Kommentar

23.09.1999

Bunt ist das Leben. Außerdem am Arbeitsplatz digital vernetzt, in der Freizeit konsequent sportlich. Das bleibt so, versichern Freizeit- und Marktforscher, weshalb dem, der dagegen Einwände formuliert, die Saurierplakette 1999 droht. Doch ein Bereich ist bis heute der Digitalisierung und Vernetzung entzogen. Seine Zahl geht in die Hunderte Millionen; er ist weltweit allgegenwärtig und sein Ende ist nicht in Sicht. Es ist der Haushalt. In ihm findet die tägliche Reproduktion der Bevölkerung statt, ohne ihn gibt es kein soziales Leben, das sich von dem Arbeitsleben unterscheidet.Das soll sich ändern. Die in- und externe Vernetzung der Haushalte ist der neueste Liebling von Marktforschern und Unternehmen der IT- und Unterhaltungsbranche. "In fünf Jahren werden die Leute fragen, wie es jemals anders ging", blickt etwa Philips-Manager Klaus Petri hoffnungsvoll in die Zukunft und auf den milliardenschweren Markt "Heimnetze" ("Home Networking"-Markt). Zahlen und Prognosen der Marktforscher belegen: In den USA sind rund 17 Millionen Haushalte (37 Prozent aller Haushalte mit PCs) an Heimnetzwerken interessiert, meldet Marktforscher "Yankee Group". Die Kollegen von IDC glauben, daß in Europa binnen sechs Jahren immerhin jeder sechste Haushalt vernetzt sein wird; die Auguren von Strategy Analytics entfalten ein komplettes Szenario neuer Dienste und Angebote für Haushalte, und das IT-Unternehmen, das nicht in einer der "Home Networking"-Allianzen um den bestverkäuflichen Standard ringt, muß erst gefunden werden.

Fest steht: Haushalte sind - anders als die Arbeitsplätze - bisher nicht vernetzt. Beziehungslos, nur funktional in Zusammenhang gesetzt - Küche, Wäsche, Musik und so weiter - verrichten die elektrischen und elektronischen Geräte dort ihren Dienst. Die elektronische "Intelligenz", die in ihnen zu finden ist, wurde allein für die jeweilige Funktion entwickelt, die sie erfüllen sollen. Daran haben sich die Menschen gewöhnt, mit diesen Geräten, die aus dem häuslichen Alltag nicht mehr wegzudenken sind, wachsen sie auf und teilen ihre Tätigkeiten so ein, wie es diese Geräte erlauben.

Das bedeutet aber, daß diese Geräte der Vernetzung der Haushalte im Weg stehen. Da sie Haushaltsarbeit und Freizeit in funktional bestimmte Tätigkeiten aufteilen, vernetzte Haushalte dagegen aus dem Zusammenspiel der Geräte ihre Berechtigung und Attraktivität ziehen sollen, müssen sie ausgetauscht werden. Nur vor diesem Hintergrund ergibt sich in der Tat jenes "gewaltige Marktpotential", von dem Marktforscher Frost & Sullivan spricht.

Es kommt hinzu: Auch wenn die Haushalte die Enteignung ihrer Geräte einfach hinnehmen sollten, wissen die Propagandisten des "vernetzen Heimes" bisher nicht, wie sie den Markt zum Laufen bringen können. Daß er mit Ethernet-Kits für Spiele-PCs, ersten "Flat Rate"-Angeboten von Online-Anbietern, "allgemeinen Schutzverletzungen" oder Request-/Response-Problemen des vermeintlich "intelligenten" Kühlschranks aus der Taufe gehoben werden könnte, kann niemand ernsthaft annehmen. Wer professionell mit IT-Produkten handelt, wird mit anderen Problemen konfrontiert. Weshalb es für heute es genug sein soll, über das vernetzte Heim zu sprechen. Vielleicht in vier, fünf Jahren wieder.

Wolfgang Leierseder

wleierseder@computerpartner.de

Zur Startseite