Heftige Turbulenzen auch beim Verband Optische Informationssysteme e.V. (VOI)

22.10.1998

MÜNCHEN: Es herrscht Aufbruchstimmung in der Dokumentenmanagement-Szene. Der Kampf um Marktanteile und -positionen ist voll entbrannt, fast täglich werden Firmenzusammenschlüsse und -übernahmen bekanntgegeben. Eine Dynamik, die inzwischen auch den Verband Optische Informationssysteme e.V. (VOI)*, die größte deutsche Vereinigung von DMS-Anbietern, erfaßt hat. Aufgrund wachsender Differenzen mit einer Reihe von Mitgliedsunternehmen nahm jetzt Dr. Ulrich Kampffmeyer, Gründer, Vorstandsvorsitzender und ehemaliger "Chefideologe" des VOI, seinen Hut. ComputerPartner-Mitarbeiter Siegfried Dannehl sprach mit ihm über die aktuelle Marktentwicklung und seinen Rücktritt.

Herr Kampffmeyer, auf der diesjährigen Dokumenten-Management-Messe "DMS '98" haben Sie gleich zweimal für Diskussionsstoff gesorgt: einmal mit Ihrem Vortrag "Paradigmenwechsel im Dokumentenmanagement" und zweitens mit Ihrem Rücktritt als Vorstandsvorsitzender des VOI. Ist Ihr Rücktritt Bestandteil des beschriebenen Paradigmenwechsels?

KAMPFFMEYER: Das kann man so nicht sehen, mein Rücktritt ist eine persönliche Entscheidung, mit meinem Vortrag wollte ich - sozusagen als "Agent Provocateur" - die Branche aufrütteln und die Besucher der Messe etwas sensibilisieren.

Kann man überhaupt von einem Paradigmenwechsel im Dokumentenmanagement sprechen?

KAMPFFMEYER: Ich meine ja. Die DMS-Branche stellt sich als eigenständige Disziplin der IT-Industrie dar, besitzt eigene Methoden und Standards. Man kann daher den Begriff Paradigma aus der Wissenschaftstheorie auf die DMS-Branche anwenden. Die Veränderungen, die wir derzeit erleben, haben durchaus den Charakter einer Revolution, die wesentlicher Bestandteil eines Paradigmenwechsels ist.

Wie äußert sich dies konkret?

KAMPFFMEYER: In meinem Vortrag habe ich mich auf die drei wichtigsten Trends beschränkt: sich verändernde Anwenderanforderungen - weg von Insellösungen, hin zur Gesamtintegration -, die Revolution durch das Internet, die neue Herausforderungen an die DMS-Branche stellt, sowie die schleichende Vereinnahmung durch die Integration von Dokumentenmanagement-Funktionen in betriebssystemnahe Software, Datenbanken und kaufmännische Anwendungen.

Was soll man denn unter einer "schleichenden Vereinnahmung" verstehen?

KAMPFFMEYER: Viele spezielle Eigenschaften von Dokumentenmanagement-Lösungen wie Dokument-Viewer, Anschluß von Jukeboxen und andere werden direkt in Betriebssysteme integriert oder aber kostenfrei mit Netzwerkbetriebssystemen zusammen ausgeliefert. Workflow beispielsweise wird direkt in kaufmännische Anwendungen wie SAP integriert. Das Problem der Branche ist, daß sie keine eigenständigen Fachanwendungen, sondern Basisfunktionalität, Tools und Infrastruktur anbietet. Die Branche verliert zunehmend ihre Alleinstellungsmerkmale.

Wie reagiert die Dokumentenmanagement-Branche auf diesen Trend?

KAMPFFMEYER: Ein Teil der Anbieter stürzt sich auf geschlossene "low-cost"-Standardpakete, die in großen Stückzahlen vermarktet werden. Beispiele sind hierfür Easy und Leitz. Andere wie Dr. Materna oder ACS spezialiseren sich auf Integrationslösungen in Großunternehmen. Größere Anbieter wie IBM, Filenet, aber auch Newcomer wie PC Docs wählen den "Suite"-Ansatz, das heißt bisher getrennte Produkte wie Workflow, Cold, Archiv, Dokumentenmanagement etcetera werden unter einer einheitlichen Oberfläche zusammengeführt. Dieser Baukastenansatz findet zunehmend Nachahmer.

In Ihrem Vortrag gingen Sie ausführlich auf einen möglichen Nachfolger des bestehenden Paradigmas ein, das Knowledge-Management. War zu diesem Thema bereits etwas Konkretes zu sehen?

KAMPFFMEYER: Ich erwähnte eben bereits die Kombination von Data-Mining, Data-Warehouse und MIS mit Archivsystemen, wie sie von

Pilot zusammen mit CE demonstriert wurde. Generell ist aber zu bemerken, daß die DMS-Branche zwar versucht den Begriff Knowledge-Management zu besetzen, von echten Know-ledge-Management-Systemen aber noch weit entfernt ist. Man kann nicht einfach mehrere Dokumenten-Management-Produkte zusammenfassen und diesen dann das Etikett Knowledge-Management aufkleben. Herkömmliche Systeme stellen zwar die Wissensbasis dar, für die Erschließung des Wissens muß aber weit mehr getan werden. Hier sind die Anbieter von Datenbanken, Suchmaschinen und Mustererkennungssoftware gefragt. Firmen, die sich bereits vom Ansatz und ihrer Ausrichtung auf Wissensmanagement spezialisiert haben, waren nur sehr wenige zu sehen. Wenn man den Anspruch der wissensbasierten Expertensysteme, der künstlichen Intelligenz aus dem akademischen Umfeld der achtziger Jahre, anlegt - dann liegt wirklich noch ein weiter Weg vor den traditionellen Anbietern.

Microsoft war auf der DMS-Messe stark vertreten. Wie schätzen Sie die deren Strategie ein?

KAMPFFMEYER: Microsoft hat derzeit kein eigenes DMS-Produkt und umgibt sich mit einem Ring von Partnern. Jedoch werden erste kleine DMS-Module ausgeliefert, zum Beispiel Komponenten von Eastman Software. Es ist aber damit zu rechnen, daß sich Microsoft dem Thema Dokumentenmanagement annehmen wird. Der hierarchische "Filemanager" schreit geradezu nach einer Ablösung durch ein DMS-Tool, auch "Outlook" bewegt sich immer mehr in diese Richtung. Der Schritt, herkömmliche E-Mail-Produkte in Workflow zu überführen, ist gar nicht mehr so groß. Microsoft wird sich zwar auch zukünftig nicht um spezialisierte Anwendungen wie Cold, große Faksimile-Archive oder Production-Workflow kümmern, aber die Basissoftware vom Imaging über Datenbanken, intelligentes Folder-Management bis hin zum Multimedia-Server für das Internet wird es zukünftig von Microsoft geben. Ich persönlich glaube, daß viele Firmen, die sich heute jubelnd als Partner um Microsoft scharen, früher oder später ein unsanftes Erwachen haben werden. Sie bereiten Microsoft den Markt, schützen Exchange vor Lotus Notes und Domino und werden

irgendwann nur noch als Integratoren von Microsoft-Produkten benötigt werden.

Kommen wir noch einmal auf den VOI zurück. Sie waren Begründer des Verbands VOI und haben ihn mit aufgebaut. Warum sind Sie vor Ablauf Ihrer "Amtszeit" als Vorstandsvorsitzender zurückgetreten?

KAMPFFMEYER: Sieben Jahre sind genug, man muß auch loslassen können. Wenn man die Verbandsarbeit ernst nimmt, ist dies sehr zeit- und kostenintensiv - der Vorstandsvorsitz ist schließlich ein unbezahltes Ehrenamt. Ein Grund war daher, daß meine Firma Project Consult nicht mehr bereit ist, durch meine Tätigkeit für den VOI den mit Abstand höchsten - indirekten - Mitgliedsbeitrag zu zahlen. Ein weiterer Grund für den Rücktritt ist auch, daß die Mitglieder zwar sehr viel vom Verband erwarten, sich selbst aber zu wenig engagieren. Die Arbeit blieb immer bei denselben Personen im Vorstand hängen.

Haben Sie nun der Verbandsarbeit ganz den Rücken gekehrt?

KAMPFFMEYER: Natürlich nicht, ich werde weiter - als einfaches Mitglied im VOI - an der Arbeit der Regionalgruppe Nord teilnehmen. Dort werden im Rahmen der Rechtsinitiative zur ordnungsgemäßen Archivierung und zum sicheren Dokumentenaustausch die Codes of Practice geschrieben. Zur DMS '98 haben wir den neuen Band "Grundsätze der Verfahrensdokumentation nach GoBS" vorgestellt.

*Anmerkung: Der Vorstand des VOI hat sich inzwischen neu konstituiert. Nach Aussage des alten und neuen Geschäftsführers Karl-Heinz Klönne blickt der Verband nach der Zäsur optimistisch in die Zukunft. Eine umfangreiche Mitgliederbefragung zur Verbandsarbeit läuft zur Zeit an. "Erste Feedbacks zeigen, daß der neue Vorstand eine breite Unterstützung findet. Jetzt können wir mit einer neuen Mannschaft gestärkt den Herausforderungen des Marktes begegnen. Wir werden im Sinne der Ideen von Dr. Kampffmeyer weitermachen, allerdings in einem anderen Stil", so Klönne.

Kampffmeyer bleibt auch nach dem Rücktritt seinem Ruf als "Radikalvisionär" treu. Führende deutsche DMS-Anbieter sollten über einen Zusammenschluß zur DMS-Deutschland AG nachdenken, um ähnlich wie SAP mehr internationales Gewicht zu erlangen, lautet seine neueste These.

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