Es ist immer wieder besonders, als IT-Berater mit Kunden über den Unterschied von Aufwand und Dauer in der IT zu reden. Denn auch wenn manches theoretisch schnell geht, weil der Aufwand gering ist, kann die Dauer ein Vielfaches ausmachen. Bei einem großen deutschen Industrieunternehmen, das ich besucht habe, dauert beispielsweise die Anlage eines neuen IT-Benutzers über 6 Wochen, ein Akt, der theoretisch in weniger als 10 Sekunden erledigt werden kann. Ein typischer Fall für viele Aufgaben der traditionellen IT.
Dabei geht es für Administratoren und CIOs auch anders: Es ist technisch möglich, dass man jedes Angebot, das im eigenen Servicekatalog erfasst ist, innerhalb von vier Minuten umsetzt. Wenn die Anforderung durch den Benutzer über ein Self-Service-Portal gestellt wird und der Service dazu noch hochverfügbar und skalierbar ist, sprechen wir von einer Cloud. Dennoch ist es für Unternehmen ein gewisser Aufwand, diesen Automatisierungsgrad in einer Infrastruktur zu erreichen.Hier beginnt das Spannungsfeld, das für IT-Verantwortliche nicht selten zum Bermudadreieck ihrer Ziele wird.
Bei den Diskussionen von "Need-to-Have" und "Nice-to-Have" gelten die vier Minuten Umsetzungszeit als Nice-to-Have. "So schnell braucht das doch niemand," bekomme ich dann aus der IT zu hören. Wahlweise lautet die Antwort auch "Unsere Benutzer sind es gewohnt, zu warten." Oder: "Wenn wir die Anforderung innerhalb von einer Woche umsetzen, werden wir ja auch schon schneller als heute." Das mag alles sein. Ich aber habe mich gefragt: Wo ist der Nutzen von Geschwindigkeit und wie kann man ihn berechnen?
Ein Controller tut sich schon schwer, den Nutzen von IT zu unterscheiden, ob beispielsweise die Bereitstellung einer Mitarbeiter-Applikation innerhalb von 4 Minuten, 4 Stunden oder 4 Tagen erledigt ist. Da muss das Geschäft schon sehr volatil sein, damit ein deutlicher Unterschied im Nutzen zu erkennen ist, was aber in den meisten deutschen Unternehmen nach meiner Erfahrung nicht der Fall ist.
Brauchen wir nun diese Verkürzung auf 4 Minuten, die fast Echtzeit sind, wirklich? Oder haben die Anwender immer noch echt Zeit? Wenn im Vorfeld des IT-Gipfels von Industrie 4.0, digitaler Transformation und der Zukunft des deutschen Mittelstandes die Rede ist und die Politik mehr IT-Begeisterung von diesem einfordert, sollten die Teilnehmer nicht vergessen, wer die Rahmenbedingungen für Netzausbau und digitale Agilität setzt. Der Mittelstand selbst ist es nicht.
- Achillesferse der Digitalisierung
In dem Papier "Being digital: Embrace the future of work and your people will embrace it with you" bezeichnet Accenture die Belegschaft eines Unternehmens als "Achillesferse" der Digitalisierung. Das Papier basiert auf Angaben von rund 700 Entscheidern weltweit sowie circa 2.500 Angestellten. - Befürchtungen der Mitarbeiter
Eine Mehrheit von 70 Prozent der Angestellten befürchtet den Verlust von Teamgeist, wenn die Kollegen per Fernzugriff arbeiten und nicht mehr ins Büro kommen. Etwa jeder Achte (zwölf Prozent) erwartet, seine Job-Aussichten werde sich durch die Digitalisierung negativ entwickeln. - Vorteile der Digitalisierung
Gleichzeitig erwarten die Angestellten aber auch Vorteile in den Punkten Innovationsfähigkeit ihres Unternehmens (71 Prozent), Agilität (69 Prozent) und Produktivität (68 Prozent). Insbesondere jüngere Befragte mit überdurchschnittlich hoher Qualifikation sehen die Vorteile der Digitalisierung – "wenig überraschend", wie Accenture schreibt. - Katalog digitaler Skills
Accenture rät Entscheidern, einen Katalog mit den benötigten digital Skills samt dem jeweiligen Kompetenzniveau zu erstellen. - Keine Nebensache
Entscheider dürfen das Thema Mitarbeiter nicht als Nebenschauplatz behandeln, so der Appell von Accenture. Sie brauchen eine "Test and learn"-Mentalität.
Der Mittelstand ist gefordert
Was mittelständische Unternehmen und ihre IT-Abteilungen aber leisten können, ist es, Berechenbarkeit in die Umsetzung von Serviceanforderungen und ihre SLAs zu bringen. Wie schnell wird der eigene oder externe IT-Service garantiert? Viele Service Level Agreements mit Support-Dienstleistern sagen nur etwas über die Verfügbarkeit und die Unterstützung im Fehlerfall, aber nicht über die Bereitstellungsdauer aus. Und so ist die Dauer von der Verfügbarkeit einzelner Menschen im Support und deren Stresslevel im Tagesgeschäft abhängig. Das ist Gift für vernetzte Produktion und mobiles Arbeiten in Echtzeit.
Und da schafft die Automatisierung des IT Service Managements eines sehr deutlich: Die Unabhängigkeit von der menschlichen Verfügbarkeit. Dieser Debatte müssen sich deutscher Mittelstand, IT-Anbieter aber auch Politik, Verbände und Wirtschaftsethiker jetzt stellen. Wir dürfen automatisierte IT-Services nicht nur heimlich gut finden, wenn sie anonym aus dem Netz daherkommen, sondern auch wenn sie im eigenen Unternehmen in Deutschland stattfinden.
Mitarbeiter und Kunden in die Komfortzone bringen
Bei der IT-Erwartungshaltung der Anwender und Mitarbeiter ist die Ungeduld noch weiter ausgeprägt, was zwei Ursachen hat:
Einerseits ist durch die große Arbeitsverdichtung der Mitarbeiter eine langfristige Planung nicht immer gegeben - oder wird durch die Belastung einfach mal vergessen.
Andererseits ist das Erleben im privaten Umfeld durch soziale Netzwerke, Online-Shopping oder Appification genau dieser Echtzeitansatz.
Während wir noch vor zehn Jahren froh waren, wenn die Benutzer den Umgang mit der EDV zu Hause vertieften, um die Schulungskosten niedrig zu halten, ist die private IT nun der echte Treiber für die Unternehmens-IT. Möchte ich zu Hause ein neues Album haben, kaufe ich es im Internet und lade es herunter oder streame es. Brauche ich Plattenplatz, bekomme ich ihn sofort - gegebenenfalls nach Eingabe der Kreditkartendaten. Es passiert privat vieles sofort und wir haben uns alle herrlich daran gewöhnt. Die Welt würde für uns auch nicht untergehen, wenn es eine Woche dauern würde, aber der Komfort verdirbt die Wartebereitschaft.
Und dieser Komfort ist es auch, der Kolleginnen und Kollegen dazu bringt, sich berechenbare, schnell umsetzbare Alternativen zur IT zu suchen, was wir heute als Schatten-IT bezeichnen. Man bedient sich selber und das unabhängig von Unternehmensgrenzen - in fast allen deutschen Unternehmen. Immerhin ist die Schatten-IT der Ansatz, der es für den Controller wieder einfacher macht, zu berechnen, was passiert, wenn es den Benutzern nicht schnell genug geht: Verlust von Governance, Abwanderung von Unternehmensinformationen in potentiell unsichere Lösungen und eine erschwerte Zusammenarbeit zwischen Organisationseinheiten, weil ein Angebot in der Schatten-IT sich meistens nur in einer Abteilung durchsetzt.
Sich allein vorzustellen, dass eine Vertriebsabteilung sein CRM mit Excel, eine andere in einer Datenbank, die selbst entwickelt wurde und die dritte in einem CRM in der Cloud pflegt, führt zu einem berechtigten und umgehenden Unwohlsein der Unternehmensleitung.
Daher sollte es sich jeder IT-Verantwortliche im Mittelstand gut überlegen, ob ein Echtzeit-Ansatz nicht doch erstrebenswert ist - im Sinne der eigenen Daseinsberechtigung und somit als Zukunftssicherung in Zeiten, in der die Fachabteilungen und Mitarbeiter darüber entscheiden, ob Sie Ihre IT-Budgets intern oder extern ausgeben. (bw)