Der Einzelhandel muss sich wandeln

Kundenservice? Fehlanzeige!

Uwe Ritschel schreibt als Experte zu den Herausforderungen des  Einzelhandels. In seiner nunmehr fünfzigjährigen Tätigkeit hat er alle Facetten der Branche kennengelernt. Sein Weg führte vom Einkäufer und Abteilungsleiter bis ins Management eines großen Handelsunternehmens. Ritschel beschäftigt sich mit den Chancen und Risiken durch die Digitalisierung des Handels. Damit ist er heute ein gefragter Experte für Händlergemeinschaften und City-Marketing.
Leere Fußgängerzonen aufgrund der Covid-19-Pandemie halten auch dem Einzelhandel den Spiegel vor. Hybride Verkaufsstrategien und Services sind gefragt - die die Kunden übrigens bereits seit Jahren vom Online-Handel gewohnt sind.
Leere Fußgängerzonen, wie die in München im April 2020, dürften auch nach der Corona-Pandemie unseren Alltag bestimmen. Was der Fachhandel jetzt dagegen unternehmen sollte.
Leere Fußgängerzonen, wie die in München im April 2020, dürften auch nach der Corona-Pandemie unseren Alltag bestimmen. Was der Fachhandel jetzt dagegen unternehmen sollte.
Foto: Chris Redan - shutterstock.com

Es gab eine Zeit vor Corona und es wird eine Zeit nach Corona geben. Das wussten wir bereits im April 2020, als der Virus uns zum ersten Mal fest im Griff hatte. Leere Innenstädte, geschlossene Geschäfte, Bars und Kneipen zu. Nur in den Verteilzentren von Amazon brannte das Licht heller als je zuvor. Der Onlinehandel feierte Rekorde und DPD, Hermes UPS und DHL kamen an ihre Kapazitätsgrenzen. Für den stationären Einzelhandel war das allein schon eine Katastrophe.

Zeitgleich ging Karstadt/Kaufhof in die Insolvenz und musste über 40 Warenhäuser in bester Innenstadtlage schließen. Jetzt rächt es sich, dass die Mahnungen und die Sorgen um den Standort Innenstadt bisher nicht oder zu wenig ernst genommen wurden.

Digitale Einkaufsstädte: Gut, aber nicht gut genug

1994 wurde Amazon gegründet. Das Smartphone, so wie wir es kennen, gibt es seit 2007. Damals lag der Umsatz im E-Commerce bei zehn Milliarden Euro. 2020 werden die 60 Milliarden Euro wohl überschritten. Lange wurde gewarnt und geredet. Es gab auch immer wieder gute Ansätze. Online City Wuppertal ging durch die Presse. Die Digitale Einkaufsstadt Bayern wurde mit großem Aufwand ins Leben gerufen und zahlreiche lokale Initiativen wurden auf den Weg gebracht. Der durchschlagende Erfolg blieb leider bisher aus.

Es reicht eben nicht, wenn der Bürgermeister sich mit einigen Gastronomen fotografieren lässt, um die Einführung der "netten Toilette" zu feiern. Es reicht auch nicht ein paar Bänke und Pflanzenkübel am Marktplatz aufzustellen, um die Verweildauer in der Innenstadt zu verlängern. Selber aktiv werden und nicht darauf warten bis andere etwas tun. Die Händler müssen ihr ureigenes Geschäft neu überdenken. Corona hat die Defizite schonungslos offengelegt.

Lesetipp: Es ist wenig los beim "Internethändler von nebenan"

Kundenservice: Der Onlinehandel macht's vor

Wären Amazon, Zalando oder MyToys nicht nur als Onlinehändler sondern auch als stationäre Händler in der Stadt, direkt am Marktplatz, sichtbar und greifbar für alle, dann hätte der Einzelhandel längst auf den Service des großen Mitbewerbers reagieren müssen.
Stattdessen gibt es immer noch Schilder mit "Kartenzahlung erst ab 10,- Euro" oder "Umtausch nur gegen Gutschein".
Was ist mit "Lieferung frei Haus" oder "Bei nicht gefallen Geld zurück", auch ohne lästige Fragen?

Vor allem eine großzügige Umtauschregelung erleichtert vielen Verbrauchern die Kaufentscheidung. Nichts ist unangenehmer als ein Umtausch, bei dem der Verkäufer die Ware erst einmal peinlich genau inspiziert. Was glauben Sie, wie der Kunde sich dann vorkommt? Umtausch und Geldrückgabe ist kein Gnadenakt, im Gegenteil! Gerade in solchen Situationen kann sich ein Händler als großzügiger Partner präsentieren und hat die Chance, den Kunden zum Stammkunden zu machen. Nichts ist schlimmer, als ein Kunde der mit einem schlechten Gefühl das Haus verlässt.

Service ist heute das A und O. Dem Standort Innenstadt hilft es aber wenig, wenn nur zwei, drei Händler ihren Service kritisch hinterfragen. Hier sitzen alle in einem Boot. Der Service muss sich von der kleinsten Boutique bis zum größten Bekleidungshaus auf einem Niveau bewegen - und zwar auf dem höchsten! Alle sollten gemeinsam die Kunden an den Standort binden. Das heißt, alle Händler müssen gemeinsam diese höchsten Standards erfüllen. Für die Onlinehändler ist das gelebter Alltag.

Lesetipp: Das Internet hat keine Ladenöffnungszeiten - Der Einzelhandel in der Falle

Verlässliche und einheitliche Öffnungszeiten

Weltweit können Verbraucher 24 Stunden am Tag bestellen - in Deutschland aber nur bis 20 Uhr einkaufen. Das kann man gut finden oder beklagen. Beklagenswert ist es aber auch, wenn jeder Händler, innerhalb der gesetzlichen Öffnungszeiten, sein Geschäft öffnet und schließt wann und wie er möchte.

Jedes Einkaufszentrum hat in der Regel von 10 - 20 Uhr durchgehend geöffnet und das sechs Tage die Woche. Auch die Innenstadt muss sich als Einkaufszentrum verstehen und es sollten einheitliche Regelungen gelten. Zumindest sollte es eine Kernöffnungszeit geben, an die sich alle zu halten haben. Wenn in kleineren Städten die Geschäfte von 10 - 18 Uhr geöffnet haben, mag das für den einen oder anderen Standort in Ordnung sein. In Großstädten ist 20 Uhr geboten. Wer über Mittag sein Geschäft schließt, lässt diejenigen vor verschlossenen Türen stehen, die nur in der Mittagspause Zeit haben, schnell etwas einzukaufen.

Was ist das für eine Innenstadt, wo der eine Händler durchgehend geöffnet hat während der Nachbar seinen Laden über Mittag schließt?

Was ist das für eine Innenstadt, wenn der eine am Mittwochnachmittag geschlossen hat, der andere am Dienstagvormittag und der Friseur am Montag erst gar nicht öffnet?

Was ist das für eine Innenstadt, in der der erste Laden um 12:30 schließt, der nächste um 14 Uhr und Filialisten bis 16 Uhr geöffnet haben? Nur der Edeka ist noch bis 20 Uhr gut besucht.

Schluss mit den Egoismen! Geht nicht, gibt's nicht. Die Händlergemeinschaft muss erst einmal vor der eigenen Haustüre kehren. Corona sollte der letzte Warnschuss sein, um den gesamten Service, und dazu zählen auch die Öffnungszeiten, an den Wünschen und Ansprüchen der Kunden zu orientieren. Das ist und bleibt das Fundament einer lebendigen Innenstadt.

Der City-Motor als treibende Kraft

Um solche Mindeststandards durchzusetzen braucht es keinen Kümmerer. Ein Kümmerer wäre jemand der sich, wie der Name schon sagt, um etwas kümmert. Kümmern muss sich aber nicht irgendein Externer, kümmern muss sich jeder selbst, um seinen Laden, um seinen Service und um das Gesicht seines Ladens nach draußen. Tatsächlich braucht man einen City-Motor, eine treibende Kraft. Jemand der den Händlern auf den Füßen steht und die Mindeststandards einfordert. Die Kette ist nur so stark wie ihr schwächstes Glied. Das heißt, wenn nicht alle mit dabei sind, verpuffen auch die Anstrengungen der Anderen.

Dieser City-Motor muss auch von sich aus mit neuen Ideen aktiv werden. Dabei ist eine enge Zusammenarbeit mit den Händlern und Gastronomen vor Ort unabdingbar. Eine eigene Homepage für die Innenstadt ist die Basis aller weiteren Aktivitäten. Eine Homepage, auf der alle Akteure der City mit ihrem Firmenlogo zu finden sind. Ein Klick auf das Logo und der Kunde ist im Geschäft, Restaurant oder Café seiner Wahl.

Eine solche Internetpräsenz darf aber nicht so dahindümpeln, nein, sie muss täglich neu befeuert werden. Jetzt sind die sozialen Medien gefragt.

Stufe 1: Optimal wäre in Stufe 1 ein Innenstadt-Blog. Hier kann sich der City-Motor als treibende Kraft profilieren. Täglich eine kleine Story. Eine kleine Geschichte welche die Innenstadt ein wenig sympathischer macht. Zum Start und zur öffentlichen Präsentation sollte die örtliche Presse mit eingebunden werden. Gerade die Presse muss ein fundamentales Interesse an einer lebendigen Innenstadt haben. Von einer öden Schlafstadt gibt es nicht viel zu berichten und geschlossene Geschäften schalten keine Inserate.

Händler, die zusätzlich zu ihrem Ladengeschäft einen Onlineshop betreiben, haben rund um die Uhr für ihre Kunden geöffnet.
Händler, die zusätzlich zu ihrem Ladengeschäft einen Onlineshop betreiben, haben rund um die Uhr für ihre Kunden geöffnet.
Foto: Minerva Studio - shutterstock.com

Stufe 2: In Stufe 2 heißt es, auf Instagram und Facebook aktiv zu werden. Wer nicht weiß was da los ist, sollte mal seine Auszubildenden fragen. Ein paar Fotos vom Einkauf auf der Modemesse, die Ankunft der neuen Kollektion oder ein paar Tipps zu den Trends von morgen reichen, um Gesprächsstoff zu erzeugen. Die Fotos müssen gut sein und hinter jedem Post muss eine Story stehen.
Hier ist der City-Motor wieder gefragt. Er kann nicht für alle gleichzeitig aktiv sein. Seine Aufgabe ist es, alle Akteure fit zu machen für Social Media. Das ist die Welt, in der sich das Leben heute abspielt. Wer dabei ist, gehört auch dazu. Die anderen stehen abseits. Auch hier geht nichts ohne Kontinuität und einem langen Atem. Der tägliche Blog und die Aktivitäten in den sozialen Medien müssen sich ergänzen. Nur durch gemeinsame Anstrengungen bekommt die Innenstadt wieder den Stellenwert, den sie früher einmal hatte.

Gemeinsame Anstrengungen setzen gemeinsame Planungen voraus. Nichts darf dem Zufall überlassen werden. Alle Aktivitäten sind zum Scheitern verurteilt, wenn man am Freitag per Rundruf abfragt, was denn für die nächste Woche so geplant ist. Hier muss der City-Motor wieder auf vollen Touren laufen. Instagram kann auch das Tor zum Onlinehandel werden. Neue Händlertools stehen zur Verfügung und die Follower, die sich an den Fotos begeistern, können hier auch ohne Umwege einkaufen. Dem Start zum eigenen Onlineshop steht dann nichts mehr im Wege. Damit wäre auch Stufe 3 erreicht.

Stufe 3: Am Ende muss eine hybride Verkaufsstrategie stehen. Im Netz aktuell sein und im Geschäft vor Ort den persönlichen Kontakt pflegen. Ohne eine Onlinepräsenz ist alles nur die Hälfte wert und ohne Onlineshop steht das Geschäft nur noch auf einem Bein. Der eigene Shop kann aber nur die letzte Stufe der Entwicklung sein. Zuerst muss das Geschäft vor Ort auf einen Top-Level gebracht werden, denn der Onlineshop lebt letztlich auch vom guten Namen der stationären Mutter - dort vorne am Marktplatz. (bw)

38 Prozent der Internetnutzer verwenden Social Media, um Angebote für Produkte und Dienstleistungen zu finden.
38 Prozent der Internetnutzer verwenden Social Media, um Angebote für Produkte und Dienstleistungen zu finden.
Foto: Bitkom Social Media Trends Report 2018
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