Das Verwaltungsgericht (VG) Berlin setzt neue datenschutzrechtliche Maßstäbe im Bereich Telefonmarketing (Urteil vom 7.5.2014 - VG1 K 253.12). Es entschied, dass die Einholung einer Einwilligung für Werbeanrufe am Telefon gegen das Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) verstößt.
Zugrunde lag eine typische Callcenter-Vertriebssituation: Das Telefon klingelt, und es ist ein Sachbearbeiter eines Callcenters in der Leitung. Er ruft an, um sich Ihrer Zufriedenheit zu versichern. Doch nicht nur das! Er fragt, ob er Sie auch in Zukunft über neue, interessante Angebote informieren darf - und zwar telefonisch.
Diese Anfrage wurde nun vom Verwaltungsgericht Berlin rechtlich überprüft.
Hintergrund des Rechtsstreits war ein Bescheid (also eine behördliche Auflage) des Berliner Beauftragten für den Datenschutz und Informationsfreiheit gegen einen der größten deutschen Zeitungs- und Zeitschriftenverlage.
Anordnungen und Bußgelder
Die Beauftragten für den Datenschutz und Informationsfreiheit der Länder, sowie die Beauftragte für den Datenschutz und Informationsfreiheit des Bundes sind gemäß § 38 Abs. 5 des Bundesdatenschutzgesetzes (BDSG) befugt, Anordnungen und Bußgelder gegen Datenverarbeiter zu verhängen.
Der Zeitungsverlag hatte ein Callcenter für telefonische Zufriedenheitsabfragen zur Qualität des Lieferservices bei den Zeitungsabonnenten beauftragt. Im Anschluss an die jeweiligen Kundengespräche stellte der Callcenter Agent dem jeweiligen Kunden die Frage, ob ein "netter Kollege" noch einmal telefonisch oder auch per E-Mail oder SMS auf neue "besonders schöne Medienangebote" aufmerksam machen darf.
Geschäftspraxis untersagt
Diese Geschäftspraxis untersagte der Berliner Beauftragte für den Datenschutz und Informationsfreiheit und setzte gleichzeitig eine Gebühr von 3000 € fest.
Diesem Bescheid war eine ausführliche persönliche und schriftliche Erörterung der Zulässigkeit von solchen Anfragen vorausgegangen. Dies ist insoweit übliche Praxis der Landesbeauftragten für den Datenschutz. Diese stehen nämlich nicht nur als Aufsichtsbehörden zur Verfügung, sie können auch hinsichtlich der datenschutzrechtlichen Zulässigkeit bestimmter Verfahrensweisen befragt werden. Oft steht der lösungsorientierte Dialog zwischen Behörde und verantwortlicher Stelle vor der Durchsetzung einer rechtlichen Maßnahme.
Gegen diesen Bescheid setzte sich der Verlag - allerdings erfolglos - vor Gericht zur Wehr. Die Anordnungen der Beauftragten für den Datenschutz sind rechtlich als sogenannte Verwaltungsakte zu klassifizieren. Das führt dazu, dass die Verwaltungsgerichte dafür zuständig sind, über die Rechtmäßigkeit eines Bescheids eines Beauftragten für den Datenschutz zu entscheiden.
Entscheidung des Verwaltungsgerichts Berlin
Das Gericht entschied zulasten des Verlages. Grundsätzlich war der Verlag berechtigt, bei seinen Kunden anzurufen, um sich nach deren Zufriedenheit zu erkundigen.
Insoweit war das Verhalten des Verlages datenschutzrechtlich einwandfrei, er hatte die hierfür erforderliche Einwilligung bei seinen Kunden eingeholt.
Fachkräftemangel
Hier gelten zudem die Bestimmungen des § 28 BDSG, der in Abs. 3 sogar die vorherige schriftliche Einwilligung der betroffenen Person hinsichtlich Werbung verlangt. Doch nicht nur die Verwendung von Name und Telefonnummer hinsichtlich der Werbung selbst stellt eine Verarbeitung personenbezogener Daten dar.
Das Verwaltungsgericht Berlin entschied, dass auch bei einer Abfrage der Einwilligung in zukünftige Werbung personenbezogene Daten im Sinne des Gesetzes "genutzt" werden. Nach der Legaldefinition § 3 Absatz 5 BDSG ist "nutzen" jede Verwendung personenbezogener Daten, soweit es sich nicht um Verarbeitung handelt. Dabei handelt es sich um einen sogenannten Auffangtatbestand, der immer dann greift, wenn die Verwendung der Daten keiner der sonstigen Phasen der Verarbeitung von Daten zugewiesen werden kann.
Daran orientierte sich auch das Verwaltungsgericht Berlin. Die Kundendaten würden nämlich bei der Abfrage, ob der Kunde in Zukunft Werbung erhalten möchte, auf eine Art und Weise genutzt, für die der Kunde keine Einwilligung gegeben hat.
Namentliche Kundenansprache
Das bedeutet, dass eine namentliche Kundenansprache mit dem Ziel, eine Einwilligung in die Unterbreitung von Werbeangeboten per Telefon, E-Mail oder SMS zu erhalten und um anschließend davon Gebrauch zu machen, datenschutzrechtlich nur mit vorheriger Einwilligung möglich ist. Auf den ersten Blick erscheint diese Entscheidung absurd, sie hat jedoch ein klares Ziel. Unternehmen, die bereits eine große Kundenkartei und sogar die Einwilligung der Kunden für telefonische Kontaktaufnahme haben, sollen diese Position nicht zusätzlich für Telefonwerbung ausnutzen dürfen.
Bei der Entscheidung des Verwaltungsgerichts Berlin handelt es sich um eine Entscheidung der ersten Instanz. Gegen dieses Urteil kann der im konkreten Fall unterlegene Verlag noch das Oberverwaltungsgericht Berlin anrufen.
Das letzte Wort in dieser Sache ist somit noch nicht gesprochen.
Fazit
Mit dieser Entscheidung hat das Datenschutzrecht nunmehr auch Einfluss auf die konkrete Rhetorik des Telefonmarketings genommen. Der seit der Novelle von 2009 ohnehin streng regulierte Bereich des Telefonmarketings wird somit weiter einschränkt. Auch das Stellen von Fragen stellt eine Datenverarbeitung dar, für die sicherzustellen ist, dass der Kunde seine Einwilligung gegeben hat. Somit ist auch die Verkaufsrhetorik unter dem Gesichtspunkt des Datenschutzes zu prüfen.
Weitere Infos: Manfred Wagner ist Rechtsanwalt und Mitglied der Deutschen Anwalts- und Steuerberatervereinigung für die mittelständische Wirtschaft e.V., www.mittelstands-anwaelte.de
Kontakt: Wagner Rechtsanwälte, Großherzog-Friedrich-Str. 40, 66111 Saarbrücken, Tel.: 0681 958282-0, E-Mail: wagner@webvocat.de, Internet: www.webvocat.de