Händler im Amazon Marketplace müssen inzwischen über ein Drittel der Einnahmen aus Verkäufen als Gebühren an Amazon abtreten. So eines der zentralen Ergebnisse der Studie "Amazon's Toll Road" des Institute for Local Self-Reliance (ILSR). Das Institut ist traditionell Amazon-kritisch und setzt sich für eine Stärkung der Geschäfte vor Ort ein. So hat es zum Beispiel im Juni vorgeschlagen, Amazon zu zerschlagen und in einer weiteren Untersuchung dargelegt, wie diese Maßnahme Wettbewerb und Wirtschaft in den USA beleben könnte.
Auch die Ergebnisse der aktuellen Untersuchung konzentrieren sich auf die Verhältnisse in den USA, insbesondere die ermittelten Zahlen haben aber weltweit Gültigkeit. Autorin Stacy Mitchell kommt etwa zu dem Schluss, dass die erhebliche Höhe der auf dem Amazon-Marketplace erhobenen Gebühren ein Beleg für die Monopolisierung des Online-Marktes durch Amazon sind und auch die die hohe Kosten deutlich machen, die damit einhergehen. Ähnliche Überlegungen gibt es auch in Europa. Zum Beispiel prüft das Bundeskartellamt derzeit, ob Amazon eine "überragende marktübergreifende Bedeutung für den Wettbewerb" zukommt. Ist das der Fall, könnte die Behörde bei Verdacht auf Wettbewerbsverstößen künftig schneller gegen das Unternehmen vorgehen.
Studienautorin Mitchell zufolge haben Firmen, die Produkte für Verbraucher herstellen oder verkaufen, heute (zumindest in den USA) kaum noch eine andere Wahl als sich mit Amazon einzulassen - unter anderem, weil 60 Prozent der Amerikaner, die etwas online kaufen wollen, ihre Produktsuche bei Amazon beginnen und gar keine Websuche mehr starten. "Ein unreguliertes, monopolistisches Zollhäuschen auf dem Weg zwischen Unternehmen und Verbrauchern zu betreiben, ist ausgesprochen lukrativ", fasst Mitchell ihre Kritik zusammen.
2014 lagen die Gebühren, die Amazon von Marketplace-Händlern eingestrichen hat, noch bei 19 Prozent der Verkaufserlöse. 2021 sind es der Studie zufolge nach wahrscheinlich 34 Prozent. Zusammen mit dem starken anstieg des Gesamtumsatzes auf dem Amazon-Marketplace während der Pandemie habe das dazu geführt, dass die Einnahmen, aus den von den Händlern verlangten Gebühren 2021 voraussichtlich bei über 120 Milliarden Dollar liegen.
"AWS wurde lange Zeit als Amazons Cash Cow gesehen. Der Bericht zeigt jedoch, dass der Tech-Gigant eine zweite Cash Cow hat, die er sorgsam versteckt hält", schreibt Mitchell. Zwar lagen die Erlöse mit dem Marketplace schon immer über denen von AWS, inzwischen sind sie aber fast doppelt so hoch. 2020 wies Amazon im Marketplace einen Nettogewinn von 24 Milliarden Dollar aus, für AWS waren es 13,5 Milliarden Dollar.
Mitchell wirft dem Konzern vor - und belegt das in ihrer Untersuchung auch mehrfach - dass er seinen Dienst Prime defizitär betreibt, um Verbraucher noch enger an ich zu binden. Erfolgreich: Über 70 Prozent der Haushalte in den USA sind bereits Prime-Kunden und die meisten Prime-Kunden wenden sich direkt an Amazon, wenn sie etwas online bestellen wollen. Subventioniert werde das Angebot durch die hohen Erlöse mit den Gebühren aus dem Marketplace. Außerdem verwende Amazon diese Einnahmen dazu, die eigenen Angebote zu subventionieren und preislich die Konkurrenz zu unterbieten. Die Ankündigung, den Marketplace notfalls zu schließen, wenn der US-Kongress seine Regulierungspläne umsetze, sei daher nur ein Bluff, schlussfolgert Mitchell.
Auch die Argumentation von Amazon, dass die höheren Einnahmen aus dem Marketplace daher kämen, dass Händler zusätzliche Services nutzen, etwa Fulfillment by Amazon (FBA) oder die Werbemöglichkeiten, lässt Mitchell nicht gelten. Vielfach hätten die Händler gar keine andere Möglichkeit, als diese Angebote zu nutzen. Sie berichtet zum Beispiel von Händlern, deren Angebote plötzlich schlechter gefunden wurden und deren Umsätze einbrachen und die von Amazon auf eine Anfrage zu den Ursachen darauf hingewiesen wurden, dass sie die offerierten Werbemöglichkeiten auf der Plattform nicht nutzen. Wobei die oftmals gar nichts nutzten, will Amazon seine vielfältigen, oft gut kaschierten Eigenmarken und eigenen Angebote dennoch bevorzuge. Das erinnert an die Fabel von Hase und Igel - einen Wettlauf, den der Hase nie gewinnen konnte.
Die hohen Gebühren und der harte Wettbewerb der Händler mit dem Marktplatzbetreiber selber fordern nicht nur einen finanziellen Tribut: Viele kleinere US-Firmen hielten dem Druck nicht stand und gäben auf, berichtet Mitchell. Anbieter aus China springen in die Bresche: Inzwischen stammten fast die Hälfte der 10.000 umsatzstärksten Händler auf dem Amazon-Marketplace aus China.
Die vollständie Ausgabe der Studie sowie eine Zusammenfassung stehen auf der Website des ILSR kostenlos und ohne Registrierungspflicht als PDF-Dokumente zum Download bereit.
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