Recruiting

Bewerbermanagement - der Aufbau einer Beziehung

Cyril Samovskiy ist Gründer und CEO von Mobilunity mit über 200 Mitarbeitern (Stand 2021).
Der Recruiting-Prozess ist oftmals sehr standardisiert. Es geht dabei aber um den Aufbau einer Beziehung zwischen dem Bewerber und dem Unternehmen. Lesen Sie, was sich hinter dem sogenannte Candidate Experience Design verbirgt.

Das Kennenlernen eines Bewerbers ähnelt starkt dem Aufbau einer Beziehung zwischen zwei Menschen. Im Folgenden lesen Sie sechs Phasen von Beziehungen, die eine Grundlage für das sogenannte "Candidate Experience Design" bilden.

Ob zwei Parteien sich "riechen können" hängt auch im Recruiting von vielen Aspekten ab.
Ob zwei Parteien sich "riechen können" hängt auch im Recruiting von vielen Aspekten ab.
Foto: Eric Isselee - shutterstock.com

Phase 1: Tinder

Eine Phase, in der der Bewerber zum ersten Mal von der freiien Stelle erfährt und eine (oft impulsive) Entscheidung darüber trifft, ob er bereit ist, ein Gespräch über Einzelheiten zu führen. In diesem Stadium sollten wir verstehen, dass es immer Kandidaten gibt, die nur von ihrem Gehalt getrieben werden. Es gibt auch immer wieder andere, die extrem emotional reagieren, wenn es darum geht, ob der switch auf dem "Tinder"-Bildschirm rechts oder nach links geht.
Diese Phase kann nicht lange andauern, da die Kandidaten auf dem heißen Markt viele Angebote erhalten und viele Unternehmen versuchen, auf ihren "Tinder"-Schirm zu kommen. Daher besteht der Trick hier darin, den richtigen Schritt des Bewerbers auszulösen.

  • Seien Sie kreativ: So kreativ, wie Sie wollen. Im schlimmsten Fall wird Ihnen dieses Herangehen an den Bewerber nicht gefallen, aber Sie werden sich auch nicht schlecht daran erinnern.

  • Fassen Sie sich kurz und klar: Es macht in dieser Phase keinen Sinn, die ganze Tiefe Ihrer offenen Stelle oder die gesamte Unternehmenskultur aufzuzeigen. Das werden Sie in späteren Phasen zeigen können.

  • Seien Sie individuell: Das ist nicht immer möglich, aber je individueller Ihr Angebot an die Bewerber ist, desto wahrscheinlicher ist es, dass Sie eine Antwort erhalten.

Phase 2: Verabredungen

Ihre Präsentation hat funktioniert und der Kandidat ist ein wenig interessiert. Jetzt ist ein guter Zeitpunkt, um mehr über den Bewerber zu erfahren. Bevor Sie mit dem Austausch beginnen, sollten Sie sich die folgenden Fragen stellen:

  • Wie wahrscheinlich ist es, dass Sie das einzige Unternehmen sind, mit dem der Bewerber jetzt spricht?

  • Wie viel Zeit räumt sich der Kandidat für seine Entscheidung ein?

Hilfreich ist es, herauszufinden, ob der Bewerber gezielt nach einer neuen Aufgabe gesucht hat oder ob er zufällig auf Ihr Angebot gestoßen ist und es so interessant fand, dass er dafür bereit wäre, seinen aktuellen Arbeitsplatz aufzugeben. In dieser Phase sollten Sie daher die volle Konzentration auf die Hintergründe lenken, die den Bewerber dazu veranlasst haben könnten, sich bei Ihnen zu melden. Fehler oder Lücken könnten hier entweder die falsche Person an Bord bringen oder Ihr Angebot könnte den Traumkandidaten zu spät erreichen, da andere Unternehmen bei ihm schneller waren.
Die Empfehlungsliste in der Verabredungsphase i:

  • Seien Sie schnell: Höchstwahrscheinlich konkurrieren Sie mit anderen Unternehmen um den Bewerber. Verzögerungen in dieser Phase können für beide Seiten sehr frustrierend sein.

  • Seien Sie ehrlich: Eine falsch getroffene positive Entscheidung ist für beide Seiten schlimmer als eine negative Entscheidung, die richtig ist. Vergewissern Sie sich, dass der Bewerber alle Dinge weiß, welche für ihn wichtig sind.

  • Seien Sie bescheiden: Versprechen Sie lieber zu wenig, als zu viel.

Sollte der Bewerbungsprozess in dieser Phase von einer der beiden Seiten abgebrochen werden, ist folgendes wichtig: Überlegen Sie schon jetzt , ob ein wiederholtes Recruiting mit diesem Kandidaten für das Unternehmen Sinn machen würde. Wenn ja, dann sorgen Sie dafür, dass der Kandidat in Ihrem Personalsystem gut und detailliert erfasst wird. Außerdem sollten Sie dem Bewerber zu verstehen geben, warum der Prozess dieses Mal nicht zum Erfolg geführt hat. Geben Sie sich Mühe zu zeigen, dass Sie für die Zeit, die Ihr Gegenüber investiert hat, dankbar sind, und dass Sie sich freuen würden, wenn Sie beide einem Übereinkommen zu gegebener Zeit noch einmal eine Chance geben könnten.

Phase 3: Vorschlag

Diese Phase ist kurz und formal. Das meiste, was Sie hätten tun können, um das richtige Talent zu finden, ist bereits in den vorherigen Phasen geschehen. Wenn der Bewerber das Angebot ablehnt, sollten Sie ihn um eine ehrliche Antwort zu seinen Hintergründen der Entscheidung bitten. Wenn die Antwort positiv ist, sollten Sie Ihre weiteren Informationen nach den folgenden Empfehlungen gestalten:

  • Seien Sie konkret: In dieser Phase ist kein Platz für abstrakte und vage Aussagen. Sie bieten einen Arbeitsplatz und Bedingungen an, die widerspiegeln sollten, was Sie von Ihrem neuen Mitarbeiter erwarten und was Sie als Gegenleistung bieten wollen.

  • Seien Sie optimistisch: Idealerweise sollten Sie nicht viel von einem Plan B sprechen, wenn der Bewerber mit den Angaben nicht zurechtkommt.

  • Seien Sie freundlich: Zeigen Sie dem Bewerber ganz klar, dass er ihr Wunschkandidat ist.

Phase 4: Heirat

Herzlichen Glückwunsch! In dieser Phase geht es nicht mehr um einen Bewerber, sondern um Ihren Mitarbeiter. Und während sich der Status geändert hat, gibt es einige Dinge, die in diesen neuen Status übernommen werden müssen. Es ist wichtig, dass alles, was in den vorangegangenen Phasen behauptet wurde, sich als Tatsache herausstellt. Sollte das nicht der Fall sein, muss das Unternehmen proaktiv handeln, um eventuelle Bedenken des Arbeitnehmers zu zerstreuen. In einer idealen Welt ist diese Phase die längste (Vertragsdauer).

  • Seien Sie unterstützend: Sie haben einen großartigen Weg eingeschlagen, um die richtige Person zu finden, und jetzt arbeiten Sie zusammen.

  • Seien Sie großzügig: In einem Tandem aus Arbeitgeber und Arbeitnehmer hat der erstere weitaus mehr Macht und Ressourcen, und der von diesem Tandem geschaffene Wert wird in den Händen des Arbeitgebers landen. Halten Sie Buch darüber, wenn Ihr Mitarbeiter Fehler macht, die er Ihrer Meinung nach nicht hätte machen sollen, oder wenn ein Mitarbeiter vielleicht nicht so effektiv ist, wie Sie es von ihm erwartet haben.

  • Seien Sie weitsichtig: Sie müssen darauf vorbereitet sein, dass der Mitarbeiter eines Tages kündigt, sich selbständig macht oder sogar für einen Konkurrenten arbeiten wird. Je besser Sie aus dieser strategischen Perspektive vorbereitet sind, desto beständiger und fruchtbarer wird die Beziehung sein.

Phase 5: Trennung

Für den Mitarbeiter ist diese Phase nicht nur natürlich, sondern auch sehr gut möglich, da die Chance, dass die Person ein Leben lang für Sie arbeitet, nicht sehr hoch ist. Es passiert also. Der Mitarbeiter kündigt oder, was noch schlimmer ist, er wird entlassen. Hier kommt es nicht nur darauf an, schnell und klug zu handeln. Sie sollten Folgendes sicherstellen:

  • Die Gründe für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses sind klar, werden von beiden Parteien akzeptiert und es besteht keine unmittelbare Absicht, diese Entscheidung zu revidieren. Mit anderen Worten: falls es Absichten gab, das Arbeitsverhältnis zu retten, dürfte diese Option zu diesem Zeitpunkt bereits keine mehr sein.

  • Die Bedingungen für eine Auflösung wurden in der Vergangenheit vertraglich festgelegt oder werden jetzt festgelegt.

  • Das geplante Arbeitspensum für die verbleibende Arbeitszeit festschreiben, wobei für beide Parteien klare Qualitätskriterien gelten. Es ist empfehlenswert, kreative Aufgaben, Aufbau und Särkung von Kundenbeziehungen, sowie Vertriebs- und Geschäftsentwicklungsaufgaben bei Mitarbeitern von denen bekannt ist, dass sie das Unternehmen bald verlassen werden, zu vermeiden.

  • Die Kollegen der Person, die das Unternehmen verlässt, wissen sehr genau Bescheid über die Trennung, über die Gründe dafür und eventuell über Ihre Einstellung zu dieser Person. Es ist besser darüber zu sprechen, als Spekulationen der Kollegen dem Flurfunk zu überlassen.

Lesetipp: DSGVO-konformes Bewerbermanagement

In der Trennungsphase können Sie auch darüber nachdenken, wie Ihr Mitarbeiter die Kündigung erleben wird, und wie Sie sie reibungslos und emotional angenehm gestalten können, vor allem, wenn Sie Initiator der Trennung waren. Wenn Sie dem Mitarbeiter die Möglichkeit geben, sein Gesicht zu wahren, ist das viel wert und kann Ihnen in Zukunft gute Dienste leisten.

  • Seien Sie zuversichtlich: Sobald die Entscheidung getroffen ist, setzen Sie sie auch zeitnah um. Je mehr Sie die Entscheidung vertagen, desto wahrscheinlicher ist es, dass es für beide Seiten eine schlechte Erfahrung wird.

  • Seien Sie bescheiden in Ihren Erwartungen an jemanden, von dem Sie sich getrennt haben: Die Zusammenarbeit wird nicht besser sein als in der Vergangenheit. Beachten Sie das.

  • Seien Sie dankbar: für Dinge, die Ihr Mitarbeiter getan hat. Aber auch für mögliche negative Handlungen, die Ihr Mitarbeiter hätte tun können, aber nicht getan hat.

Phase 6: Freundschaft

Ein alter Freund ist etwas wert, oder? Genau so funktioniert es hier. Wenn Sie auf dieser Bühne mit Ihrem ehemaligen Mitarbeiter interagieren, denken Sie daran:

  • Der Bewerber bleibt in der Informationsblase des Unternehmens. Wenn der Bewerber oder Ex-Mitarbeiter über Ihren Personalbedarf Bescheid weiß, kann er Informationen über Ihre offenen Stellen an seine Freunde/Netzwerke weiterleiten.

  • Befragen Sie Ihren Ex-Mitarbeiter zu seinem bisherigen Tätkigkeitsumfeld. Gibt es Fragen zu einem Thema, für das er oder sie zuständig war? Oder kann er Ihrem Unternehmen in seinem jetzigen Fachgebiet weiterhelfen?

  • Betrachten Sie Ihren ehemaligen Mitarbeiter als Ihren zukünftigen Mitarbeiter, für Projekte, von denen Sie wissen, dass sie gut zu ihm passen könnten.

  • Seien Sie wertschätzend: Die Freundschaft, welche Sie beide aufgebaut haben, braucht Treibstoff. Sie können nicht damit rechnen, dass Ihnen etwas Gutes getan wird, wenn Sie selbsts nichts Gutes tun.

  • Reflektieren Sie die Vergangenheit: Man sollte aus vergangenen Fehlern lernen. Wiederholen Sie diese Fehler nicht im Aufbau einer weiteren Beziehung mit dem ehemaligen Mitarbeiter.

Natürlich sind diese 6 Phasen nur eine Analogie zur Realität, so einfach strukturiert ist der Recruting-Prozess in der Wirklichkeit nicht. Vielleicht unterstützt Sie aber der eine oder andere Hinweis bei Ihrem nächsten Recruiting-Prozess. (bw)

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