IT-Prognosen 2019

Nach der digitalen Euphorie ist Pragmatismus gefragt

Martin Bayer ist Chefredakteur von COMPUTERWOCHE, CIO und CSO. Spezialgebiet Business-Software: Business Intelligence, Big Data, CRM, ECM und ERP.
Zum Jahresende ziehen die Marktforscher von Forrester Research eine eher nüchterne Bilanz. Viele Unternehmen hätten in ihrer Euphorie rund um digitale Innovationen ein wenig den Faden verloren. Der digitale Wandel setze grundlegende Arbeiten in den Backend-Systemen und Organisationsstrukturen voraus. Diese Arbeiten müssten 2019 – in einem voraussichtlich schwierigeren Wirtschaftsklima – angegangen werden. Den CIOs kommt dabei eine entscheidende Rolle zu.

"Transformation goes pragmatic" – so betitelt das Analystenhaus Forrester seine Vorhersagen für 2019. Die Diskus­sionen im zu Ende gehenden Jahr 2018 hätten gezeigt, dass der Umfang und die Tiefe der Herausforderungen im digitalen Wandel verstanden worden seien. Die neuen technischen Möglichkeiten hätten große Erwartungen geweckt: Unternehmen wollten wachsen, indem sie mehr Effizienz in ihre Prozesse bringen, den Kundenkontakt intensivieren und neue Märkte erschließen.

2019 - Pragmatismus statt Experimente?
2019 - Pragmatismus statt Experimente?
Foto: Carlos Amarillo - shutterstock.com

Doch auf diese Träume sei meist das böse Erwachen gefolgt, beobachten die Forrester-Analysten. Die Führungszirkel in den Betrieben hätten erkannt, dass die digitale Transformation im Allgemeinen und die Renovierung der Customer Experience (CX) im Besonderen schwierig und kostspielig sind. Vor allem sei aber die Einsicht gereift, dass die Art und Weise, wie bislang die Geschäfte liefen, mit einem Mal in Frage stehe. Die Folge: Mehr als die Hälfte aller Bemühungen rund um die digitale Transformation geriet ins Stocken. Für viele CIOs gestaltete sich der Versuch, den Wandel vorantreiben, als Kampf gegen Windmühlen. Es ist eben absolut nicht einfach, ein ganzes Unternehmen in die digitale Spur zu setzen. Oft fehlen Forrester zufolge die grundlegenden organisatorischen Voraussetzungen für den digitalen Wandel. Zudem werde oft der Aufwand unterschätzt, technische Rückstände aufzuholen oder eine schlechte Data Governance zu überarbeiten.

Es braucht mehr als schicke Frontends

Die positive Nachricht: Die Defizite sind in der Regel erkannt. Forrester-Analyst Pascal Matzke konstatiert: Nach mehreren Jahren des digitalen Experimentierens wird den meisten Unter­nehmen zunehmend klar, dass ohne eine nachhaltige Veränderung der Kernprozesse und der Altsysteme im operationalen Backend der Wandel zum digitalen Business nicht gelingen wird. Ein immer stärker am Endkunden ausgerichtetes Geschäftsmodell benötige mehr als nur schicke Frontend-Systeme für mobile Endgeräte. Auch die operationalen Prozesse und Systeme, die traditionell eher auf lineare Transaktionen ausgerichtet waren, müssten sich nun an der permanenten Interaktion mit Kunden orientieren. "Das wird 2019 nachhaltige Investitionen in die Veränderung und teilweise Ablösung von Altsystemen nach sich ­ziehen", prognostiziert der Forrester-Analyst. Was man jahrelang vor sich hergeschoben habe, müsse nun endlich abgearbeitet und erledigt werden.

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Insgesamt soll sich das Wachstum der IT-Ausgaben im kommenden Jahr etwas abschwächen. Nachdem die IT-Budgets 2018 weltweit im Durchschnitt um 6,7 Prozent im Vergleich zum Vorjahr zugelegt hatten, rechnet Forrester für 2019 mit einem Plus von 6,2 Prozent. Ins­gesamt sprechen die Analysten mit Blick auf diese Zahlen von nach wie vor soliden Investitionen der Unternehmen in IT. Allerdings dämpfe die Angst vor einem wirtschaftlichen Abschwung infolge der Krisenherde in Italien und Großbritannien sowie der andauernden Handelsstreitigkeiten zwischen den USA und China die Bereitschaft, Innova­tionen allzu euphorisch voranzutreiben.

Kein grenzenloses Experimentieren mehr

Nichtsdestotrotz müssen die CIOs laut Forrester weiter daran arbeiten, die Art und Weise zu verändern, wie in ihren Unternehmen über Innovationen gedacht wird und wie diese umgesetzt werden. Es gehe darum, den Einsatz neuer Technologien voranzutreiben und ein kundenorientiertes IT-Betriebsmodell zu eta­blieren. "Aber das wird kein grenzenloses Experimentieren sein", stellen die Analysten klar. CIOs werden in Zukunft stärker in der Verantwortung stehen, wie Innovation zu messbaren Resultaten führt. Erfolgsmetriken werden messen, wie neue Technik dazu beiträgt, den Umsatz zu steigern, die Agilität zu verbessern und Veränderungen im Geschäftsmodell zu unterstützen. Dementsprechend werden die IT-Verantwortlichen die einzelnen Aspekte ihrer Innovationsstragie priorisieren und klare Messverfahren und Kennzahlen einrichten müssen.

Der neue Pragmatismus in Sachen IT-Innova­tion wird Forrester zufolge auch dazu führen, dass die Anwender neue Technologien wesentlich kritischer hinterfragen. Derzeit laufe die Hype-Maschinerie der Anbieter rund um Themen wie künstliche Intelligenz, Augmented und Virtual Reality sowie Blockchain auf Hochtouren. In der IT-Realität landen die großen Versprechen der Hersteller allerdings immer öfter auf dem harten Boden der Tatsachen. So berichten viele Anwender von enttäuschenden Erfahrungen. Forrester nennt an dieser Stelle als Beispiel IBMs Watson-Technik. Der US-Konzern war einer der ersten Anbieter, der mit KI-Technik für Schlagzeilen gesorgt hatte. Doch in der Praxis konnte Watson die hochgesteckten Erwartungen nicht erfüllen. Gerade im Gesundheitssektor stießen die Anwender schnell an ihre Grenzen. Der Aufwand, das System so mit Daten zu trainieren, dass KI die Ärzte sinnvoll in ihrer Arbeit unterstützen könne, sei einfach zu groß gewesen, hieß es in etlichen Berichten.

Viele Technologieprojekte haben in den vergangenen Jahren nicht die gewünschten Ergebnisse gebracht, sagt Forrester-Analyst Pascal Matzke. Deshalb habe sich mancherorts eine gewisse Skepsis breit gemacht.
Viele Technologieprojekte haben in den vergangenen Jahren nicht die gewünschten Ergebnisse gebracht, sagt Forrester-Analyst Pascal Matzke. Deshalb habe sich mancherorts eine gewisse Skepsis breit gemacht.
Foto: Forrester

Leider hätten viele Technologieprojekte in den vergangenen zwei Jahren nicht die gewünschten Ergebnisse geliefert, so dass sich inzwischen mancherorts eine gewisse Skepsis bemerkbar gemacht habe, lautet das Fazit von Forrester-Analyst Matzke. Grund für den Übereifer so mancher Entscheider sei wohl auch der Wunsch gewesen, sich als besonders innovativ zu präsentieren – was oft zu Experimenten nur um der Technologie willen geführt habe. "Wer KI oder Blockchain als persönliches Steckenpferd sieht und vorantreibt, wird von der Komplexität schnell eingeholt werden."

Backend-System rücken stärker in den Fokus

Das dürfte sich in Zukunft ändern. Die CIOs werden ihren Fokus auf klar definierte Probleme richten, die sie beispielsweise mit Hilfe einer Kombination von Automatisierungs­werkzeugen und KI-Funktionen lösen können. Darüber hinaus rücken die Backend-Systeme wieder stärker in den Fokus der IT-Verantwortlichen. Auch wenn sich das Management in den Unternehmen derzeit vor allem das Innovationsthema groß auf die Fahnen schreibt, wissen die CIOs doch ganz genau, dass dafür erst einmal die richtigen Technikgrundlagen geschaffen werden müssen. Dabei geht es vor allem um ein flexibles IT-Fundament. Aber davon sind viele Unternehmen noch weit entfernt, stellt Forrester fest. Die Legacy-Infrastrukturen, die als Basis für die Back-Office- Systeme dienten, seien meist alles andere als flexibel. "Die CIOs müssen ihren IT-Kern renovieren", fordert Forrester. "Und sie müssen es schnell tun."

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Dabei helfen können agile Methoden wie DevOps, mit denen die IT-Verantwortlichen bereits in der Vergangenheit Erfahrung gesammelt haben. Forrester zufolge sind die CIOs schon dabei, ihr Wissen über agile Methodik in den Unternehmen zu verbreiten. 2018 hätten sie kundenorientierte Bereiche wie das Marketing damit infiziert, im kommenden Jahr seien die Produkt- und Serviceorganisationen an der Reihe. Die Verantwortlichen dort suchten nach Möglichkeiten, Software schneller zu entwickeln und bereitzustellen, da der Softwareanteil in Produkten und Services im Zuge der Digitalisierung immer größer werde.

Agile Methoden und Werkzeuge sind dabei nur der Anfang. Mit Blick auf das große Ganze der Digitalisierung geht es vor allem auch um die Frage nach der richtigen Organisationsstruktur. Was wirklich gesucht wird, sind neue Organisationsformen, die das agile Denken und Handeln nachhaltig unterstützen und begleiten, sagt Matzke. Unternehmen wie etwa Daimler hätten mit dem Einstieg in Schwarmorganisationsformen einen Anfang gemacht. 2019 würden viele weitere Unternehmen diesem Beispiel folgen.

Digitalisierung ohne Ende

Bei der Gelegenheit solle man sich 2019 endlich von dem Begriff der Digitalisierung ver­abschieden, fordert der Analyst. Immer mehr Unternehmen stellten nämlich fest, dass die digitale Transformation keinen Endpunkt hat und es daneben auch kein analoges Business mehr geben wird. Die Innovations­zyklen für Technologien und Produkte würden immer kürzer, die Kunden zugleich immer technologieaffiner. "Digitale Transformation bedeutet permanente Business-Transforma­tion", so Matzke. Nur wer sich die Fähigkeit zum per­manenten Wandel als Ziel setze, könne langfristig erfolgreich sein. Unternehmen wie Adidas zeigten den Weg: In deren Zukunftsstrategie sei von Digitalisierung gar nicht mehr die Rede – es gehe schlicht um das Neue und Wandelbare.

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Auf dem Weg dorthin lauern indes auch Gefahren. Wenn die Unternehmen im kommenden Jahr darangehen, grundlegende technische Herausforderungen zu lösen, schaffe dies zwar die notwendige Grundlage für weitere Innovation. Gleichzeitig besteht Forrester zufolge aber die Gefahr, dass dies den Status quo und die Trägheit vieler Organisationen verstärken könnte. Die Einsätze sind nach wie vor hoch, sagen die Analysten. Für die Betriebe gelte es nun, die richtige Balance zu finden – Grundlagen schaffen, Innovationen treiben, die Ausgaben im Blick behalten. Ein Jahr des Pragmatismus diene der Sache, sagt Forrester. Ab 2020 könne dann wieder weiter ausgeholt werden.

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