Wirklich überraschen kann es eigentlich niemanden mehr, wenn die Ausmaße der Waldbrände dramatischer werden und die Überschwemmungen heftiger. Wiederholt die Forschung doch mantraartig, dass Extremwetterereignisse wegen des Klimawandels wahrscheinlicher werden - und es allerhöchste Zeit ist, gegenzusteuern. Der Sommer 2023 wirkt wie ein Paradebeispiel für ihre Aussagen, denn er liefert Wetterextreme en masse.
"Höllensommer" in Spanien
So hat Spanien einen "Höllensommer" erlebt, wie die Tageszeitung "La Razón" dieser Tage schrieb. Fünf offizielle Hitzewellen mit Temperaturen von teils deutlich über 45 Grad gab es seit dem 1. Juni bereits. "Wir ersticken alle!", rief Star-Moderatorin Silvia Intxaurrondo im Juli im Fernsehen. Eine in weiten Teilen des Landes seit vielen Monaten anhaltende Trockenheit begünstigt zusammen mit der extremen Hitze und starker Winde die Ausbreitung von Waldbränden.
Prominentestes Beispiel ist die Kanaren-Insel Teneriffa: Europa bangte eine Woche lang mit den Menschen dort. Die Flammen erfassten im Norden und Nordosten der Insel rund 15.000 Hektar - gut sieben Prozent des gesamten Territoriums. Nach der Stabilisierung des schlimmsten Feuers der vergangenen 40 Jahre sind nun fast 10.000 evakuierte Menschen in ihre Häuser zurückgekehrt.
"Wir verlassen das uns bekannte Terrain"
Waldbrandexpertin Kirsten Thonicke vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung sagt: "Es treten einzelne Feuerereignisse auf, die so viel Fläche verbrennen wie sonst in einem Jahr." Das sei vor allem im Mittelmeerraum zu beobachten, aber auch beispielsweise derzeit in Kanada. "Feuerregime verändern sich gerade sehr stark, so dass wir das uns bekannte Terrain verlassen und uns die Feuerbekämpfung vor neue Herausforderungen stellt", betont Thonicke.
Der Blick in weit von Europa entfernte Gebiete zeigt ganz Ähnliches: Die Waldbrände auf Maui im US-Bundesstaat Hawaii sind die tödlichsten in den USA seit mehr als 100 Jahren. Kanada kämpft bereits seit Monaten: In diesem Jahr handelt es sich um die schlimmste bekannte Waldbrand-Saison in der Landesgeschichte.
Geoökologin Thonicke sagt auch mit Blick auf Deutschland, wo in diesem Jahr vor allem der Waldbrand im Juni im brandenburgischen Jüterbog in Erinnerung geblieben ist: "Wenn es heiß und trocken ist, in Kombination mit heißen Winden, gibt es ein hohes Waldbrandrisiko. Da müssen wir alle sehr viel vorsichtiger sein, damit wir nicht durch Fahrlässigkeit ein Feuer auslösen."
"Das Wetter in Europa wird extremer"
Die EU-Umweltagentur EEA hatte schon im späten Frühjahr gewarnt: "Aufgrund unseres sich verändernden Klimas wird das Wetter in Europa extremer." Hitzewellen werden der Behörde zufolge im Zuge des Klimawandels häufiger, intensiver und langanhaltender. Bereits der Sommer 2022 sei ein "Sommer der Hitzewellen" gewesen.
Der Juli 2023 nun ist sogar heißer gewesen als jeder andere je gemessene Monat. Die US-Raumfahrtbehörde Nasa bestätigte Mitte August Aussagen des EU-Klimawandeldienstes Copernicus: Der Juli sei 0,24 Grad Celsius wärmer gewesen als der bislang wärmste Juli in den Aufzeichnungen der Behörde, die bis 1880 zurückgingen.
"Einziger Planet, den wir haben"
Nasa-Chef Bill Nelson sagte: "Die Wissenschaft ist eindeutig. Wir müssen jetzt handeln, um unsere Gemeinschaft und unseren Planeten zu schützen; es ist der einzige, den wir haben." Besonders heiß waren der Nasa zufolge Teile Südamerikas, Nordafrikas, Nordamerikas und der Antarktischen Halbinsel.
In der Türkei wurde kürzlich die heißeste Temperatur seit Beginn der Aufzeichnungen gemessen: Im zentraltürkischen Eskisehir seien am 15. August 49,5 Grad Celsius erreicht worden - das sei heißer als beim bisherigen Rekord im Juli 2021, schrieb Umweltminister Mehmet Özhaseki auf der Online-Plattform X, vormals Twitter.
Verqualmte Luft
In Griechenland erleben derzeit Millionen Menschen dieses Szenario: Diesige, verqualmte Luft noch Hunderte Kilometer von den Bränden entfernt, ein von Rauchschwaden verdeckter Himmel und die Sonne lediglich als kleiner leuchtender Punkt am Horizont. Das Land kämpft gegen gewaltige Vegetationsbrände im Nordosten und nahe der Hauptstadt Athen. Über Wochen hatten die Thermometer in Griechenland immer wieder mehr als 40 Grad gezeigt, lange Zeit ohne Regen. "Wir haben im Mittelmeer seit Jahrtausenden Waldbrände, das ist nichts Neues. Neu ist aber die Intensität der Brände auf Grund des Klimawandels", bilanzierte Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis.
Langfristige Klimaprognosen deuten darauf hin, dass es im Laufe des Jahrhunderts gerade in Süd- und Mitteleuropa noch trockener wird - mit verheerenden wirtschaftlichen Folgen für die Landwirtschaft, aber auch mit Auswirkungen auf die Trinkwasserversorgung.
Teils eher verregneter Sommer - aber große Unterschiede
Vom Deutschen Wetterdienst (DWD) in Offenbach heißt es mit Blick auf den Sommer 2023 in Europa, in einem Gebiet von Süd-Skandinavien über Mittel- bis nach Südosteuropa sei der Sommer eher verregnet gewesen. "Es gab aber große Unterschiede in den einzelnen Sommermonaten und auch extreme Hitze und Starkgewitter", so der DWD mit Verweis auf die "extreme Hitzewelle im gesamten Mittelmeerraum" in der zweiten Juli-Hälfte. Nach Angaben des britischen Wetterdiensts war es in Großbritannien der Juli mit dem meisten Niederschlag seit 2009.
Bei Starkgewittern in Nordost-Italien sei ein 19 Zentimeter großes Hagelkorn gefunden worden, "ein neuer Europarekord", so DWD-Experte Peter Bissolli. Das Wetter in Italien hatte das Land im Juli in zwei Teile geteilt: Unwetter und Hagelstürme im Norden und extreme Hitze und Waldbrände im Süden. Die schweren Unwetter im Norden forderten mehrere Todesopfer und verwüsteten einige Gemeinden. Fast zeitgleich wüteten auf den Mittelmeerinseln Sizilien und Sardinien sowie in den südlichen Regionen des Festlandes teils schwere Wald- und Flächenbrände. "Nichts ist mehr wie zuvor", sagte Italiens Zivilschutz-Minister Nello Musumeci angesichts der Extremereignisse.
Überschwemmungen und Erdrutsche
Über großen Teilen Sloweniens gingen Anfang August sintflutartige Regenfälle nieder. Überschwemmungen und Erdrutsche rissen Hunderte Häuser und Brücken weg, brachten einen Damm zum Einsturz. Straßen und Eisenbahngleise standen unter Wasser. Es war die schlimmste Naturkatastrophe, die das 2,1-Millionen-Einwohner-Land in seiner jungen Geschichte erlebt hat. Ganze Ortsteile und Dörfer boten ein Bild apokalyptischer Verwüstung. Die Situation erinnere ihn an die Katastrophe im Ahrtal vor zwei Jahren, sagte ein Einsatzleiter des deutschen Technischen Hilfswerks. Schäden waren in zwei Dritteln des Landes zu verzeichnen. Ministerpräsident Robert Golob schätzte sie in einem ersten Aufschlag auf mindestens 500 Millionen Euro. Der Klimawandel habe Slowenien erreicht.
In Österreich litten besonders die südlichen Bundesländer Kärnten und die Steiermark unter heftigen Regenfällen. In wenigen Tagen fiel regional mehr Niederschlag als sonst im gesamten Monat. Hangrutsche und Schlammlawinen waren die Folge, Menschen mussten ihre Häuser verlassen, Ernten wurden zerstört, viele verloren Hab und Gut.
Im Süden von Norwegen und teils auch in Schweden löste das Unwetter "Hans" umfassende Überschwemmungen aus. Mehrere norwegische Orte standen unter Wasser, das Hochwasser führte zu Erdrutschen, tagelang blieben Straßen und Bahnstrecken gesperrt. Einsatzkräfte waren im Dauereinsatz, Tausende Menschen wurden evakuiert. Im benachbarten Schweden entgleisten zwei Waggons eines Passagierzuges, weil der Bahndamm unter den Gleisen wegen des Regens nachgegeben hatte.
"Sollte Warnung genug sein"
Das Schweizer Örtchen La-Chaux-de-Fonds rund 100 Kilometer südwestlich von Basel erlebte am 24. Juli innerhalb von Minuten schwere Zerstörung: Nach vorläufigen Messungen handelte es sich um die mit 217 Kilometern pro Stunde schwerste je gemessene Orkanböe in der Schweiz. Zwei Drittel der 7.500 Gebäude in der Umgebung nahmen laut kantonaler Gebäudeversicherung Schaden.
Es sei nur eine Frage der Zeit gewesen, bis Extremereignisse wegen des Klimawandels stark gehäuft, intensiviert und global aufträten, erklärt Daniela Domeisen, Professorin für Atmosphärische Prozesse und Vorhersagbarkeit, angesichts der gehäuften Wetterextreme in diesem Sommer. "Dies ist eine weitere Bestätigung, dass die Vorhersagen der Klimamodelle Bestand haben, und sollte Warnung genug sein, den Klimawandel so stark wie aktuell noch möglich zu beschränken." (dpa/rs)