markplatz "einkauft" um sie dann in den eigenen Shop für weitere Käufe zu leiten. Ich habe bisher noch keinen Händler gesehen, der damit wirklich erfolgreich war. Die Kunden kaufen in erster Linie bei dem gewählten Marktplatz ein, der Händler ist vom Namen her zweitrangig, er muss dabei nur die von der Plattform geforderten KPI-Werte erfüllen und performen. Daher ist es wichtig, dass die Transaktion auch nach Betrachtung alle variablen Kosten - insbesondere Retouren und Marketing, aber auch Personal und Logistik - rentabel ist.

Welche Relevanz besitzen für Deltatecc die einzelnen Online-Marktplätze? Und welche Rolle spielt für euch Kaufland, auf dem Expert sein Sortiment bereits als erstes gelistet hat?

Andreas Müller: Wir haben eine ausgewogene Marktplatz Strategie, das heißt dass kein Marktplatz bei uns eine dominante Rolle spielt. Von den "Big Four" - also Amazon, eBay, Otto und Kaufland - ist Kaufland immer noch der kleinere Marktplatz, wenn auch mit wenig Abstand zu Otto und mit einer guten Wachstumsdynamik.

Seit 2023 ist Andreas Müller auch Präsident des Branchenverbands Bundesverband Onlinehandel (BVOH)
Seit 2023 ist Andreas Müller auch Präsident des Branchenverbands Bundesverband Onlinehandel (BVOH)
Foto: BVOH

"Viele Fachhändler lassen sich vom schnellen Erfolg bei Amazon oder eBay blenden"

Spricht man über Verbundgruppen, denkt man klassischerweise an den stationären Fachhandel. Ist Deltatecc ein Beispiel dafür, dass heute auch Onlinehändler ganz selbstverständlich zu den Verbünden gehören? Oder stellt ihr hier eine Ausnahme in der Expert-Gruppe dar?

Andreas Müller: Es gibt circa 15 bis 20 weitere Expert Gesellschafter Kollegen, die auf Marktplätzen aktiv sind. Wir sind allerdings insofern ein Solitär, dass wir uns anders als die Kollegen auf das Marktplatzgeschäft konzentrieren können. Wir haben eine eigene IT Infrastruktur, die von der Verbundgruppe unabhängig ist und speziell auf den Bedarf der Marktplätze entwickelt wurde. Dazu kommt unser 2021 eröffnetes sehr leistungsfähiges Fullfilmentcenter, dass auch für den Amazon Prime Versand zugelassen ist. Für Onlinemarktplätze ist diese Kombination von optimierter Logistik und angepasster IT äußerst wichtig.

Gibt es auch bei Euronics und EP Mitglieder, die im Onlinehandel ähnlich kompetent sind? Bekannt sind nur die in die Insolvenz gerutschten Fälle Comtech und media@home Technik-Galerie...

Andreas Müller: Wir beobachten immer einige kleinere Onlinehändler aus diesen Verbundgruppen, aber es gibt hier keinen größeren Händler mit einem breiten Sortiment. Viele haben experimentiert, aber letztendlich festgestellt, dass es sehr schwer ist, auf Marktplätzen nachhaltig rentabel zu sein. Viele geben Anfangs Gas und verkaufen zulasten der Wirtschaftlichkeit und merken erst später, welche Kosten im Retouren und Aftersales Bereich auf sie zukommen. Viele lassen sich vom schnellen Erfolg bei Amazon oder eBay dazu verleiten noch mehr zu tun, ohne wirklich zu prüfen, wie nachhaltig das Geschäft ist. Oft sind es Mitarbeiter ohne ausreichenden betriebswirtschaftliche Hintergrund, die dieses Geschäft, quasi nebenbei betreiben. Die Prozesse eines stationären Fachmarktes sind nur sehr eingeschränkt auf die Marktplatzwelt anwendbar, daher schaffen es viele nicht das Geschäft zu skalieren, was für die Wirtschaftlichkeit absolut notwendig ist.

Euronics setzt bereits seit einigen Jahren auf ein Marktplatzmodell und ist damit so erfolgreich, dass die Verbundgruppe inzwischen unter den Top 50 des EHI-Rankings läuft. Wie siehst Du das im Vergleich zu der aktuellen Initiative von Expert?

Andreas Müller: Ich sehe die beiden Kooperationen auf ihrer eigenen Webseite gut aufgestellt, was die Zielgruppe anbelangt. Ziel sollte es hier sein die stationären Standorte zu stärken und deren Vorteile mit Zuführungsumsatz voll auszuspielen. Dabei spielt auch der letzte Preis nicht die entscheidende Rolle, denn wenn dies für den Kunden der wichtigste Punkt ist, wird er eher auf Idealo der Amazon landen.

Im eigenen Lager in der Nähe von Saarbrücken wickelt Deltatecc nicht nur das eigene Marktplatzgeschäft ab, sondern auch das Dienstleistunsgeschäft im Auftrag von Markenherstellern
Im eigenen Lager in der Nähe von Saarbrücken wickelt Deltatecc nicht nur das eigene Marktplatzgeschäft ab, sondern auch das Dienstleistunsgeschäft im Auftrag von Markenherstellern
Foto: Deltatecc

"Es kann zu strategischen Konfliktpunkten mit der Industrie kommen"

Deltatecc ist heute nicht nur als Marktplatzhändler aktiv, sondern bietet seine Kompetenz im Plattformgeschäft auch als Service für Markenhersteller an. Wie kann man sich diesen Geschäftsbereich vorstellen?

Andreas Müller: Unser Ansatz ist: Wir helfen Marken ihre Produkte auf Marktplätzen strategisch anzubieten. Dabei kommen unsere Kernkompetenzen in IT, Logistik und Markplatz Know How zum Tragen. Wir bieten Marken hier das komplette Spektrum vom klassischen Handels- bis hin zum D2C Modell, in dem sie unsere Infrastruktur nutzen. Der Vorteil für die Marken liegt dabei, dass sie nur ein sehr geringes Anfangsinvest und geringes Risiko haben. Normalerweise muss eine Marke mindestens 10 bis 15 Mitarbeiter einstellen, um einen guten Ablauf für D2C abzubilden und darüber hinaus noch zahlreiche Agenturkosten. Dies kann schnell einen sieben- bis achtstelligen Investitionsbetrag notwendig machen. Wir können hier mit unserer Deltatecc Plattform eine deutlich schlankere erprobte Lösung anbieten, da unsere Infrastruktur sowohl in IT als auch Logistik voll skalierbar ist.

Besonders gefragt ist derzeit unser Retouren- beziehungsweise Refurb-Ansatz, bei dem wir es schaffen, bereits geöffnete und benutzte Ware mit relativ niedrigen Kosten wieder in an den Endkunden zu bringen. Über eBay schaffen wir es, viele Artikel binnen einer Woche bereits weiter zu vermarkten, ohne dass diese aufwändig durch mehrere Läger oder Prozessschritte geführt werden müssen.

Welche Sichtweise vertreten eigentlich die für die Verbundgruppen wichtigen Industriepartner, wenn es um ein eigenes Online- und Marktplatzgeschäft der Verbünde geht?

Andreas Müller: Das Thema wird je nach Marke unterschiedlich betrachtet. Es gibt Marken die hier zumindest nach außen keinerlei Befindlichkeiten haben, andere lassen Marktplätze gar nicht zu, obwohl sie vielleicht noch Otto oder Amazon direkt beliefern. Bei vielen Marken gibt es inzwischen einen "Online-First" Ansatz, den es zu berücksichtigen gilt. Die Einführung von Produkten erfolgt hier erst Online, so dass man dies auch auf Marktplätzen berücksichtigen muss. Es kann hier also zu einigen strategischen Konfliktpunkten kommen, auf die man vorbereitet sein muss. Wir als Deltatecc haben dafür eine eigene Strategie entwickelt, um mögliche Konflikte zusammen mit den Marken angehen und auflösen zu können.

Zusammenfassend könnte man also sagen, dass Expert mit dem Marktplatz-Thema eine Initiative gestartet hat, die trotz einigem internen Aufwand sowohl bei den Expert-Gesellschaftern wie auch bei der Industrie eher für Irritationen sorgen könnte und die auch endkundenseitig nur wenig Strahlkraft entwickeln dürfte...

Andreas Müller: Das Thema wird sicherlich kontrovers diskutiert werden, da es an einigen Stellen Zielkonflikte mit den Gesellschaftern geben wird. Je größer der angebundene Marktplatz wird, desto mehr Themen kann es auch mit den Marken geben, die hier teilweise ganz eigene Strategien fahren insbesondere wenn diese D2C-affin sind.

Die Verbundgruppen haben ihre Stärken bei den lokalen Fachmärkten vor Ort, insbesondere bei Großgeräten. Diese einmalige Stärke gilt es herauszustellen, dann hier hat man einen unschlagbaren Wettbewerbsvorteil, den der Onlinehandel bisher nur schwer erreichen kann.

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