Beflügeln oder gefährden neue Anbieter das Partnergeschäft?
Junge Anbieter - Agenturen, Angebote wie Dropbox oder Amazon Webservices, AWS - sind gleich mit und in der Cloud gestartet. Wie groß ist die Gefahr, dass sie den Systemhäusern das Geschäft wegschnappen?
Dieter Schmitt (Netapp): AWS, IBM Softlayer, Microsoft Azure et cetera stellen mit ihren anderen Geschäftsmodellen Partner vor erhebliche Herausforderungen. Die Rolle des Partners als Trusted Advisor, als Integrator, der unterschiedliche Angebote bewerten, zusammenfassen, sie implementieren kann, wird aber immer eine Rolle spielen. Allerdings hat der Partner im Backend plötzlich andere Produkte - bei AWS oder Azure kann man durchaus von Produkten sprechen - die er einkauft und veredelt.
Stefan Wahlscheidt: Für den Distributor erwächst daraus ein komplett neues Marktsegment. Denn diese Kunden erwarten, dass man ihnen Devices für die Cloud-Applikation - eventuell sogar als Service - für ihr Cloud Offering zur Verfügung stellt. Zum Beispiel eine Telefonielösung für die auch ein Telefon oder Headset benötigt wird. Beides lässt sich bündeln und als kompletter Service beziehen. Wir entwickeln uns etwas weg vom klassischen Hardware-Geschäft hin zu einer Übergangsphase, in der wir auch Devices in ein Cloud-Angebot einbinden und so für diese neuen Partner ein interessantes Lösungsportfolio schaffen. Und wir erwägen, diese Art von Lösung über unser Cloud-Portal "Choice" mit anzubieten.
Dieter Schmitt (Netapp): Die Dropbox ist aber auch ein gutes Beispiel dafür, wie man als Reseller einen Trend aufgreifen und damit ein eigenes Geschäftsmodell aufbauen kann. Viele Systemhäuser haben inzwischen eigene "Dropbox-Light"-Versionen entwickelt, die den Ansprüchen der Datensicherheit und Compliance genügen.
Stanislaw Panow (netcos): Ich sehe durchaus den Trend, dass ein Markt am Channel vorbei entsteht, in dem Systemhäuser durch Consultant-Firmen, Webagenturen oder andere Anbieter verdrängt werden. Wenn die Marketingabteilung im Unternehmen eine bestimmte Applikation benötigt, dann suchen diese Mitarbeiter diese Lösung im Internet- nur drei Mausklicks entfernt. Dafür hätte die klassische IT-Abteilung vielleicht Monate gebraucht.
Aber auch diese Lösung muss hausintern compliance-gerecht integriert und unterstützt werden, weil sonst womöglich die bestehende Internetleitung für den Datendurchsatz nicht mehr ausreicht. Oder weil plötzlich Abhängigkeiten mit anderen Applikationen sichtbar werden, die sich kein Mensch erklären kann. Also bedarf es eines Technikers, der das ganze organisiert und dem Kunden erklärt, wie es funktionieren kann und welche Alternativen zur Verfügung stehen.
Dieser technisch kompetenten Sicht auf die Lösung bedarf es nach wie vor. Das heißt: Systemhäuser müssen sich viel stärker in Richtung Consultant und Berater weiter entwickeln. Diejenigen, die das nicht schaffen, werden sehr wahrscheinlich untergehen.
Systemhäuser haben sich immer schon als Berater des Kunden verstanden. Was unterscheidet die alte von der neuen Art der Beratung?
Benedikt Fischer (ACP): Wir brauchen Menschen, die die Prozesse in den Unternehmen überhaupt verstehen. Wir müssen weg von der Argumentation: "Wir haben die beste Dropbox, den performantesten Server." Das interessiert keinen mehr. Wenn Sie ein Auto kaufen, werden Sie nicht mit Features von Motorsteuergeräten, Getriebe et cetera überschüttet. Sondern Ihnen wird das Gefühl eines sicheren, angenehmen Fahrens vermittelt. Das ist die Kompetenz, die ein Systemhaus haben muss, um erfolgreich zu sein.
Die IT ist aber heute so unterwegs, dass Sie sich einen Reifen, eine Felge, mal ein Getriebe kaufen können. Aber nichts fährt. Systemhäuser haben über Jahre hinweg komplexeste Inhalte noch weiter verkompliziert, um noch mehr zu verkaufen. Wer diese Strategie weiter verfolgt, wir scheitern. Das ist sicherlich hart für den ein oder anderen Consultant.
Wie sieht das künftige Modell aus?
Benedikt Fischer (ACP): Für den Kunden muss deutlich werden: "Ich bezahle Geld für ein Fahrgefühl". Ich brauche also ein Workplace-Konzept mit Geräten - denn das wird der Wohlfühlfaktor sein, den der Kunde noch mit den Händen greift. Aber von hier aus sind es wieder mindestens zehn Stacks, bis wir wieder im Rechenzentrum und bei der Hardware sind. Das Zusammenspiel wird entscheidend sein.
Es ist unheimlich schwer, diesen Ansatz allen Fachabteilungen innerhalb eines Systemhauses klar zu machen. Wir führen Diskussionen, die wir früher mit dem Kunden geführt haben, mittlerweile intern. Teilweise in interessanter Schärfe. Denn es gibt Mitarbeiter, die Zielvereinbarungen für Partner-Clouds haben, andere für das On Premise-Geschäft, wieder andere auf Managed Services und so weiter.
Stanislaw Panow (netcos): Wir haben das Glück, nicht ganz so groß zu sein wie die ACP. Aber wir legen bei der Einstellung neuer Mitarbeiter seit einigen Jahren weniger Wert auf Hersteller-Zertifizierungen, sondern vor allem auf Soft Skills wie Beratungskompetenz und Umgang mit Kunden. Alles andere - und das verändert sich ohnehin alles sehr schnell - lernt er bei uns.
Wie virulent ist die Schatten IT bei Ihren Kunden?
Benedikt Fischer (ACP):Es werden definitiv zunehmend online Dienste aus den Fachabteilungen heraus gebucht, und dieser Trend wird sich massiv verstärken. Unserer Erfahrung nach stehen den Bereichsleitern eigene Budgets zur Verfügung, und die Mitarbeiter können quasi per Kredite an der IT-Abteilung vorbei frei buchen. Daten wandern fern jeder Compliance-Richtlinie aus den Unternehmen, obwohl sie dort nichts verloren haben, das sehen wir immer wieder.
Kommen solche Projekte auch wieder zu Ihnen zurück?
Benedikt Fischer (ACP): Irgendwann scheitern diese Modelle an der technischen Machbarkeit. Denn die Mitarbeiter können zwar den gewünschten Dienst nutzen, aber sie wissen nicht, was sie dafür im Backbone - beispielsweise an Bandbreite - benötigen, wie sich die Dienste absichern lassen und so weiter.
Simone Frömming (VMware): Im Umfeld der Cloud entstehen für Reseller auch zahlreiche neue Chancen und Projekte, die viel Consulting erfordern, beispielsweise mit Blick auf mobile Devices Management, Enduser-Computing: Hier kommen Tonnen von Devices mit ins Spiel, die die klassische IT-Abteilung auch managen muss, mit Datenstreaming und allem, was dazugehört. Unternehmen sind hier überfordert, in einer komplett integrierten Welt zu denken.
Paul Mathes (Azlan): Die Komplexität der Cloud-Umgebungen schürt bei Systemhäusern und Anwendern oft die Unsicherheit, ob man auf das richtige Pferd setzt. Allein das Mobile Device Management-Thema ist inzwischen derart komplex, dass der Endkunde dazu neigt, entweder alles abzulehnen, oder Unmanaged Software aus der Cloud zu beziehen. Für Partner, deren Kunden auf die Cloud setzen, haben wir entsprechende Angebote, beispielsweise das Hosting-Programm von VMware. Und seit 2014 kann der Endkunde per Knopfdruck ein Subscription-Modell beziehen, um beispielsweise eine SaaS-basierte Disaster Recovery-Lösung zu nutzen - ohne selbst etwas implementieren oder integrieren zu müssen.
Sind die verfügbaren Cloud-Dienste wirklich so einfach miteinander zu verbinden, wie es die Anbieter versprechen?
Benedikt Fischer (ACP): Wenn wir alle Dienste betrachten, die heute in der Cloud wirklich fertig zur Verfügung stehen, dann fehlt genau eines: Nämlich- um beim Beispiel zu bleiben - das Auto zusammenzubauen. Es fehlt eine Art "mobile Middleware" die aus Dropboxen, Sharepoints, Fileservern und anderen Diensten, das "Back Office", das aus unzähligen Servern und anderen Dingen besteht, zusammenbaut. Eine Schicht, die dieses "Back Office" auch anpasst an die Applikationen und dort auf Standardschnittstellen aufsetzt. Nur so können Unternehmen ihre unzähligen Apps mit ihren unterschiedlichen Schnittstellen und die sich permanent verändernden Systeme im Back Office in den Griff bekommen.
Das ist die Herausforderung für die Systemhäuser: Die Unternehmen zu überzeugen, dass sie genau diese Zwischenschicht brauchen, um die internen Prozesse in den Griff zu bekommen.