Neben der offiziellen Anzahl an Überstunden, die die Arbeitnehmer leisten, gibt es noch eine Grauzone von nicht registrierter Überstunden – und deren Anzahl liegt sehr viel höher. Ihre praktische Bedeutung für das Erwerbsleben ist damit erheblich.
Grundsätzlich sind Überstunden Überschreitungen der durch einen Arbeitsvertrag, einen Tarifvertrag oder eine Betriebsvereinbarung festgelegten regelmäßigen Arbeitszeit. Ob ein Arbeitnehmer dazu verpflichtet ist, über die vereinbarte Arbeitszeit hinaus zu arbeiten, richtet sich insbesondere danach, ob der abgeschlossene Arbeitsvertrag, der Tarifvertrag (d. h. bei Tarifgebundenheit der Parteien) oder eine Betriebsvereinbarung eine entsprechende Regelung vorsehen.
Ohne eine ausdrückliche kollektiv- oder individualrechtliche Vereinbarung ist der Arbeitnehmer grundsätzlich nur verpflichtet, die vertraglich vereinbarte Arbeitzeit zu erbringen. Eine gesetzliche Verpflichtung zur Ableistung von Überstunden existiert nicht, sie folgt auch nicht aus dem in § 106 GewO verankerten Weisungsrecht des Arbeitgebers.
Überstunden bei Notfall und Abwehr von Gefahren
In solchen Fällen kann sich zunächst nur ausnahmsweise aus dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben eine Verpflichtung zur Leistung von Überstunden ergeben. Dies gilt vornehmlich für Notfälle oder sonstige außergewöhnliche – für den Arbeitgeber nicht vorhersehbare – Fälle, die zur kurzfristigen Abwehr von Gefahren für den Betrieb oder zum Schutz erheblicher betrieblicher Interessen erforderlich sind. Des Weiteren kann sich gegebenenfalls durch eine Auslegung des Arbeitvertrages eine Verpflichtung zur Leistung von Überstunden ergeben.
Erforderlich sind dann jedoch Anhaltspunkte, die sich aus der Betriebsüblichkeit oder aus der Art der übernommenen Arbeitsaufgaben ergeben können. Insoweit ist bei gut dotierten Führungskräften oder leitenden, außertariflichen Angestellten davon auszugehen, dass sie sich zu einem höheren Maß an Arbeitsleistung verpflichtet haben, auch wenn dies vertraglich unter Umständen nicht ausdrücklich normiert ist.
Anordnung von Überstunden
Dagegen enthalten viele Arbeitsverträge die ausdrückliche Verpflichtung des Arbeitnehmers, auf Aufforderung durch den Arbeitgeber Überstunden zu leisten. An diesen individualvertraglichen Regelungen bestehen grundsätzlich keine Bedenken, soweit die Grenze des Arbeitszeitgesetzes (ArbZG) nicht überschritten wird. Gleiches gilt für Regelungen zur Ableistung von Überstunden in Tarifverträgen oder Betriebsvereinbarungen.
Sind also entsprechend den vorstehenden Grundsätzen von Seiten des Arbeitnehmers Überstunden zu leisten, darf sich dieser derartigen Anordnungen des Arbeitgebers nicht widersetzen. Ansonsten können arbeitsrechtliche Konsequenzen wie Abmahnungen oder Kündigungen berechtigt sein. Allerdings verletzt der Arbeitnehmer seine arbeitsvertraglichen Pflichten dann nicht, sofern die Anordnung zur Leistung von Überstunden die Höchstgrenzen zulässiger Arbeit nach dem Arbeitszeitgesetz verletzt. Der § 3 S. 2 ArbZG, von dem nur in ganz außergewöhnlichen Fällen abgewichen werden darf, bestimmt, dass die tägliche Arbeitszeit von Arbeitnehmern – leitende Angestellte ausgenommen – maximal zehn Stunden beträgt.
Die Interessen sind abzuwägen
Anordnungen, die hierüber hinausgehen, verstoßen gegen ein gesetzliches Verbot und können somit von Arbeitnehmern sanktionslos verweigert werden. Zudem haben Arbeitgeber bei der Anweisung von Überstunden auch die Grundsätze billigen Ermessens zu beachten, wonach die beiderseitigen Interessen angemessen abzuwägen sind. Wo hier allerdings die Grenzen für die jeweils berechtigten Belange zu ziehen sind, kann aber kaum vorhergesagt werden.
Unabhängig von der Problematik, ob Überstunden vom Arbeitnehmer überhaupt zu leisten sind, stellt sich die weitere Frage, inwieweit angefallene Überstunden zu vergüten oder auszugleichen sind. Ein gesetzlicher Anspruch auf Überstundenvergütung besteht nicht. Auch hier gilt zu differenzieren, ob im konkreten Arbeitsverhältnis entsprechende Regelungen vorhanden sind oder nicht.
Überstunden – wenn die Regelung fehlt
Besteht keine ausdrückliche Regelung und erbringt der Arbeitnehmer dennoch mehr Arbeitsstunden als ursprünglich vertraglich vereinbart, wird die Vertragsauslegung regelmäßig ergeben, dass die geleisteten Überstunden zu vergüten sind. Im Stundenlohnbereich wird die Vergütung mit dem jeweiligen Grundlohn anzusetzen sein.
Bei der Vereinbarung eines Monatslohns unter gleichzeitiger Festlegung einer Arbeitszeit kann dagegen geschlussfolgert werden, dass sich die Vergütung nur auf die Leistungen innerhalb der vereinbarten Arbeitszeit bezieht. Von daher sind Überstunden mit dem auf eine Arbeitsstunde entfallenden Anteil des Monatsgehalts zu vergüten.
Die Höhe der einzelnen Zuschläge
Ob darüber hinaus noch ein Zuschlag für die geleisteten Überstunden zu zahlen ist, hängt allein davon ab, wie dies zuvor in dem jeweiligen Betrieb so gehandhabt worden ist und damit als stillschweigend vereinbart gelten kann oder wie dies in der jeweiligen Branche praktiziert wird. Im Zweifel schuldet der Arbeitgeber jedoch keinen Überstundenzuschlag.
Demgegenüber enthalten viele Arbeitsverträge und viele Tarifverträge dezidierte Regelungen darüber, ob und wie Überstunden gegenüber dem Arbeitnehmer ausgeglichen werden müssen. Üblich ist es, für Überstunden an Werktagen einen Zuschlag von 25 Prozent, für Überstunden an Sonn- und Feiertagen einen Zuschlag von 50 Prozent zum vereinbarten Lohn zu gewähren. Es kann aber auch geregelt sein, dass die geleisteten Überstunden durch Freizeit auszugleichen sind. Dann findet eine Vergütung in Geld nicht statt.
Pauschale Vergütung bei Überstunden bedenklich
Häufig enthalten Arbeitsverträge Regelungen, wonach eine bestimmte Anzahl von Überstunden mit einem bestimmten Pauschalgehalt abgegolten ist. Ist dabei die Anzahl der Überstunden ausdrücklich begrenzt und bewegt sich die Begrenzung im Rahmen des geltenden Arbeitszeitgesetzes, scheint eine solche Regelung zulässig zu sein. Höchstrichterlich ist diese Frage aber noch nicht abschließend geklärt.
Äußerst bedenklich sind jedoch Klauseln, die sämtliche anfallenden Überstunden mit einem Monatsgehalt pauschal abgelten, da der Arbeitnehmer letztlich nicht erkennen kann, welche Gegenleistung er für die vereinbarte Vergütung schuldet. Allgemein wird daher angenommen, dass solche Regelungen wegen des Verstoßes gegen das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 S. 2 BGB unwirksam sind. Allerdings werden bei leitenden Angestellten derartige Überstundenregelungen bislang für wirksam erachtet, wobei dies jedoch künftig ebenfalls fraglich werden könnte.
Zahlt der Arbeitgeber eine von ihm geschuldete Überstundenvergütung nicht freiwillig, muss der Arbeitnehmer den Rechtsweg zum Arbeitsgericht beschreiten. Dies geschieht in der Praxis jedoch recht selten. Zum einen kann ein solches Verfahren die Beziehungen zwischen den Parteien in einem ansonsten intakten Arbeitsverhältnis trüben.
Dokumentation der Überstunden
Zum anderen hat der Arbeitnehmer in einem Gerichtsverfahren die Überstunden äußerst detailliert darzulegen und zu beweisen. Häufig ist es aber so, dass Arbeitnehmer über eine längere Zeit erhebliche Überstunden auflaufen lassen. In einem Gerichtsverfahren entsteht dann oft die Schwierigkeit, dass der Arbeitnehmer nicht mehr genau schildern kann, welche Arbeitsstunden über die vertraglich vereinbarte Zeit hinaus geleistet worden sind und vor allem, dass die Überstunden entweder ausdrücklich angeordnet bzw. betriebsnotwendig waren und von Seiten des Arbeitgebers billigend entgegen genommen worden sind.
Arbeitnehmer haben in der Regel nur dann die Chance auf ein erfolgreiches Verfahren, wenn sie zuvor genau dokumentiert haben, wann, in welchem Rahmen und aus welchem Anlass sie Überstunden geleistet haben.
Bei Streitigkeiten rund um das Thema "Überstunden" sollte somit der erste Blick in den Arbeitsvertrag oder – bei entsprechender Geltung – in den jeweiligen Tarifvertrag geworfen werden. In Betrieben, die der Mitbestimmung von Betriebsräten unterliegen, kann sich zudem die Konsultation des Betriebsrates lohnen. Denn dieser hat bei vorübergehenden Verlängerungen der betriebsüblichen Arbeitszeit nach § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG mitzubestimmen. Oftmals bestehen dann hierzu auch betriebliche Vereinbarungen mit dem Arbeitgeber. (tö)