Zwischen Hype und Profi-Anwendungen

Wearables im Business-Einsatz

Klaus Hauptfleisch ist freier Journalist in München.

Große Erwartungen an Smart Glasses

"Nach Smartwatches werden Smart Glasses mit Google als neuer starker Player 2014 zum nächsten großen Ding im Wearable-Markt", ist ABI-Analyst Flood überzeugt. Während Google und Epson mit den halbtransparenten Moverio-Brillen eher Consumer im Blick haben, steht beim US-Hersteller Vuzix der B2B-Nutzen sehr stark im Vordergrund. Seit im Februar 2013 die ersten Testmuster für Google Glass an Entwickler gingen, hat sich gerade an der B2B-Front vieles getan. Noch in diesem Jahr soll die Massenvermarktung für Consumer und B2B-Anwendungen losgehen. Philips und Accenture haben, zunächst noch als Machbarkeitsstudien, konkrete Einsatzszenarien für Google Glass in der Öl- und Gasbranche bei der Reparatur der Pipelines entwickelt sowie Anwendungen für den Klinikbetrieb. Aber auch Biker und Motorradfans sollen auf ihre Kosten kommen, indem sie sich im Sichtfeld des Head-up-Displays ihr Tempo und die vor ihnen liegende Strecke anzeigen lassen können.

Hands-free - mehr als eine Hand frei

Ob im Warenlager, bei der Kommissionierung oder Wartung von Maschinen, erlauben Smart Glasses das freihändige Arbeiten. SAP hat mit Brillen von Google und Vuzix schon entsprechende AR-Lösungen vorgestellt.
Ob im Warenlager, bei der Kommissionierung oder Wartung von Maschinen, erlauben Smart Glasses das freihändige Arbeiten. SAP hat mit Brillen von Google und Vuzix schon entsprechende AR-Lösungen vorgestellt.
Foto: Vuzix

In der Industrie, in bestimmten Handwerksberufen und in der Logistik werden Head-up-Displays gepaart mit AR-Lösungen schon seit Jahren erprobt und eingesetzt. Wichtigstes Plus ist das "hands-free" oder freihändige Arbeiten. In einem SiWear genannten Gemeinschaftsprojekt hat SAP in einem LKW-Werk von Mercedes-Benz eine etwas klobig aussehende Datenbrille früh in der Kommissionierung erprobt. "Worum es hierbei auch geht, ist, dass die Datenwelt des Unternehmens vor das Auge des Arbeiters gebracht wird", erklärt SAP-Projektleiter Jörg Rett. Zusammen mit Vuzix und Bechtle hat der Softwareriese ein Video (http://www.youtube.com/watch?v=9Wv9k_ssLcI) gedreht, um die Möglichkeiten im Warenlager vorzuführen. Wo Lageristen früher mit Barcode-Scannern die Regale abgingen, können sie mit der Datenbrille komplett freihändig arbeiten, während ihnen im Display und per Sprachnachricht die abzuholenden Waren mit Beschaffenheit und Ausgabeziel angezeigt werden. Dabei kann auch integriertes GPS zum Einsatz kommen.

Doch dies ist nicht das einzige Einsatzszenario in der Fahrzeugindustrie. Hersteller wie Audi, General Motors, Mercedes-Benz, Toyota und VW haben bereits AR-Lösungen für die Reparatur und Wartung der Fahrzeuge entwickelt. Damit wollen sie nicht nur Werkstätten, sondern mitunter auch Privatkunden adressieren. Entsprechende Produktstudien mit Google Glass hat etwa Metaio vorgestellt. Gartner rechnet damit, dass bis 2018 jedes zehnte Unternehmen solche Lösungen einsetzen wird und damit Milliardeneinsparungen erzielt werden.

Erste virtuelle OPs

Ein anderes SAP-Video zeigt Google Glass mit SAP HANA als Cloud-Lösung im Klinikalltag. Ärzte erhalten so bei der Stippvisite sofort Diagnosebilder, Medikamentenvorgaben und andere Informationen. Die Einsatzmöglichkeiten für Datenbrillen im Klinikbetrieb reichen bis in den Operationssaal und von dort in den Hörsaal von Universitäten oder zu Spezialisten rund um die Welt. Dies hat im August 2013 das Ohio Medical State Wexner Center mit der ersten Live-Übertragung einer OP über Google Glass gezeigt. In Birmingham haben mehrere Chirurgen mit Hilfe von Google Glass über 160 km voneinander entfernt erstmals gleichzeitig eine Operation durchgeführt, ebenso in Brasilien und im Highland Hospital der University of Alabama. Dabei wurde dem ausführenden Chirurgen vor Ort von seinem Kollegen wie mit Geisterhand das Operationsbesteck geführt. Das Evena Medical Center aus Kalifornien hat auf Basis der Moverio-Technologie von Epson eine Eyes-on genannte Brille entwickelt, mit der Krankenpersonal praktisch "durch die Haut sehen" kann, um Venen leichter lokalisieren zu können.

Gesundheits-Management mit Wearables

Die Gartner-Analysten sehen Wearables für die persönliche Gesundheit und Fitness nicht nur als reine Consumer-Ware. Viele Produkte hätten auch Potenzial für das Gesundheits-Management in Unternehmen oder als Pay-back-Köder von Krankenkassen. Die Marktforscher haben in einem Report fünf besonders "coole" Hersteller und Lösungen herausgestellt. Dazu gehört etwa MC10 mit dehnbaren elektronischen Sensoren und Schaltkreisen, die wie "digitale Tatoos" eine Reihe von Biometriedaten einschließlich EKG aufnehmen können. Erste kommerzielle Anwendung sind im Profitraining eingesetzte Checklight-Schutzkappen von Reebok mit LED-basiertem Ampelwarnsystem bei Kopfverletzungspotenzial. Zephyr Technology entwickelt mit Biomodulen Lösungen für das Physio-Monitoring (PSM) über größere Entfernungen. Dazu gehört auch ein PSM Training ECHO genanntes System, das auf bis zu über 300 Metern von bis zu 50 Sportlern mit Zephyrs Bioharness-Brustgurten oder Compression Shirts eine Reihe wichtiger Biometriedaten sammeln kann und sich im Training so mancher Profimannschaften bewährt hat. Wearable Cloth könnte nach Smart Glasses in den kommenden Jahren laut ABI-Analyst Flood ds nächste große Thema sein.

Auf dem Weg ins Cyborg-Zeitalter

Absehbar ist auch eine andere Entwicklung: Wearables werden mit Neuro- oder ITK-Implantaten künftig von außen in den Köper vordringen und damit das Zeitalter der Cyborgs oder der Mensch-Maschine-Hybriden einläuten. Der komplett farbenblind geborene britische Künstler Neil Harbisson hat mit einer Eyeborg genannten Vorrichtung aus Sensor und Kopfhörer gelernt, Farben zu hören, statt sie zu sehen. Weil er sich weigerte, diese für die Passerneuerung abzunehmen, wurde er vor zehn Jahren zum ersten staatlich anerkannten Cyborg. Die von ihm mitgegründete Cyborg Foundation widmet sich vor allem der Erforschung sensueller Substitute und setzt sich unter anderem zum Ziel, Eyeborg zum Implantat weiterzuentwickeln. Weltweit leben über 100.000 Patienten mit Parkinson, Epilepsie und schweren Depressionen schon mit Hirnschrittmachern. Der Schritt zu intelligenzfördernden und leistungssteigernden oder gar beeinflussenden Neuroimplantaten scheint nicht mehr weit. Dass das Pentagon für deren Erforschung gerade die Mittel aufgestockt hat, schreckt nicht nur Verschwörungstheoretiker auf. Ethikräte warnen nicht umsonst seit Jahren vor den Gefahren von Cyber-Rassismus.

Fazit

Wearables eröffnen viele spannende Möglichkeiten, privat wie in Unternehmen. Sie werfen aber auch eine Reihe von ethischen und rechtlichen Fragen auf. Im Dienste der Gesundheit sind Wearables sicherlich ein Segen, aber wenn das Tragen derselben vom Personalwesen zur Auflage gemacht würde, wäre das nicht mehr tolerierbar. (hi)

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