Johannes Kahrs ist Mitglied des Bundestages und der SPD, fiel noch nie durch spektakuläre Aktionen auf - bis jetzt. Der Hamburger Politiker plant in diesem Herbst einen Vorstoß zur Abschaffung der Zwangsmitgliedschaft in Kammern und Verbänden: "Sie können aus der Kirche, aus der Partei, aus der Gewerkschaft und sogar aus ihrer Ehe austreten - nur bei der Kammer haben sie keine Wahl." Seit am 18. Dezember 1956 das entsprechende Gesetz in Kraft trat, muss tatsächlich jeder Betrieb, der Gewerbesteuer abführt, zwangsweise Mitglied in einer der 82 deutschen Industrie- und Handelskammern sein und jährliche Beiträge entrichten. Die Spitzenorganisation DIHT beziffert die Zahl ihrer Mitglieder auf etwa drei Millionen. Von dem "hohen politischen Gewicht", das die Institution sich selbst zuschreibt, sind aber nicht alle überzeugt: Viele Firmen haben bereits gegen die Kammern geklagt, bisher jedoch ohne Erfolg: Wer nicht zahlen wollte, riskierte bisher eine Zwangsvollstreckung durch die eigene Vertretung. Die Bundesregierung müsse das System der Kammermitgliedschaft dringend überprüfen und reformieren, so Kahrs. Wenn die Aufforderung allein nichts bewirkt, will er mit seiner Fraktion einen entsprechenden Antrag aus dem Parlament einbringen. In dem soll die Regierung verbindlich aufgefordert werden, ein Gesetzgebungsverfahren einzuleiten, das den Kammerzwang zum 1. Januar 2005 außer Kraft setzt. 90 Abgeordnete haben ihre Unterstützung bereits zugesagt, schreibt die "Berliner Zeitung". "Niemand will die Kammern abschaffen", betont Kahrs, "übergreifende Aufgaben und Interessen sollten aber nicht vom Staat, sondern von wettbewerbs- und leistungsorientierten Konkurrenten auf diesem Markt übernommen werden. Auch in diesem Bereich müssen die marktwirtschaftlichen Gesetze von Angebot und Nachfrage gelten und der Verbraucher, in diesem Falle die Unternehmen, sich das passende Angebot auf dem freien Markt aussuchen können". Als starr und verkrustet empfinden auch immer mehr Mitglieder die Strukturen. Und sie organisieren den Widerstand: Mehr "Freiheit für IT-Berufler" fordert beispielsweise der Berufsverband der Selbstständigen in der Informatik (BVSI). Denn man sehe die eigenen Interessen durch die IHK nicht vertreten, sagt Vorstandsmitglied Dirk Bisping: "Die hohen Mitgliedsbeiträge stehen im Missverhältnis zu den - nicht erbrachten - Leistungen der Kammer." Wer eine dem Berufsbild der IT-Experten entsprechende Gegenleistung erwarte, werde enttäuscht: "Weder die Weiterbildungsmaßnahmen noch sonstige Angebote der Handelskammer sind auf die Bedürfnisse von IT-Beratern zugeschnitten." Man habe den Eindruck, insbesondere die IHK sei heutzutage weniger denn je eine Interessenvertretung für ihre Mitglieder, sondern entwickle sich immer mehr zu einem Unternehmen mit "eigenen wirtschaftlichen Interessen". Diese Erfahrung hat auch Marius Ebert, Leiter der Dr. Ebert Akademie in Königswinter gemacht. Sein Institut bietet in Zusammenarbeit mit der Deutschen Angestellten Akademie verschiedene Lehrgänge, unter anderem den IHK-Betriebswirt, an. "Mehr als einmal" habe er erlebt, dass ihm die IHK interessierte Kursteilnehmer "ausspannte". "Wenn sich jemand für unsere Kurse interessiert, aber noch nicht geklärt ist, ob er auch die Zugangsvoraussetzungen erfüllt, muss er dies bei der IHK erfragen", so Ebert. Von 50 Interessenten seien 6 wiedergekommen. Ebert sieht die Neutralität der Kammer nicht mehr gewährleistet, weil sie ähnliche und gleiche Weiterbildungskurse wie sein Institut anbietet: "Die IHK sollte eigentlich eine neutrale Position und damit das Gesamtinteresse der Wirtschaft vertreten. Doch eine Institution, die neben ihren Mitgliedern selbst am Markt agiert und dadurch Eigeninteressen verfolgt, kann nicht neutral sein." Ebert hat seinem Protest eine Stimme gegeben: Ihn inspirierte das Thema zur Produktion eines Rocksongs mit dem Titel "Zwangsbeglückung". Darin hat er seine Erlebnisse verarbeitet: "Sie kämpfen für Dich, hast Du gedacht, dabei wird Dir von ihnen Konkurrenz gemacht". Ebert: "Es hat schon erste Gespräche mit interessierten Radio-Sendern gegeben." (mf)Weitere Top-Meldungen im August:Taskarena AG: Gründungsmitglied Achim Greif verlässt das Unternehmen"Fabrikverkauf": HP eröffnet Online-Shop für GeschäftskundenEs darf nur eine geben: massenhaft Abmahnungen durch die Telekom
06.08.2003
Johannes Kahrs ist Mitglied des Bundestages und der SPD, fiel noch nie durch spektakuläre Aktionen auf - bis jetzt. Der Hamburger Politiker plant in diesem Herbst einen Vorstoß zur Abschaffung der Zwangsmitgliedschaft in Kammern und Verbänden: "Sie können aus der Kirche, aus der Partei, aus der Gewerkschaft und sogar aus ihrer Ehe austreten - nur bei der Kammer haben sie keine Wahl." Seit am 18. Dezember 1956 das entsprechende Gesetz in Kraft trat, muss tatsächlich jeder Betrieb, der Gewerbesteuer abführt, zwangsweise Mitglied in einer der 82 deutschen Industrie- und Handelskammern sein und jährliche Beiträge entrichten. Die Spitzenorganisation DIHT beziffert die Zahl ihrer Mitglieder auf etwa drei Millionen. Von dem "hohen politischen Gewicht", das die Institution sich selbst zuschreibt, sind aber nicht alle überzeugt: Viele Firmen haben bereits gegen die Kammern geklagt, bisher jedoch ohne Erfolg: Wer nicht zahlen wollte, riskierte bisher eine Zwangsvollstreckung durch die eigene Vertretung. Die Bundesregierung müsse das System der Kammermitgliedschaft dringend überprüfen und reformieren, so Kahrs. Wenn die Aufforderung allein nichts bewirkt, will er mit seiner Fraktion einen entsprechenden Antrag aus dem Parlament einbringen. In dem soll die Regierung verbindlich aufgefordert werden, ein Gesetzgebungsverfahren einzuleiten, das den Kammerzwang zum 1. Januar 2005 außer Kraft setzt. 90 Abgeordnete haben ihre Unterstützung bereits zugesagt, schreibt die "Berliner Zeitung". "Niemand will die Kammern abschaffen", betont Kahrs, "übergreifende Aufgaben und Interessen sollten aber nicht vom Staat, sondern von wettbewerbs- und leistungsorientierten Konkurrenten auf diesem Markt übernommen werden. Auch in diesem Bereich müssen die marktwirtschaftlichen Gesetze von Angebot und Nachfrage gelten und der Verbraucher, in diesem Falle die Unternehmen, sich das passende Angebot auf dem freien Markt aussuchen können". Als starr und verkrustet empfinden auch immer mehr Mitglieder die Strukturen. Und sie organisieren den Widerstand: Mehr "Freiheit für IT-Berufler" fordert beispielsweise der Berufsverband der Selbstständigen in der Informatik (BVSI). Denn man sehe die eigenen Interessen durch die IHK nicht vertreten, sagt Vorstandsmitglied Dirk Bisping: "Die hohen Mitgliedsbeiträge stehen im Missverhältnis zu den - nicht erbrachten - Leistungen der Kammer." Wer eine dem Berufsbild der IT-Experten entsprechende Gegenleistung erwarte, werde enttäuscht: "Weder die Weiterbildungsmaßnahmen noch sonstige Angebote der Handelskammer sind auf die Bedürfnisse von IT-Beratern zugeschnitten." Man habe den Eindruck, insbesondere die IHK sei heutzutage weniger denn je eine Interessenvertretung für ihre Mitglieder, sondern entwickle sich immer mehr zu einem Unternehmen mit "eigenen wirtschaftlichen Interessen". Diese Erfahrung hat auch Marius Ebert, Leiter der Dr. Ebert Akademie in Königswinter gemacht. Sein Institut bietet in Zusammenarbeit mit der Deutschen Angestellten Akademie verschiedene Lehrgänge, unter anderem den IHK-Betriebswirt, an. "Mehr als einmal" habe er erlebt, dass ihm die IHK interessierte Kursteilnehmer "ausspannte". "Wenn sich jemand für unsere Kurse interessiert, aber noch nicht geklärt ist, ob er auch die Zugangsvoraussetzungen erfüllt, muss er dies bei der IHK erfragen", so Ebert. Von 50 Interessenten seien 6 wiedergekommen. Ebert sieht die Neutralität der Kammer nicht mehr gewährleistet, weil sie ähnliche und gleiche Weiterbildungskurse wie sein Institut anbietet: "Die IHK sollte eigentlich eine neutrale Position und damit das Gesamtinteresse der Wirtschaft vertreten. Doch eine Institution, die neben ihren Mitgliedern selbst am Markt agiert und dadurch Eigeninteressen verfolgt, kann nicht neutral sein." Ebert hat seinem Protest eine Stimme gegeben: Ihn inspirierte das Thema zur Produktion eines Rocksongs mit dem Titel "Zwangsbeglückung". Darin hat er seine Erlebnisse verarbeitet: "Sie kämpfen für Dich, hast Du gedacht, dabei wird Dir von ihnen Konkurrenz gemacht". Ebert: "Es hat schon erste Gespräche mit interessierten Radio-Sendern gegeben." (mf)Weitere Top-Meldungen im August:Taskarena AG: Gründungsmitglied Achim Greif verlässt das Unternehmen"Fabrikverkauf": HP eröffnet Online-Shop für GeschäftskundenEs darf nur eine geben: massenhaft Abmahnungen durch die Telekom