(Zweites Update, 3. Juni 2020, 12 Uhr 50: Inzwischen liegt ChannelPartner auch eine Stellungnahme von Microsoft vor. Der Beitrag wurde weiter unten darum ergänzt.)
Microsoft hat zum 1. Mai 2020 die Produktbestimmungen angepasst. Sie sind Teil jedes Volumen-Lizenzvertrages. Demnach können Kunden beim Umstieg von On-Premise-Lizenzen mit Software Assurance (SA) auf Abo-Lizenzen, etwa wie Office 365, ihre käuflich erworbene Software ab sofort zumindest während der Laufzeit des Abonnements, nicht mehr weiterverkaufen.
"Microsoft beschränkt damit also durch die Hintertür das gesetzlich verankerte Recht der Kunden, ihre nicht mehr benötigten Softwarelizenzen zu veräußern - und nimmt darüber hinaus anderen Kunden die Möglichkeit, diese Software günstig zu erwerben. Das bedeutet für Kunden als auch den Gebrauchtsoftware-Markt insgesamt einen erheblichen wirtschaftlichen Schaden", beklagt Andreas E. Thyen, Präsident des Verwaltungsrats von Lizenzdirekt. Seiner Ansicht nach bestehen "berechtigte Zweifel, ob eine solche Kopplung von On-Premise- und Miet-Lizenzen zulässig ist." Er warnt Unternehmen daher davor, "vorschnell umzusteigen und sich der europarechtlich verankerten Freiheiten berauben zu lassen".
Änderungen für Firmen beim Umstieg auf Abo-Modelle
Microsoft-Kunden, die On-Premise-Lizenzen mit Software Assurance (SA) erworben hatten, können unter bestimmten Voraussetzungen bereits seit einiger Zeit Abonnement-Lizenzen vergünstigt erwerben. Intern spricht Microsoft hier von Abos "aus SA-ALs", "from SA" oder auch "SA-SLs". Offiziell ist die Bezeichnung des Tarifs "Office 365 (E1, E3, E4, E5) from SA".
Neu ist, dass beim Umstieg eine laufende "Software Assurance" zu einer Lizenz nicht mehr ausreicht. Kunden müssen nun auch die "Qualifizierenden Lizenzen" während der gesamten Dauer ihres Abonnements behalten. Bei "Office 365 (E3, E4, E5) from SA" wären das zum Beispiel "Office Professional Plus" und die "Core CAL Suite".
Thyen weist darauf hin, dass seit der Entscheidung des EuGH im Jahre 2012, "der Erwerber solcher Software gerade Eigentum hieran erwirbt und daher hierüber entsprechend ohne Zustimmung des Herstellers verfügen darf" und kritisiert, dass Microsoft mit den aktuellen Änderungen in den Produktbestimmungen Kunden dieses Recht zum Weiterverkauf der On-Premise-Lizenzen nehmen wolle.
"Während bislang nur kein Umstieg mehr zurück vom Abonnement zur (aktuellen) Lizenz mit SA beim Weiterverkauf der Lizenz denklogisch möglich war, wird ein solcher Verkauf jetzt praktisch verhindert", fasst Thyen zusammen.
Inzwischen (3. Juni 2020) hat sich Microsoft auf Anfrage von ChannelPartner zu dem Sachverhalt geäußert. Die Änderung sei ein Entgegenkommen den Kunden gegenüber, die auf Cloud-Angebote umsteigen und solle ihre früheren Investitionen in On-Premise-lizenzen schützen. Die ausführliche Stellungnahme lesen Sie hier.
Drohende Probleme für den Markt für Gebrauchtsoftware
Thyen fürchtet, dass für den Handel mit gebrauchter Software aus dem durch die Änderungen reduzierten Verkauf von Lizenzen erhebliche Probleme bei der Erfüllung der Nachfrage entstehen könnten. Die Änderung werfe auch die Frage auf, ob die vieldiskutierte Frage nach der Offenlegung der Rechtekette, wirklich nur der Transparenz diene: "Durch die Offenlegung großer Volumina aus Enterprise Agreements (EA) könnte Microsoft auf die praktische Relevanz des vorliegenden Themas erst gestoßen worden sein. Dies mag Begehrlichkeiten geweckt haben und zum unterschwelligen Angriff auf das geltende Recht geführt haben", mutmaßt Thyen.
MRM als Distributor für gebrauchte Software sind die von Microsoft vorgenommenen Änderungen an den Lizenzbestimmungen ebenfalls aufgefallen. Auch hier wurde bemerkt, dass die Änderungen dazu führen können, dass qualifizierende Volumenlizenzen von Microsoft Office oder Core Cals beim Umstieg auf Cloud-Services über die gesamte Abonnementdauer behalten werden müssen. MRM prüft gerade die sich daraus ergebenden Rechtspositionen.
"Sollten sich Kunden gemäß Microsoft-Produktbedingungen zukünftig tatsächlich dazu verpflichten lassen, bereits erworbene und nicht mehr benötigte Bestandslizenzen nicht mehr veräußern zu dürfen, könnte das einschneidende Folgen für den Gebrauchtsoftwaremarkt mit Microsoft-Lizenzen haben", erklärt MRM gegenüber ChannelPartner, denn "Kunden würde damit die Möglichkeit genommen, die Migration in die Cloud durch Verkauf ihres Eigentums anteilig gegenzufinanzieren."
Umgehen die Änderungen die EU-Rechtsprechung?
Sollte sich zudem herausstellen, dass Microsoft damit bezweckt, das Geschäftsmodell des Gebrauchtsoftwarehandels zu unterbinden, stelle sich laut MRM die Frage, ob der Konzern nicht in unzulässiger Weise in Kundenrechte eingreife und versuche, die Rechtsprechung des EuGH zu Eigentumsverhältnissen und zum Erschöpfungsgrundsatz bei Software durch individuelle Vereinbarungen auszuhebeln. Zudem gebe es durchaus Endkunden, die sich aus finanziellen oder anderen legitimen Gründen bewusst nicht für Neuware entscheiden wollen oder können.
Über die Entwicklung und mögliche Gegenmaßnahmen will MRM mit großen Partnern und "anderen hochkarätigen Marktteilnehmern" beraten, Die bisher vorgebrachte "Kritik an diesem einseitigen, unabgestimmten Vorgehen" teile man vollumfänglich und begrüße und unterstütze den Aufruf eines Händlers, der zu "einem entsprechend breiten Protest von Kunden, Händlern, Medien aber auch aus der Politik aufruft, um hier klar Grenzen der Marktmacht zu setzen und bei Microsoft ein Einsehen zu bewirken."
"Die Strategie von Microsoft, die hinter der Änderung der Microsoft-Produktbestimmungen zum 1. Mai 2020 steht, ist offensichtlich - Microsoft will den zweiten Lizenzmarkt trockenlegen, tut dies aber zum Nachteil seiner eigenen Kunden", findet auch Thomas Bauer, CEO bei Relicense, deutliche Worte. Mit den neuen Produktbestimmungen beeinflusse Microsoft das EuGH-Urteil über die Erschöpfung des Softwarevertriebsrechts ausschließlich zu seinem eigenen Vorteil.
Bauer weiter: "Die Kunden von Microsoft sind von diesen Änderungen nur negativ betroffen. Die Änderungen hindern sie daran, frühere Investitionen in unbefristete Lizenzen wieder zu rekapitalisieren (was vor der Änderung möglich war). Und das im Gegenzug, ohne jegliche neue Vorteile." Dies sei insbesondere im Vergleich zu Kunden unfair, die von Subscription Licensing (die also keine unbefristeten Lizenzen haben beziehungsweise behalten müssen) in die Microsoft-Cloud migrieren und dennoch Anspruch auf die von SA gewährten Rabatte haben.
Darf Microsoft das überhaupt?
Andere Händler und Vermittler von Gebrauchtsoftware sind derzeit mit ihrer Einschätzung noch zurückhaltender. Sowohl Usedsoft als auch die Preo AG und Vendosoft lassen von ihren Anwälten die rechtlichen Auswirkungen erst noch prüfen. Sie wollen daher verständlicherweise noch keine Stellungnahme zur rechtlichen Bedeutung der Änderungen der Lizenzbedingungen des Softwarekonzerns abgeben.
"Moralisch ist das Verhalten von Microsoft für mich mehr als fragwürdig", zeigt sich jedoch Boris Vöge, Vorstand der Preo AG, verärgert. "Auf der einen Seite wird in der aktuellen Covid-19 Krise vermeintlich großzügig Microsoft Teams teils kostenlos als Unterstützung für Unternehmen angeboten, auf der anderen Seite aber die Verwertung von Altlizenzen beim Umstieg auf Microsoft 365 durch Unternehmen verhindert, um den Markt für den Wettbewerb zu schließen. Typisch Microsoft, typisch amerikanisch."
Usedsoft sieht das von der Änderung betroffene Szenario relativ entspannt als "Sonderfall". Schließlich bezögen sich die Änderungen "ausschließlich auf Lizenzen mit Software Assurance (SA) und sind nur dann relevant, wenn ein Unternehmen von einer SA-Lizenz auf das Mietmodell umsteigt." Für Kunden in dieser Konstellation sei ws durchaus ärgerlich, dass die betroffenen SA-Lizenzen nicht mehr auf dem Gebrauchtmarkt angeboten werden können, wenn dabei das permanente Nutzungsrecht wegfällt. In der Praxis spiele das aber für Usedsoft keine große Rolle, weil ausreichend Volumenlizenzen zur Verfügung stünden, die vollkommen unabhängig von den SA-Verträgen seien.
Auch Björn Orth hält rechtliche Schritte wir zum jetzigen Zeitpunkt nicht für geboten. Der Geschäftsführer von Vendosoft teilt dennoch grundsätzlich die Bedenken des Lizenzdirekt-Chefs Thyen. So müsse man zum Beispiel prüfen, ob die einseitige Änderung wesentlicher Vertragsbestimmungen durch Microsoft während laufender Geschäftsbeziehungen zulässig sei, ob es kartellrechtliche Einwände gebe und ob die Änderungen geltender Rechtsprechung entgegen stehen oder die geänderten Klauseln aufgrund von Intransparenz und Unangemessenheit als unwirksam erklärt werden können.
Im Gespräch mit ChannelPartner wollte er sich aber nicht an umfassenden Mutmaßungen über die Beweggründe von Microsoft beteiligen. Er hält es aber durchaus für möglich, dass die Auswirkungen auf den Markt für Gebrauchtsoftware eher eine Nebenwirkung als primäres Ziel der Änderung sind.
"Bis zu ihrer Klärung werden die oben genannten Fragen vermutlich eine gewisse Verunsicherung aufwerfen", so Orth. "Unternehmen, die sich mit dem Gedanken tragen, ihre SA-Lizenzen beim Gang in die Cloud zu veräußern, könnten vorerst zurückhaltender agieren. Das würde unweigerlich zu Preiserhöhungen im Gebrauchtsoftware-Markt führen – wohlgemerkt für die jeweils neuesten Microsoft-Lizenzen aus SA-Verträgen. Auf alle anderen Lizenzmodelle hat die Regelung keinen Einfluss."