Arbeit ändert sich rasant

Call-Center erfinden sich neu

03.09.2015
Kann man einen Kredit mit Ratten abbezahlen? Leidensberichte von Call-Center-Mitarbeitern geben tiefe Einblicke in die Welt der Kunden-Hotlines. Die Arbeit in den Call-Centern ändert sich aber rasant.

Die Bezahlung ist schlecht, das Ansehen des Berufs noch mieser als das von Immobilienmaklern oder Autoverkäufern, der Stress groß: Viele Call-Center-Mitarbeiter brauchen ein dickes Fell, um nicht an ihrem Job zu verzweifeln. Rund 520.000 Frauen und Männer arbeiten in einem der knapp 7000 Call-Center zwischen Rügen und Traunstein. Durch die Digitalisierung wandeln sich die Anforderungen an die Beschäftigten aber rasant: Einfache Anfragen per Telefon werden zum Auslaufmodell, die Kommunikation per Mail oder Chat nimmt zu - damit könnten sich auch Anforderungen, Ansehen und Bezahlung der Jobs bald ändern.

Der Mobilfunkkonzern Telefónica Deutschland mit seiner Marke O2 hat vor kurzem angekündigt, seine derzeitigen Call-Center auf den Prüfstand zu stellen. Im kommenden Jahr will das Unternehmen entscheiden wie es mit seinen sieben Call-Centern in Hamburg, Bremen, Nürnberg, Rostock, Berlin, Potsdam und Essen weitergeht.

Grundsätzlich verlieren die reinen Telefonzentren für Unternehmen an Bedeutung, weil viele Kunden sich über einfache Dinge wie Handy-Tarife im Internet informieren und auch Verträge oder Rechnungen online einsehen. Die Mitarbeiter in den Call-Centern werden dadurch häufiger als früher mit anspruchsvolleren Fragen oder Problemen konfrontiert, für die sie ausgebildet sein müssen.

"Wir brauchen zunehmend andere Qualifikationen", sagt der Präsident des Call Center Verbandes, Manfred Stockmann. In den vergangenen Jahren habe sich die Arbeit im Call-Center stark weiterentwickelt. "Die Telefonie hat andere Anforderungen als die E-Mail-Bearbeitung und bei Chat oder Video-Call kommen weitere Aspekte hinzu." Einen Buchstabendreher im Chat würden Kunden wohl verzeihen - Rechtschreibung und Grammatik müssen aber sitzen, um keine hämischen Kommentare im Internet nach sich zu ziehen. Auch die Art der Ansprache ist im Chat eine andere als in der E-Mail oder im Telefongespräch. Viel Zeit dafür haben die Mitarbeiter allerdings nicht: Viele Kunden erwarten innerhalb von 60 Minuten eine Antwort auf ihre Frage in den sozialen Netzwerken, wie der Marktforscher YouGov im Auftrag der Allianz ermittelte.

Für die Firmen entsteht daraus nach Einschätzung der Gewerkschaft Verdi ein Dilemma: "Die Unternehmen wissen, dass die Arbeit anspruchsvoller wird, sind aber nicht bereit, Geld in die Hand zu nehmen und den Beschäftigten mehr zu bezahlen", sagt Gewerkschafter Helmut Doser von Verdi Bayern. Das könnte sich aber ändern: Denn viele Firmen tun sich jetzt schon schwer, geeignete Mitarbeiter zu finden: 10.000 Stellen sind nach Angaben des Call Center Verbandes derzeit offen. Die Sorgen vor einer massenhaften Verlagerung der Telefoncenter ins Ausland waren unbegründet: "Wir haben das Glück, dass Deutsch eine schwierige Sprache ist", sagt Doser. Diese Sprachbarriere könnten die Firmen nicht ohne weiteres überwinden.

Für viele Jobsuchende in Deutschland ist die Arbeit im Call-Center zum Stundenlohn von 8,50 Euro allerdings nicht attraktiv: Die Arbeitszeiten beginnen zudem oft erst am Nachmittag, da die Kunden am liebsten nach Feierabend bei der Kunden-Hotline anrufen. Ihren Frust über lange Wartezeiten in der Warteschleife lassen sie dann gerne gleich am Telefon ab: Beschimpfungen und Beleidigungen sind keine Ausnahme, wie Mitarbeiter im Facebook-Forum "Dinge die ein Callcenter-Agent niemals sagt" schreiben. "Versuchen Sie doch einfach mal, an der Volkshochschule einen Kurs über 'mitteleuropäisches Benehmen' zu belegen", ist so ein Satz, den ein Call-Center-Mitarbeiter manchem Kunden gerne sagen würde." Oder: "Herzlich willkommen bei ihrer Hotline! Ich habe eine gute und eine schlechte Nachricht für Sie: Die gute ist, sie dürfen jetzt mit mir sprechen. Die schlechte ist, ich muss Ihnen zuhören."

Wer dachte, nur die Anrufer sind genervt von den Call-Center-Mitarbeitern, liegt jedenfalls ziemlich falsch. "Bei uns wollen die Kunden immer Rattenzahlung", lästert eine Call-Center-Mitarbeiterin in dem Frust-Forum. "Und ich muss mir dann verkneifen zu sagen, dass er nicht mit Ratten zahlen kann." (dpa/tc)

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