DÜSSELDORF: Um im Markt zu bestehen, gehen Unternehmen verstärkt auf elektronische Partnersuche. Dabei kommt es häufig zu strategischen Bündnissen, wie "Wirtschaftswoche"-Redakteur Jörg Wurzer* beobachtet hat.Die Hoffnungen sind groß: Viel schneller als ihre Mitbewerber sollen die virtuellen Unternehmen auf den Markt reagieren. Nur die Besten machen im Verbund selbständiger Firmen mit, die sich je nach Projekt in immer wieder neuen Kombinationen zusammenschließen. Werden mehr Ressourcen gebraucht als geplant, tritt ein weiterer Partner hinzu. Das virtuell Unternehmen als Allzweckwaffe gegen den Marktdruck: So jedenfalls könnte das unternehmerische Netzwerk von morgen aussehen.
Datenautobahnen wie Internet und Intranet sind die Voraussetzungen dafür, daß sich solche neuen Organisationsformen im Alltag bewähren können. Räumliche und zeitliche Distanzen lassen sich auf diese Weise überwinden, verstreute Teams und Unternehmen integrieren. Doch die Praxis bleibt oft hinter der Theorie zurück. "Die großen Erwartungen basieren meist auf dem Glauben, eine gute technische Ausstattung reiche aus, um diese Form der Unternehmens-zusammenarbeit auszunutzen", kritisiert Theodor Pindl vom European Telecoaching Institute in Freiburg. Worauf es ankäme, wäre eine größere Langzeiterfahrung mit virtuellen Projekten und eine größere Stabilität in der Partnerschaft.
Dennoch gibt es bereits durchaus positive Ansätze. Das Anwenderzentrum des Instituts für Werkzeugmaschinen und Betriebswissenschaften (iwb) in Augsburg startete im Juni 1997 einen virtuellen Markt. Zwölf Partner sind heute dabei. "Unser virtueller Markt ist ein langfristig stabiles Netzwerk von Unternehmen, das unabhängig von einem bestimmten Produkt oder Auftrag existiert", so Klaus Schliffenbacher vom iwb. Erst nach einer konkreten Anfrage bildet sich eine Kooperation passender Unternehmen. Eine speziell entwickelte Software vermittelt Aufträge und benachrichtigt die Projektbeteiligten. Auch interne Ausschreibungen sind üblich.
Die Consultens Informationstechnik GmbH aus München hat bereits Nutzen aus dem virtuellen Markt gezogen. "Wir hatten einen Kapazitätsengpaß", berichtet Hermann Lindl von Consultens. "Doch durch das Netzwerk konnte die Cadcon Ingenieurgesellschaft in Gersthofen bei Augsburg für die ausstehende Arbeit gewonnen werden." Um einen Kooperationspartner zu gewinnen, erlaube der virtuelle Markt einen hohen Zeitgewinn gegenüber dem klassischen Weg der Partnersuche, schwärmt Lindl.
Noch aber ist der virtuelle Markt zu klein, um seine Schlagkraft unter Beweis zu stellen. "Es sind zu wenig Firmen aus zu unterschiedlichen Branchen im Netzwerk", meint Karl-Heinz Richter von der gleichnamigen Firma für Metallverarbeitung in Senden bei Ulm. Richter hofft auf eine langfristige Entwicklung, "denn auch ein virtuelles Unternehmen muß sich am Markt behaupten", sagt er.
Gezielte Vorbereitung wichtig
Anlaufschwierigkeiten hatte auch die Techno-Pool AG, die Gesamtlösungen im Bereich Informationstechnologien und Netzwerke anbietet. Unter dem Dach des Pools werden künftig mindestens 15 Unternehmen vereint. Sie alle sollen ihre Eigenständigkeit behalten. "Ideal ist eine Auslastung von 50 Prozent für den Techno-Pool", meint Richard Wagner, geschäftsführender Gesellschafter von Com Plan im hessischen Groß-Gerau. Sein Unternehmen hat die Projektleitung übernommen und ging forsch zu Werk. "Man darf den Beteiligten keinen Freiraum einräumen", betont Wagner. Sechs Wochen habe man am Anfang lediglich diskutiert. Fast drohte der Techno-Pool daran zu scheitern. "Ein virtuelles Unternehmen braucht gezielte Vorbereitung, damit jeder weiß, was sich hinter seinem Part verbirgt", erklärt Wagner. Arbeitsdisziplin sei deshalb noch mehr erforderlich als in klassischen Unternehmen.
Gelernt haben die Beteiligten von Techno-Pool auch, daß eine rein elektronische Kommunikation für ein virtuelles Unternehmen nicht ausreicht. "Erst ein Face-to-face-Kontakt", so Wagner, "läßt Vertrauen wachsen und Kreativität zum Zuge kommen. Einmal im Monat treffen sich die Partner von Techno-Pool deshalb in verschiedenen Arbeitsgruppen, um die künftige Strategie ihres gemeinsamen Unternehmens zu disku-tieren. Zehn Auftragsangebote erhielt der Verbund bereits, darunter vom GMD Forschungszentrum Informationstechnik in St. Augustin und IBM Deutschland. "Leider mußten wir feststellen, daß wir noch nicht genügend Man-Power hatten", bedauert Wagner.
Virtuell an die Börse
Die Ziele sind hoch gesteckt: In drei bis fünf Jahren soll die Techno-Tool AG an die Börse gehen. Com Plan wird als Dienstleister auftreten, um das Netzwerk der beteiligten Partner zu verwalten. Eine Zentrale wird es nicht geben. Die Techno-Pool bleibt vollständig virtuell.
Im virtuellen Raum operiert auch die "Virtuelle Fabrik Euregio Bodensee", die sich seit Anfang des Jahres von der Eliteuniversität St. Gallen abgenabelt hat. Auf eignen Füßen will sie sich im freien Wettbewerb behaupten. 15 Unternehmen gehören dem Netzwerk an, die sich je nach Auftrag in wechselnden Kooperationen zusammenschließen. Drei Makler vertreiben die Netzkapazitäten und verteilen die Aufträge. "Das heißt nicht, daß sich die anderen zurücklehnen können", betont Stephan Eisen, Sprecher der Virtuellen Fabrik. Das Entscheidende sei, daß die Partner das Netzwerk auch nutzen.
Gerade darin liegt aber eines der wesentlichen Probleme: Länger als zwei Jahre hat es gedauert, bis die Virtuelle Fabrik in Schwung kam. Dann kamen die ersten Kooperationen zustande. Selbst eine moderne Luftreinigungsmaschine wurde mit Hilfe der Netzwerkkontakte produziert. "Ein einzelnes Unternehmen hätte die Entwicklung nicht so schnell auf den Markt bringen können", ist Eisen stolz.
Daß virtuelle Strukturen, in denen sich kurzfristige Partnerschaften bilden, auch in bereits bestehenden Unternehmen immer beliebter werden, zeigt das Beispiel SAP. Mit wechselnden Partnern aus einem Pool speziell zertifizierter Unternehmen führt der deutsche Softwareriese aus Walldorf seine Projekte zur Einführung der Software R/3 durch. Der Kunde kann wählen, welchen dieser Partner er bevorzugt, wenn es beispielsweise schon eine Zusammenarbeit mit einem Hardwarelieferanten gibt.
Die Virtualisierung setzt sich sogar in bestehende Unternehmen hinein fort. So beim Softwarespezialisten Seitz in Pforzheim. Projekte werden dort intern ausgeschrieben. Mit den Mitarbeitern konkurrieren aber auch externe Partner. Dadurch entsteht eine flexible Firmenstruktur, die ständig auf der Suche nach den Besten ist. Das hat sich auch das GMD Forschungszentrum Informationstechnik im Projekt "Kooperative Räume" zunutze gemacht. Das Ziel ist vorgegeben, bislang aber noch in weiter Ferne: Jeder Mitarbeiter sucht sich denjenigen Arbeitsplatz aus, den er aktuell benötigt und der zu seiner jeweiligen Aufgabe paßt. Ein dichtes elektronisches Netzwerk sorgt dafür, daß alle Daten, die früher nur auf dem eigenen PC gespeichert waren, sich überall abrufen lassen.
*Der Beitrag erschien zuerst in der "Wirtschaftswoche" Nr. 20 vom 07.05.1998