Unter Konzernchef Satya Nadella eilt Microsoft von Rekordergebnis zu Rekordergebnis - dank Cloud-Services, Gaming brummen und in der Corona-Krise und dem gestiegenen Bedarf an PCs für Homeoffice und Homeschooling auch dem Windows-Betriebssystemen. Doch nach dem Motto "Kleinvieh macht auch Mist" oder auch "wer den Pfenning nicht ehrt, ist den Taler nicht wert" achtete der Konzern peinlich genau darauf, dass ihm auch ja keine Einnahmequelle entgeht. Dabei ist ihm der Markt für Gebrauchtsoftware offenbar ein besonderer Dorn im Auge.
Während Microsoft bei der Lizenzvergabe in einigen asiatischen und manchen wirtschaftlich schwächeren Ländern schon mal ein Auge zudrückt, kann es im zahlungskräftigen Europa offenbar nicht verwinden, dass sich seine vom amerikanischen Rechtwesen geprägten Auffassungen vom "Erschöpfungsgrundsatz" und den Möglichkeiten zur Weitergabe von Lizenzen nicht durchgesetzt haben. Davon zeigen immer wieder neue Nickligkeiten gegenüber dem Gebrauchtsoftware-Markt und seinen Akteuren. Letztes Kapitel: Die im Mai vergangenen Jahres eingeführte "Halte-Pflicht" für On-Premise Lizenzen beim Umstieg auf Cloud-Angebote von einem Vertrag mit Software Assurance.
Zwölf Monate später wurde die damals mit dem Wunsch der Kunden begründete Änderung jetzt wieder zurückgenommen. "Die infrage gestellte Einschränkung unterstützte einige Kunden bei der Umstellung auf die Cloud, indem sie den Wert ihrer alten Lizenzen auf ein neues Cloud-Abonnement anrechnen lassen konnten", teilt Microsoft dazu auf Anfrage von ChannelPartner mit. "Wir heben nun die Einschränkung auf, bieten aber weiterhin den Rabatt auf Cloud-Abonnements an, was unserer Überzeugung nach unseren Kunden bei der Einführung von Cloud-Technologien zugutekommt."
"Microsoft versucht den Markt trockenzulegen"
Aus Sicht von Jonathan Horley, Gründer des britischen Gebrauchtsoftware-Unternehmens Value Licensing, das Anfang des Jahres eine heftig diskutierte Klage gegen Microsoft eingereicht hat, sind die Änderungen nur eine von vielen Maßnahmen in einer langen, strategischen Kampagne. "Microsoft versucht mindestens seit 2016, den Markt für gebrauchte Lizenzen trockenzulegen. Der Missbrauch ihrer marktbeherrschenden Stellung hat eine lange Geschichte. Microsoft hat keine Verwendung für Lizenzen, die von seinen Kunden nicht mehr benötigt werden und daher ein großes Interesse, diese vom Markt zu nehmen."
Als ein weiteres Beispiel nennt Horley neben den nun widerrufenen Änderungen der Microsoft Produktbedingungen die Support-Zyklen für Office-Produkte. "Office 2016 wurde 10 Jahre lang unterstützt. Office 2019 wird nur mit sieben Jahren Support geliefert. Durch die Anreize für Kunden durch Rabatte und die komplexen Lizenzbedingungen in den vergangenen 12 Monaten, nicht benötigte Lizenzen bei der Migration zu Microsoft 365 zu behalten, hat Microsoft den Wert dieser Lizenzen reduziert."
Ernesto Schmutter, CEO von MRM Distribution bestätigt diese aussagen grundsätzlich, sieht die Auswirkungen aber etwas gelassener. "Der günstige Einstieg in die Cloud beim Halten der Lizenzen war sicherlich hinderlich für unser Geschäft. Welche Absicht dahinter steckte, wissen wir nicht und ist auch egal. Jedenfalls hat es den Warenfluss eingeschränkt und den Ankauf deutlich komplizierter gemacht."
Allerdings ist auch während der zwölf Monate, in denen Microsoft den Umstieg von Kunden mit Software Assurance ("from SA") auf seine Cloud-Angebote durch Discounts attraktiv gestaltete, Schmutter zufolge mit guter Beratung erfolgreiches Geschäft möglich gewesen. "Ein Discount verlockt natürlich dazu, die angebotene Variante zu nehmen. Oft war es aber günstiger, die nicht mehr benötigten Lizenzen dennoch abzugeben und die teurere Variante zu wählen. Allerdings musste man dafür eben etwas genauer nachrechnen." Nicht zuletzt kauft MRM auch Lizenzen von Firmen ohne Software Assurance an. Da habe es das Problem überhaupt nicht gegeben.
Ritterschlag durch zahlreiche Ausschreibungen der öffentlichen Hand
Für den Markt für Gebrauchtsoftware und den Handel mit Lizenzen insgesamt ist Schmutter trotz einiger Hürden zuversichtlich: "Der Markt ist erwachsen und ausgereift. Gegen einige Schwarze Schafe kämpfen wir seit unserer Gründung 2017. Aber gegen die kann man sich auch immer wieder abgrenzen - etwa durch zertifizierte Prozesse nach der gültigen Rechtsprechung und bestandene Audits."
Für die Seriosität des Geschäfts sind ihm zufolge auch die Partner wichtig. "Unsere Partner haben eine wichtige Beratungsfunktion für die Kunden. Viele haben eine eigene SAM-Abteilung - beherrschen also Software-Asset-Management in- und auswendig und verkaufen über eine gute Beratung zu allen Aspekten der Lizensierung", berichtet Schmutter.
Diskreditieren lasse sich der Markt für Lizenzen aus zweiter Hand nicht mehr. "Den Ritterschlag haben wir in den vergangenen Jahren durch zahlreiche Ausschreibungen der öffentlichen Hand bekommen. Die ist grundsätzlich angehalten, wirtschaftlich einzukaufen. Daher wird in Ausschreibungen immer öfter verlangt, Gebrauchtsoftware auch mit anzubieten. Es handelt sich dabei ja bei weitem nicht immer nur um Lizenzen für Software, die nicht mehr zu bekommen ist. Ein großer Teil des Geschäfts sind auch Lizenzen für aktuelle Software. Ob bei der Beschaffung auch Gebrauchtsoftware berücksichtigt wird, ist damit zunehmend eine Frage der IT-Strategie. Und darauf, wie diese Strategie aussieht, haben gute Berater bei ihren Kunden ja auch Einfluss."
Schadenersatzklage in Großbritannien wird Geduldsspiel
Spannend wird es nun noch beim Verfahren zwischen Value Licensing und Microsoft in Großbritannien. Da geht es um eine Schadenersatzforderung von über 300 Millionen Euro. Die auf den ersten Blick überraschende Höhe ist laut Value Licensing jedoch nicht willkürlich. Horley und sein Team beobachteten den Markt über viele Jahre, verfolgten öffentlich bekannt gemachte Aufträge - insbesondere von Behörden - sowie andere öffentlich zugängliche Quellen und haben eigene Erkenntnisse aus Gesprächen mit potenziellen Kunden einbezogen.
Insgesamt schätzt Horley, dass Microsoft seit 2016 Lizenzen mit einem kumulierten Wert zwischen 23 und 41 Milliarden Britischen Pfund (GDBP) vom Markt genommen hat. Der von Value Licensing eingereichte Anspruch konzentriert sich auf die Microsoft-Richtlinie für Lizenzen von Windows- und Office-Produkten für Desktops. In einer Klausel behält sich das Unternehmen aber das Recht vor, andere Produkte mit in die Klage aufzunehmen. Im Laufe des Prozesses ist daher eine Erweiterung beispielsweise auf Lizenzen für Microsoft Azure, Azure SQL oder Microsoft Remote Desktop Services möglich.
"Die wettbewerbswidrigen Strategien sind für uns am deutlichsten im Desktop-Umfeld", erklärt Horley. Aus seiner Erfahrung erleichtern Microsoft-Partner in vielen Fällen die Bemühungen des Software-Riesen, Lizenzen vom Markt zu nehmen, weil sie zu sehr auf das Geschäft von Microsoft ausgerichtet sind und so die Gelegenheit verpassen, ihren Kunden alternative Möglichkeiten zu nennen - und damit auch gute Möglichkeiten auslassen , auch ihre Margen zu optimieren.
Microsoft hat erst vor Kurzem den Eingang der Klage von Value Licensing bestätigt. Microsoft Corporation, Microsoft Limited und Microsoft Ireland Operations Limited haben alle bestätigt, dass sie sich gegen die Klage in all ihren Aspekten verteidigen werden - aber auch darauf hingewiesen, dass Microsoft Corporation und Microsoft Ireland Operations Limited die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts bestreiten könnten. Es sieht daher so aus, als ob ein weiteres langes und anstrengendes Verfahren bevorsteht - und es eine weitere Gelegenheit für Softwareanbieter gibt, bei ihren Kunden Unsicherheit in Bezug auf Gebrauchtsoftware zu schüren.