Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) ist in Kraft. Es sanktioniert Benachteiligungen wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion, der Weltanschauung, des Alters, der sexuellen Identität oder einer Behinderung. Für die Unternehmen ergeben sich umfassende Organisationspflichten, die den Schutz der Beschäftigten vor einer solchen Diskriminierung zum Ziel haben. Insbesondere sollen die Unternehmen durch Schulungen, Aus- und Fortbildungsmaßnahmen darauf hinwirken, dass ungerechtfertigte Benachteiligungen unterbleiben. Andernfalls drohen Schadensersatzansprüche der Betroffenen - ganz abgesehen von dem Imageschaden, den ein Unternehmen erleidet, wenn es von seinem Beschäftigten wegen solcher Benachteiligungen vor Gericht gebracht wird.
Zahlreiche Seminarangebote
Um sich dem Vorwurf vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung solcher Obliegenheiten zu entziehen, werden die Unternehmen verstärkt auf externe Seminarangebote zurückgreifen. Die Schulungsindustrie ist schon in Schwung gekommen. Hiervon kann sich jeder überzeugen, der etwa die Ergebnisse zum Google-Sucheintrag "AGG" durchsieht. Die Gefahren des AGG für die betriebliche Praxis werden besonders hervorgehoben. "Wer nicht schult, muss zahlen", heißt es etwa im "Handelsblatt" vom 07.07.2006 unter Berufung auf arbeitsrechtlichen Expertenrat.
Der Geschäftsidee schadet es sicher nicht. In den USA berich- ten Kenner der Szene von einem regelrechten "Seminarzirkus" ("Süddeutsche Zeitung" vom 03.07.2006). Aber nicht nur die Mitarbeiterschulung ist Gegenstand der Weiterbildungsbemühungen. Empfohlen wird etwa die umfassende Dokumentation von Einstellungsgesprächen, um sich im Falle eines Gerichtsverfahrens vom Benachteiligungsvorwurf exkulpieren zu können. Überhaupt fällt auf, dass viele Anwälte vor einer Flut von Klageverfahren warnen - um im selben Augenblick Abhilfe in Form von Beratungsleistungen anzubieten.
Betriebliche Umsetzung des AGG
Das Ziel des gesetzlichen Benachteilungsverbots tritt hierbei völlig in den Hintergrund. Wenn Antidiskriminierung im Unternehmen gelebt werden soll, müssen Benachteiligungssachverhalte offengelegt und aufgearbeitet werden. Es geht daher bei der betrieblichen Umsetzung des AGG nicht um das Meistern diskriminierungsgeneigter Situationen und um strafbefreiende Rituale des politisch Korrekten. Vorhandene Diskriminierungen sollten im Betrieb offen erörtert werden, um Schlussfolgerungen für die künftige Praxis zu ziehen. Durch die ständige Furcht des Unternehmens vor Entschädigungsklagen seiner Beschäftigten sollte dieses Herangehen nicht erschwert werden.
Die Furcht, dass gerade bei Offenlegung von Diskriminierungssachverhalten das Klagerisiko steigt, ist allerdings nicht unbegründet. Das AGG steht sich nämlich hinsichtlich der Erreichung der Gesetzesziele gleichsam selbst im Weg. Das entscheidende Hindernis eines optimalen Diskriminierungsschutzes ist die Beweislastregelung in § 22, die nicht einmal europarechtlich zwingend vorgegeben war.
Diese schafft die Möglichkeit, Diskriminierungsvorwürfe zur Verfolgung sachfremder Zwecke zu missbrauchen. Derjenige, der sich diskriminiert fühlt, muss lediglich Tatsachen glaubhaft machen, die eine Benachteiligung "vermuten lassen". Er kann hierdurch die Gegenseite regelmäßig in Beweisnot bringen. Denn der derart Beschuldigte hat nach Glaubhaftmachung der Vorwürfe den vollen Entlastungsbeweis zu erbringen - und das ist oft unmöglich.
Um die Gefahren dieser Regelung zu verstehen, muss man sich vergegenwärtigen, was unter Glaubhaftmachung verstanden wird. Nach der Zivilprozessordnung genügt zur Glaubhaftmachung eine so genannte "Versicherung an Eides Statt". Das heißt, der Betroffene muss den Sachverhalt, der aus seiner Sicht eine Diskriminierung wahrscheinlich macht, lediglich als wahr versichern. Oft beziehen sich solche Erklärungen auf Situationen, in denen nur zwei Personen beteiligt waren. Die Unwahrheit solcher Versicherungen muss nicht unterstellt werden. Dennoch wird die eidesstattliche Versicherung den Geschehensablauf oft aus einem subjektiven Blickwinkel schildern.
Wie soll aber dann der Gegenbeweis erbracht werden? Dass in New York kein Mann mehr allein mit einer Frau den Aufzug benutzt, wie dies ein Manager in der "Süddeutschen Zeitung" vom 03.07.2006 berichtet, könnte nach dem AGG auch deutsche Wirklichkeit werden.
Klima wird belastet
Die Beweislastregelung kann das Klima in den Betrieben auch dann erheblich belasten, wenn es sich nicht um Fälle vorgeblicher sexueller Belästigung handelt. § 22 des AGG bietet die Steilvorlage zur Durchsetzung von Zielen, die keinen sachlichen Zusammenhang zum Diskriminierungsvorwurf aufweisen. Leicht lässt sich die Behauptung "glaubhaft" machen, eine Bonuszahlung sei etwa wegen einer Behinderung geringer als bei vergleichbar eingesetzten Kollegen ausgefallen.
Dass eine arbeitsrechtliche Abmahnung nichts mit einer vorangegangenen weltanschaulichen Meinungsäußerung zu tun hat, ist im Streitfall kaum zu beweisen. Wenn jemand nicht befördert wird, kann dies mit seiner Homosexualität zu tun haben, wofür als Anhaltspunkte abfällige Äußerungen des Vorgesetzten versichert werden können.
Und nebenbei: Natürlich ist die Benachteiligung in all diesen Fällen sogar tatsächlich gegeben und müsste daher dringend aus der Welt geschafft werden. Der Verdacht, dass unter Nutzung der Beweislastregelung aber nur ein Vorwurf vorgeschoben wird, bleibt oft bestehen. Das ist bedauerlich, weil hierdurch der Eindruck entstehen kann, bestimmte Beschäftigte würden durch Erhebung von Diskriminierungsvorwürfen nur ihre Nische absichern und eigennützige Interessen verfolgen. Könnte hingegen der Sachverhalt objektiv geklärt werden, wäre die Spreu schnell vom Weizen getrennt und bei erwiesener Diskriminierung schnell Abhilfe geschaffen.
Dass die Unternehmen aktiv an der Unterbindung von Diskriminierungen interessiert sind, liegt übrigens auf der Hand. Benachteiligungen wirken sich direkt auf das Betriebsklima und damit auf die Motivation der Mitarbeiter aus. Diskriminierung verhindert, dass die positiven Eigenschaften des Einzelnen im Interesse des Unternehmens voll zum Tragen gebracht werden. Es ist schlicht inakzeptabel, wenn etwa eine Arbeitnehmerin bei einer Beförderung übergangen wird, weil sie auf Anzüglichkeiten des Vorgesetzten ablehnend reagiert hat.
Andererseits lässt sich die Sachlage nur klären, wenn dem dieser Verhaltensweise Beschuldigten die faire Chance einer Entlastung ermöglicht wird. Nur ein objektiv festgestellter Sachverhalt sollte Anlass für Sanktionen sein, nicht die auf Grund einer vertrackten Beweislastregelung nicht widerlegbare subjektive Schilderung eines Geschehensablaufs.
Die Unternehmen sind allerdings durchaus im Stande, der Instrumentalisierung des Diskriminierungsschutzes vorzubeugen. Fällt der Gesetzgeber aus, sollten betriebliche Instrumente entwickelt werden, die im Einklang mit dem Gesetz die Gefahren, die von der Beweislastregelung ausgehen, vermindern.
Internes Verfahren vereinbaren
Empfehlenswert ist es, mit Arbeitnehmern bei Vertragsabschluss zu vereinbaren, dass der Gerichtsweg wegen Diskriminierungssachverhalten erst beschritten werden darf, wenn zunächst ein innerbetriebliches Vorverfahren durchlaufen wurde. Mit bereits betriebsangehörigen Arbeitnehmern kann diese Vorverfahrensregelung nur durch eine Ergänzung zum bestehenden Arbeitsvertrag erreicht werden. Man muss insofern auf die Einsicht der Beschäftigten hoffen. § 15 Abs. 4 des AGG sieht eine Zwei-Monats-Frist vor, innerhalb der Schadensersatzansprüche schriftlich geltend gemacht werden müssen. Die gerichtliche Geltendmachung ist aber nicht an Fristen gebunden. Das bedeutet, dass dem Vorverfahren ausreichend Zeit eingeräumt werden kann.
Zweck des Vorverfahrens wäre die objektive Sachverhaltsermittlung, die durch Anhörung der Beteiligten und von Zeugen erfolgen könnte. Als Gremium zur Erledigung dieser Aufgabe könnte eine Art Gleichbehandlungsausschuss vorgesehen werden, dem erfahrene Vertreter des Arbeitgebers, aber durchaus auch der Belegschaft angehören könnten. An die Beweislastregelung des Gesetzes sollte dieses Gremium nicht gebunden sein; im Vordergrund stünde die objektive Aufklärung, wie sie im Strafprozess, wie auch in Streitigkeiten zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber, seitens der Gerichte praktiziert wird.
Ziel des Vorverfahrens wäre neben der Sachverhaltsfeststellung die Unterbreitung eines Schlichtungsvorschlags, der gegebenenfalls auf Beseitigung einer eingetretenen Diskriminierung gerichtet ist und ähnliche Vorfälle für die Zukunft ausschließt. In der Betriebsvereinbarung kann verbindlich geregelt werden, dass erst nach Erledigung des Vorverfahrens das Gericht angerufen werden kann. Eine unzumutbare Beschränkung des Rechtswegs stellt die Regelung nicht dar. Die Möglichkeit der Anrufung des Gerichts wird nach Beendigung des Vorverfahrens ermöglicht. Folgen die Beteiligten dem Schlichtungsvorschlag, ist der Klageweg überflüssig.
Die Wahrscheinlichkeit, dass der Diskriminierungsvorwurf nicht zur Verfolgung sachfremder Ziele eingesetzt werden kann, wäre durch die hier empfohlene Umsetzungsregelung jedenfalls erhöht worden. MF