Lassen Sie mich Ihnen eine Geschichte erzählen, wie sie leider immer noch viel zu häufig in Deutschland vorkommt. Der Kreis Steinfurt im Münsterland benötigt rund 1.500 Lizenzen für Microsoft Office 2016 und hat diese im vergangenen Jahr ausgeschrieben. In dieser Ausschreibung wurden zwei wesentliche und vergaberechtswidrige Einschränkungen der potenziellen Bietergruppe vorgenommen. So forderte der Kreis, dass die Beschaffung der Software im Rahmen des zwischen Microsoft und dem Bundesministerium des Innern geschlossenen Rahmenvertrages zu erfolgen hat. Konkret hätte dies bedeutet, dass die Software ausschließlich über an Microsoft angeschlossene Vertriebspartner, so genannte Large Account Reseller (LARs), bezogen werden muss.
Aus unserer Sicht ausschlaggebend ist aber der explizite Ausschluss von gebrauchter Software. Hierzu erklärte der Kreis gegenüber der Vergabekammer Westfalen, bei der wir einen Nachprüfungsantrag zu dieser Ausschreibung eingereicht hatten: "(…) die Verwendung gebrauchter Lizenzen sei dem rechtlichen Risiko ausgesetzt, dass die Firma Microsoft bei einem Audit die Rechtmäßigkeit der Nutzung der Lizenzen bestreiten könnte und ihn (den Kreis) dazu auffordere, die Erschöpfung der verwendeten Lizenzen nachzuweisen. Dieses Risiko sei der sachliche Grund dafür, warum man keine Programme mit 'gebrauchten Lizenzen' in der Leistungsbeschreibung aufgenommen habe." (Quelle: Beschluss der Vergabekammer vom 01.03.16)
Häufig das gleiche Muster bei der Nutzung von Gebrauchtsoftware
Das ist eine Argumentation, wie wir ihr immer wieder begegnen - sehr häufig bei öffentlichen Auftraggebern, aber auch in der freien Wirtschaft. An vielen Stellen grassiert die Angst vor den bereits genannten Audits, die die Softwarehersteller angeblich fordern könnten, bei denen es sich aber um ein stumpfes Schwert handelt. Wer die Gebrauchtlizenzen bei einem seriösen Händler kauft, kann deren Herkunft jederzeit zweifelsfrei und rechtssicher nachweisen. (siehe auch FAQ zu gebrauchter Software)
Der eine oder andere IT-Verantwortliche offenbart an dieser Stelle frappierende Wissenslücken. Häufig wird die eindeutige Thematik aber auch von einzelnen Mitarbeitern großer Softwarehäuser völlig ignoriert, verdreht oder einfach komplett falsch dargestellt. Das suggeriert möglichen Kunden dann, dass sie beim Kauf gebrauchter Lizenzen außergewöhnliche Risiken eingehen würden, was aber schlichtweg nicht stimmt.
Ähnlich klingt das auch in dem Beschluss der Vergabekammer: Der Ausschluss einer bestimmten Bietergruppe ist grundsätzlich nur bei Vorliegen eines Sachgrunds zulässig. Diesen Sachgrund sieht die Vergabekammer bei Lizenzen aus zweiter Hand nicht gegeben: "Soweit der Antragsgegner (der Kreis Steinfurt/Anm. d. Autors) fürchtet, von dem Hersteller 'Microsoft' bei der Verwendung von Software mit Gebrauchtlizenzen, die nicht von einem autorisierten Händler bezogen wurden, auf Unterlassung oder auf Ersatz des Schadens in Anspruch genommen zu werden, so ist dieses 'Risiko' aufgrund der höchstrichterlichen Rechtsprechung des EuGH und des BGH nicht mehr sachlich nachvollziehbar." Der Bundesgerichtshof etwa hatte 2014 im Grundsatz die Rechtmäßigkeit des Gebrauchtsoftware-Handels bestätigt.
An dieser Stelle sei nur nebenher erwähnt, dass das geschätzte Volumen der Ausschreibung bei Neuware bei rund 400.000 Euro gelegen hätte. Das Sparpotenzial bei gebrauchter Ware liegt bei 50 Prozent. Zur Erinnerung: Hier geht es um Steuergelder.
Berührungsängste mit Gebrauchtsoftware nicht nachvollziehbar
Der beschriebene Fall ist nur die Spitze des Eisbergs. Wir erleben regelmäßig, dass Kommunen (und Unternehmen) gebrauchte Software trotz der eindeutigen Kostenvorteile entweder nicht einmal in Erwägung ziehen oder sogar dezidiert ausschließen, wie dies jetzt auch in Steinfurt ohne unsere Intervention auch geschehen wäre.
Ich will Ihnen einmal die Dimensionen veranschaulichen: Eine - zugegeben etwas ältere - Studie des Marktforschungsinstitut IDC taxiert den deutschen Software-Markt für kommunale Abnehmer in 2016 insgesamt auf 2,0 Mrd. Euro. Das wird natürlich nicht alles für Windows und Office, die rund 30 Prozent des Marktes ausmachen, ausgegeben, aber es ist zumindest ein Eckwert.
Hinzu kommt: Aus technischen Gründen werden häufig ältere Versionen benötigt, etwa um das Funktionieren bestimmter Fachverfahren zu gewährleisten. Die Kommunen und die Unternehmen kaufen dann die wesentlich teurere Neuware - denn nur diese wird noch von Microsoft und den angeschlossenen Partnern vertrieben - und führen dann so genannte "Downgrades" auf die gewünschte ältere Variante durch. Fällig aber wird dabei der Neupreis. (rw)