Risiken verstehen und minimieren

Wie Künstliche Intelligenz Online-Betrug bekämpft

Jacob von Ingelheim ist Chief Risk and Transformation Officer bei Unzer. Das Unternehmen bietet ´ein ganzheitliches Ökosystem aus integrierten Zahlungs- und Softwarelösungen, das alle Aspekte des Handels abdeckt - sowohl Onlineshop als auch Ladengeschäft.

Jeden Tag werden in deutschen Geschäften Waren im Wert von über 11 Millionen Euro gestohlen. Doch nicht nur der stationäre Handel ist betroffen – auch online steigt die Zahl der Delikte rasant an. Künstliche Intelligenz (KI) kann helfen, Betrugsfälle zu erkennen und zu reduzieren.
Jacob von Ingelheim, Chief Risk and Transformation Officer bei Unzer, zeigt im Gastbeitrag für ChnanelPartner bekannte und neue Betrugsrisiken im Onlinehandel auf und gibt einen Ausblick, wie sein Unternehmen und die Branche ihnen auch mit KI begegnen kann.
Jacob von Ingelheim, Chief Risk and Transformation Officer bei Unzer, zeigt im Gastbeitrag für ChnanelPartner bekannte und neue Betrugsrisiken im Onlinehandel auf und gibt einen Ausblick, wie sein Unternehmen und die Branche ihnen auch mit KI begegnen kann.
Foto: Unzer

Seit Jahrzehnten geht der Handel gezielt gegen Ladendiebstahl vor. Laut einer Studie des Handelsforschungsinstituts verlieren Einzelhändler jedes Jahr etwa 4,1 Milliarden Euro durch Diebstahl. Keine Bagatelle, doch gemessen am Nettoumsatz von 563,6 Milliarden Euro im Jahr 2023 liegt der Anteil im Promillebereich.

Verglichen damit lauert im Onlinehandel eine deutlich größere Gefahr für Einkommenseinbußen. Das amerikanische Marktforschungsunternehmen Juniper Research schätzt die Gesamtkosten des E-Commerce-Betrugs für Händler im Jahr 2023 welteit auf rund 48 Milliarden US-Dollar. Tendenz steigend: Alleine Genaue Zahlen für Deutschland liegen nicht vor, doch Schätzungen gehen davon aus, dass E-Commerce-Unternehmen jährlich etwa drei Prozent ihres Umsatzes durch Betrug verlieren.

Wie KI den Trend brechen kann

Die Fortschritte in der Künstlichen Intelligenz könnten diesen Trend nun stoppen. KI-basierte Betrugserkennungssysteme verarbeiten riesige Datenmengen und bewerten in Millisekunden hunderte Merkmale einer Transaktion, um die Betrugswahrscheinlichkeit zu ermitteln - unbemerkt vom Kunden und mit minimaler Fehlerquote. Dabei geht es nicht nur um einzelne Transaktionen, sondern auch um ungewöhnliches Verhalten von Nutzern über längere Zeiträume, etwa zu welchen Uhrzeiten sie einkaufen oder von welchen Orten sie zugreifen.

Auch Identitätsdiebstahl lässt sich so aufdecken: KI erkennt Abweichungen im Kundenverhalten und kombiniert diese mit Datenpunkten wie Kaufhistorie und Transaktionsmetadaten. Auf diese Weise können präzise Risikoindikatoren entwickelt werden, die vorhersagen, ob eine Transaktion wahrscheinlich zu einer Rückbuchung führt.

Zahlungsdienstleister setzen diese KI-Verfahren bereits erfolgreich ein. Auch bei Unzer nutzen wir selbst entwickelte KI-basierte Modelle, um ungewöhnliches Verhalten frühzeitig zu identifizieren. Unsere interne Risikoplattform ist bereits KI-gesteuert, da sie mit einer KI-Risiko-Engine ausgestattet ist, die betrügerische Zahlungen im Segment "Buy Now Pay Later" (BNPL) erkennen kann. Allein im Jahr 2024 wurden mehr als 30.000 Zahlungen im Wert von mehr als 10 Millionen Euro von unserer KI für BNPL blockiert. Künftig wollen wir die KI in der Risikobewertung für andere Zahlungsmethoden wie Kreditkarte und SEPA-Lastschrift ausweiten.

Device Fingerprinting und verhaltensbasierte Biometrie

Eine vielversprechende Technologie in diesem Bereich ist das sogenannte "Device Fingerprinting", das auch bei Unzer zum Einsatz kommt. Mit dieser Methode wird ein Gerät anhand verschiedener Merkmale identifiziert, die aus dessen Einstellungen und Nutzung gewonnen werden. Die Daten, die für den Fingerabdruck gesammelt werden, können je nach Anbieter der Technologie unterschiedlich ausfallen.

Nicht weniger vielversprechend, aber in der Praxis noch weniger verbreitet, ist die verhaltensbasierte Biometrie. Diese macht sich die Tatsache zunutze, dass die tastendruckbasierte Tippweise einer Person so individuell wie ein Fingerabdruck ist.

Anders als bei der klassischen Biometrie, die auf physischen Merkmalen wie Gesicht oder Fingerabdruck basiert, werden hier also Verhaltensmuster analysiert. Dazu zählen je nach Gerät beispielsweise die Tippgeschwindigkeit, der Tastendruck, die Ausrichtung und Bewegung des Smartphones oder welche Tastaturbereiche genutzt werden. Diese Daten können helfen, die Identität eines Nutzers sicher zu verifizieren und Betrug vorzubeugen.

KI macht Zahlungen sicherer und fairer

KI macht Zahlungen jedoch nicht nur sicherer, sondern auch fairer. Der Grund: Im Gegensatz zu traditionellen Methoden der Betrugserkennung basieren KI-gestützte Risk Engines nicht auf starren Regeln, sondern lernen aus vorangegangenen Transaktionen.

Drei Beispiele verdeutlichen dies: Eine Kreditkarte von einer nigerianischen Bank ist bei einem deutschen Händler vielleicht selten, muss aber nicht automatisch auf einen Betrug hindeuten. Eine Person, die nachts um zwei Uhr Turnschuhe bestellt, arbeitet vielleicht im Schichtbetrieb, kommt von einer Party zurück oder hat einfach Schlafstörungen. Und eine Person, die in einer berüchtigten Gegend wohnt, kann dennoch kreditwürdig sein.

KI kann hier in aller Regel differenzierter vorgehen als regelbasierte Methoden, die im Zweifel lieber eine Transaktion zu viel verhindern als eine zu wenig.

Online-Shops verlieren Milliarden durch "freundlichen Betrug"

Allerdings gehört zur Wahrheit auch, dass man Betrug nie ganz verhindern können wird. Besonders schwer zu erkennen ist der sogenannte "freundliche Betrug". Dieser liegt vor, wenn Kunden eine legitime Transaktion anfechten und behaupten, sie hätten den Kauf nicht autorisiert, das Produkt nicht erhalten oder es entspräche nicht der Beschreibung. In diese Kategorie fällt beispielsweise ein Kind, das die Kreditkarte der Eltern benutzt, ohne dass diese es mitbekommen; aber auch Personen, die eine Rückerstattung verlangen, obwohl sie die Ware fristgerecht bekommen haben.

"Friendly Fraud" kostet Händler weltweit mehr als 100 Milliarden Euro und mehr als jeder dritte Kunde gibt zu, schon einmal eine unberechtigte Rückerstattung beantragt zu haben. Die Betrüger sind dabei am häufigsten über 45 Jahre alt. Diese Gruppe ist finanziell besonders stark belastet und gestresst. Umfragen zufolge sehen sie sich häufig versucht, durch Betrug den finanziellen Druck zu lindern.

Händler müssen ihr Risiko verstehen

Händler müssen ihre Risiken im E-Commerce daher genauso gut verstehen wie im stationären Handel. Dabei ist es entscheidend, den Kernmarkt und die Kundenbasis genau zu kennen. Verschiedene Sicherheitsmaßnahmen, wie die starke Kundenauthentifizierung (SCA) und das Transaktionsmonitoring durch Zahlungsdienstleister wie Unzer, können helfen, Risiken zu minimieren.

Auch der persönliche Kontakt, beispielsweise durch einen Anruf, kann nützlich sein - nicht nur zur Klärung von Zweifelsfällen, sondern auch zur Stärkung der Kundenbindung. Besonders bei Produkten, die anfällig für "Friendly Fraud" sind, wie digitale Güter, ist ein enger Austausch mit dem Zahlungsabwickler empfehlenswert.

Fazit

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Künstliche Intelligenz eine wichtige Rolle dabei spielt, den Onlinehandel sicherer zu machen. Zwar kann Betrug nie ganz ausgeschlossen werden, aber KI hilft, betrügerische Aktivitäten früh zu erkennen und deutlich zu verringern. Daher ist der Einsatz von KI-Technologien ein entscheidender Schritt hin zu einem vertrauenswürdigeren und sichereren Onlinehandel.

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