Mangelnde Verfügbarkeit, da denkt man zunächst an unzufriedene Kunden, ausbleibende Zahlungen, verfehlte Ziele und Investitionsstau. So waren die aktuellen Lieferengpässe in der IT-Branche auch eines der wesentlichen Themen des jährlichen Canalys Forums, einer der bedeutendsten Konferenzen des europäischen IT-Channels.
Auch in diesem Jahr wurde die Veranstaltung Corona-bedingt überwiegen online abgehalten, nur ein paar Topmanager der großen IT-Infrastrukturanbieter hatte Steve Brazier, CEO des auf den globalen Channel spezialisierten Beratungs- und Marktforschungsunternehmens Canalys, in Barcelona um sich geschart.
Lieferfähigkeit vor Preis
In seiner in jedem Jahr mit Spannung erwarteten Keynote sparte Brazier auch dieses Mal nicht mit pointierten Aussagen. "Lieferengpässe bedeuten nicht nur schlechte Nachrichten", bekräftigt der Canalys-CEO. Er kann der gegenwärtigen Situation auch viel Positives abgewinnen. Nach vielen Jahren des Preisverfalls steigen nun die Preise und damit auch die Margen wieder. "Erstmals in der Geschichte der Technologiebranche müssen Sie Ihren Kunden sagen, dass wenn sie ihre Investitionen auf den nächsten Monat oder das nächste Quartal verschieben, sie letztendlich mehr bezahlen", bekräftig Brazier. "Ändern Sie bei den Verhandlungen mit dem Kunden die Sichtweise. Sprechen Sie nicht mehr darüber, welches Produkt billiger ist, sondern welches Produkt zuerst lieferbar ist", rät er den zugeschalteten Systemhäuser und IT-Dienstleistern aus ganz Europa.
Natürlich sei die gegenwärtige Situation auch problematisch, räumt der Canalys-Chef ein. "Der Channel ist seit Jahren erstmals in der Lage, in großem Stil Investitionen zu fördern, doch Preiserhöhungen werden das verzögern", meint Brazier. Er sieht aber die Engpässe als einen der wesentlichen Gründe, warum es im Channel derzeit eigentlich wirtschaftlich gut läuft. "Und die Verknappung wird anhalten, zumindest für die nächsten 12 Monate, höchstwahrscheinlich sogar bis weit in das Jahr 2023", prognostiziert der Marktkenner.
Massive Investitionen
Verstärkt wird diese Situation durch "massive Investitionen" in die IT-Infrastruktur. Als Beispiel nennt Brazier den Ausbau von Netzwerkstrukturen wie WLAN oder Campus-Netzwerke. Unterstützt werde diese Entwicklung auch durch die Impffortschritte in Europa, die dazu führen, dass Mitarbeiter vom Homeoffice wieder ins Büro zurückkehren.
Neben den Faktoren, die ein positiven Marktumfeld erzeugen, sieht Brazier im kommenden Jahr auch große Herausforderungen für die Branche, insbesondere durch die steigende Inflation, die nachlassende Wirtschaftskraft Chinas sowie den Mangel an geeignetem Personal. "Der Wettbewerb um geeignete Talente wird an Schärfe gewinnen", ist sich der Analyst sicher. Wann und wo Menschen arbeiten können, werde ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal sein. "Wenn Sie in den nächsten 12 bis 18 Monaten eine falsche Entscheidung treffen, wird eine Abwanderung von Mitarbeitern wahrscheinlich", warnt er.
Skeptisch ist der Canalys-Experte jedoch bei Modellen, die komplett auf Präsenz verzichten. "Wenn Sie Ihr Büro schließen und Ihre Mitarbeiter überall leben können, werden Sie das nur schwer umkehren können", gibt er zu bedenken. Man müsse sich vielmehr mit hybriden Strukturen auseinandersetzen. "Mitarbeiter wollen mehr Flexibilität. Dies erfordert, dieser Nachfrage nachzukommen und die richtige Balance zu finden", meint Brazier.
Zudem sieht Brazier die IT-Unternehmen in der Pflicht, sich mit dem Thema Nachhaltigkeit zu beschäftigen, und nicht nur, um "Gewinn zu machen, sondern um den Planeten zu retten". Dabei warnt er vor zu langfristigen Zielen und Versprechungen für die kommenden Dekade. "Wenn Sie von einem Ziel im Jahr 2030 sprechen, heißt das so viel wie, ich tu nicht viel, aber mein Nachfolger könnte das ja dann umsetzen", befürchtet Brazier. Die Fragen müssen eher lauten: Was mache ich bereits heute? Wie wird sich mein Unternehmen in 12 Monaten im Vergleich zu heute unterschieden und welche Schritte habe ich unternommen, um Fortschritte zu erzielen.
Investitionen in den Channel lohnen sich
Doch trotz aller Schwierigkeiten und Hemmnissen sieht der Canalys-Chef die Branche auf einem guten Weg. Wer vor einem Jahr in die großen, Channel-orientierten Unternehmen investiert habe, sei heute ein gutes Stück reicher. Brazier bezeichnet es als "großes Glück" in der IT-Branche zu sein, die während der Pandemie wesentlich weniger Schwierigkeiten hatte im Vergleich zur Automobilbranche, zum Gastgewerbe oder zur Filmindustrie.
Das sei auch darauf zurückzuführen, weil jeder Teil der Branche, von Geräten über Cloud-Lösungen bis hin zum Security- und Netzwerkgeschäft gut abgeschnitten habe. "In der IT-Branche zu arbeiten war die beste Entscheidung, die Sie treffen konnten", bekräftig Brazier. Und es sei dies mit "ziemlicher Sicherheit" auch die nächsten zehn Jahre so.
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