Düster. Über alle Epochen der Zeitgeschichte hinweg malen die Menschen die Zukunft am liebsten düster. Vor allem, wenn es um Maschinen geht, die selbstständig dazulernen, die steuern und vorausschauen und dem Menschen das Denken zunehmend abnehmen können. Dafür muss man gar nicht den vielzitierten George Orwell und seinen dystopischen Roman 1984 bemühen. Es reicht auch, großen Persönlichkeiten unserer Zeit zuzuhören. Einer von ihnen hat gesagt: „Wenn man mich fragt, was ich für die größte existenzielle Bedrohung halte, denke ich sofort an KI.“ Dieser Mann war Elon Musk.
Was bringt den Gründer von Paypal, Tesla und SpaceX dazu, sich vor etwas zu fürchten, das er selbst mit ganzer Kraft und finanziellen Mitteln vorantreibt? Immerhin steht er damit nicht alleine da: Der Physiker Stephen Hawking, Microsoft-Gründer Bill Gates und viele andere große Namen der IT-Branche haben sich bereits ähnlich geäußert. Sie alle sehen ein Risiko darin, dass sich Maschinen, die von Menschen intelligent gemacht werden, verselbstständigen und irgendwann mächtiger werden als ihre Schöpfer. Eine berechtigte Angst?
KI: Schluss mit dem Schwarzweiß-Denken
Ein Blick auf den aktuellen technologischen Fortschritt zeigt: Ja, es geht rasant voran. Ja, Maschinen werden immer selbstständiger. Aber: Was heute als Künstliche Intelligenz angepriesen wird, sind komplexe Datenverarbeitungssysteme, die – je nach Programmierung mal mehr, mal weniger treffsicher – einen Verlauf prognostizieren, die gewünschte Antwort erahnen und ein (menschliches) Verhalten adaptieren können. Jedoch immer nur, solange diese Dinge berechenbar sind.
Das ist – verglichen mit allem, was es vorher an Technologie gegeben hat – ein echter Erfolg, ein wahnsinniger Fortschritt, eine Revolution. Gleichzeitig allerdings auch nur ein Ursprungszustand in einer langen Evolutionsphase, von der wir heute nicht wissen, welchen Verlauf sie nehmen wird, aber für die es viele Visionen gibt. Und weil wir Menschen sind und keine Maschinen, entwickeln wir dazu Gefühle.
Emotionen sind Teil von Intelligenz: Schmerz, Scheitern, aber auch Freude und Befriedigung fließen in Entscheidungen mit hinein. Maschinen werden niemals Empfindungen haben können. Das ist gut, weil sie in bestimmten Bereichen aufgrund einer aus aufbereiteten Daten gespeisten Entscheidungsbasis „selbstständig“ handeln und damit weniger anfällig für Fehler sind. Aber es macht sie als Systeme auch abhängig vom Menschen, der sie programmiert, der sie an- und ausschaltet, der über sie verfügt. Dass sich dieses Machtverhältnis irgendwann einmal umkehrt, ist nur schwer vorstellbar.
Die Maschine wird menschlich, der Mensch wird digital
Sich das zu vergegenwärtigen, wird aber umso wichtiger, wenn es darum geht, KI und ihren Einsatz in der nahen Zukunft zu bewerten. Denn es geht hier nicht um ein Entweder/Oder, nicht um Schwarz oder Weiß. Es geht um ein Miteinander, um Co-Existenz und um Abhängigkeit von beiden Seiten. Schließlich werden nicht nur die Maschinen menschlicher, sondern auch die Menschen digitaler.
Es geht also in erster Linie nicht darum, Maschinen so intelligent wie möglich zu machen. Vielmehr muss Technologie sinnvoll, zielgerichtet und natürlich im Alltag integriert werden. Das ist die eigentliche Herausforderung. Dafür gibt es bereits gute Beispiele. Etwa in der Industrie, die seit der industriellen Revolution darauf hinarbeitet, sich wiederholende, körperlich schwere, stupide Arbeiten nicht mehr von Menschen, sondern von Anlagen ausführen zu lassen.
In der Medizin, in der KI immer besser darin wird, Krankheiten zu erkennen. Oder auch in alltäglichen Lebensbereichen, zum Beispiel im eigenen Zuhause: Das Wachstum im Bereich Smart Home ist enorm. Skepsis weicht in allen Bereichen zunehmend Vertrauen, nur: Um letzteres zu gewinnen, muss alles zuverlässig, sicher und unkompliziert laufen.
Der Handel als Experimentierfeld für KI
Eine wahre Spielwiese für Künstliche Intelligenz war in den vergangenen Jahren der Handel: An dieser Stelle merken Wirtschaft und Verbraucher gleichermaßen stark, wie die Digitalisierung den Alltag prägt und Stück für Stück verändert. Das reicht von Spielereien wie dem Roboter Paul beim Elektronik-Riesen Saturn, der Kunden den Weg zum gewünschten Produkt weist, bis hin zum Supermarkt, der komplett ohne Verkäufer auskommt, Stichwort Amazon Go. Beides sind Pilotprojekte, Einzelbeispiele, die von den einen belächelt und von den anderen gefeiert werden. Wirkliche Veränderung findet jedoch eher schleichend statt.
Zum Beispiel dort, wo Kunden es gar nicht mitkriegen: Durch Sensorkameras werden sogenannte Heatmaps in Geschäften erstellt, die die Laufwege von Kunden analysieren und so Daten ermitteln, auf deren Grundlage Waren an bestimmten Orten platziert werden. Und das ist ein echter Upselling-Faktor, denn oft werden für einen besseren Abverkauf nicht nur Produkte an Hotspots angeboten, sondern direkt daneben auch Zubehör platziert, das das Hauptprodukt durch einen extremen Aktionspreis noch attraktiver macht. Künstliche Intelligenz liefert hier die Daten als Grundlage für eine Verkaufstaktik, die vor allem auf psychologischen Faktoren beruht. Sie – und das ist charakteristisch für die KI unserer Zeit – ersetzt nicht bestehende Systeme, sondern ergänzt sie.
Gleiches gilt für digitale Spiegel, Smart Mirror, die das anprobierte Kleidungsstück mit anderen vergleichen oder passende Accessoires empfehlen. Oder für elektronische Schilder, die dynamisch auf Konkurrenzkampf, Wetterlage oder andere Faktoren reagieren – und vielleicht irgendwann automatisch über das Auslesen des Smartphones oder Ähnliches erkennen können, wie kaufkräftig der Kunde ist, der vor dem Produkt steht.
KI: Mehr als Datensammler und Prognosen-Prophet?
Überhaupt, das Smartphone: Als Datenlieferant zeichnet es schon jetzt ein genaues Bild des Besitzers, das Onlineshops längst für sich nutzen, das aber auch immer stärker im stationären Handel abgefragt wird. So können Kunden beispielsweise mit ihrer Treuepunkte-App vor Ort „einchecken“ und von besonderen, personalisierten Rabatten profitieren. Und selbst wer die Funktionen nicht aktiv nutzt, wird gegebenenfalls über die Beacon-Technologie erkannt und ausgewertet.
In allen genannten Beispielen ist Künstliche Intelligenz meist nicht viel mehr als ein Algorithmus-Meister: ein eifriger Datensammler, ein günstiger Prognosen-Lieferant, manchmal sogar ein Manipulator, der zum Kauf bewegt. Der Mehrwert entsteht im Wesentlichen für die Wirtschaft, die sich die Assistenzsysteme zum Geldverdienen auch viel kosten lässt. Der Kunde profitiert durch eine bessere, persönlichere Ansprache und Auswahl, und nicht selten auch durch direkte Rabatte.
Aber müsste Künstliche Intelligenz nicht eigentlich noch mehr können? Ganz klar: Ja! Denn auch wenn sie selbst nicht über die Fähigkeit verfügt, Emotionen zu empfinden, so kann sie diese dennoch wecken. Zum Beispiel dadurch, dass sie das Shopping-Erlebnis nicht nur vielfältiger gestaltet, sondern auch bequemer macht. Mobile Payment über das Smartphone oder die Smartwatch ist da ein gutes Beispiel; auch Click&Collect-Systeme vereinfachen das Einkaufen. In Zukunft wird auch der digitale Kassenzettel Erleichterung bringen – nicht nur den Kunden, die den lästigen Papierbeleg los werden und weniger Ärger mit Umtauschen und Garantie-Einlösungen haben, sondern auch der Umwelt, da weniger Bäume und Wasser für die Produktion von Kassenzetteln benötigt werden.
Zu oft wird derzeit noch gefragt, wie sich die Unmengen an Daten im Handel nutzen lassen. Im Vordergrund sollte aber besser das Wofür stehen. Das gelingt in anderen Bereichen immer mehr: In der Automatisierung der Mobilität, wenn es um die Vermeidung von Unfällen durch KI geht, zum Beispiel. In der Medizin, wenn digitale Krankenakten und ihre Auswertung mehr Zeit für die Diagnose des Arztes ermöglichen. In der Wissenschaft, in der Datensätze für kürzere Prozesse in der Forschung genutzt werden. Überall dort eben, wo KI intelligent angewendet wird.
Jetzt gilt: Vertrauen gewinnen – durch passende Lösungen
Im Handel sollte KI nicht dafür genutzt werden, personelle Ressourcen einzusparen; sondern um zum Beispiel Verkäufern und Beratern wieder mehr Freiräume zu schaffen, persönlich und freundlich zu beraten. Dass genau das noch immer von den Kunden gewünscht ist, zeigt eine repräsentative Umfrage von PWC zum Thema „ Künstliche Intelligenz – Handel im Wandel“ (2018): 83 Prozent lehnen eine Beratungsleistung durch Roboter ab. Fast 60 Prozent allerdings würden es begrüßen, wenn Computersysteme im Geschäft die Körpermaße scannen, um schneller zu passenden Kleidungsstücken zu gelangen.
Dieses Fingerspitzengefühl dafür, was Kunden wollen und brauchen in Abgrenzung zu dem, was technisch möglich ist – also den klugen, überlegten und zielgruppengenauen Einsatz der Künstlichen Intelligenz - gilt es jetzt noch stärker zu entwickeln. Damit Verbraucher KI als Teil ihres Alltags annehmen und sich nicht davor fürchten.