Gastkommentar

24.10.1997
MÜNCHEN: Wenn das Weltbild des Handwerksverbandes stimmt, dürften in Deutschland fast keine arbeitsfähigen PCs oder Telefonanlagen stehen, nur noch funktionsfähiger Elektronikschrott, von ihren Anwendern beweint.Warum? Werden doch diese Geräte bisher von unqualifizierten PC-Systemhändlern, Systemhäusern und Telefonläden von dafür nicht ausgebildeten Mitarbeitern im Hinterzimmer zusammengeschraubt und dem ahnungslosen Anwender verkauft. So wollen das manche gerne sehen.

MÜNCHEN: Wenn das Weltbild des Handwerksverbandes stimmt, dürften in Deutschland fast keine arbeitsfähigen PCs oder Telefonanlagen stehen, nur noch funktionsfähiger Elektronikschrott, von ihren Anwendern beweint.Warum? Werden doch diese Geräte bisher von unqualifizierten PC-Systemhändlern, Systemhäusern und Telefonläden von dafür nicht ausgebildeten Mitarbeitern im Hinterzimmer zusammengeschraubt und dem ahnungslosen Anwender verkauft. So wollen das manche gerne sehen.

Aber dafür haben Politik und Verband jetzt glücklicherweise eine Lösung parat: Ohne Meistertitel soll in Zukunft nichts laufen. Nicht im Computerhandel, nicht bei den Systemhäusern, nicht bei den Telefonläden. Durch eine entsprechende Novellierung der Handwerksverordnung, die derzeit in Vorbereitung ist, soll das traditionelle Zunftprinzip in Zukunft auch für diesen High-Tech Markt gelten.

Dabei wird gerade in diesen Wochen intensiv darüber diskutiert, daß die bisherigen Ausbildungswege im dualen System mit den Anforderungen des Berufslebens nicht Schritt halten können. Früher, als man einen Beruf wirklich für das Leben erlernt hat und sich die dafür benötigten handwerklichen Fertigkeiten auch im Laufe einer Generation nur unwesentlich veränderten, war ein festgefügtes Ausbildungskonzept sinnvoll. Heute, wo wir uns daran gewöhnen müssen, daß wir im Laufe unseres Lebens vielleicht mehrere Berufe ausüben werden und sich innerhalb jedes Berufsabschnitts gleichzeitig das Innovationstempo erhöht, sind durch Verbände oder Politik regulierte Ausbildungswege sicher der ungeeignetste Weg.

Bitte zur Klarstellung: Nicht jeder sollte ohne jegliche Qualifikation PCs konfigurieren und verkaufen. Der Kunde hat Anspruch darauf, vernünftig beraten zu werden und Geräte zu erwerben, die dem Stand der Technik entsprechen und bei denen die Sicherheitsstandards und CE Normen eingehalten werden. Und ebenso wichtig ist, daß für ein einmalig gekauftes Gerät auch nach dem Verkauf noch Support und Service geleistet wird.

Nur: Das sind Kriterien, die völlig unabhängig davon sind, ob der PC-Fachhändler eine Büroinformationselektronikermeisterprüfung (Man beachte allein schon das Wort!) abgelegt hat. Selbst, wenn er es jetzt täte: Er würde es anhand einer Ausbildungsrichtlinie tun, die heute schon veraltet ist, und in weiteren drei Jahren wäre auch dieses Wissen zu 90 Prozent überholt. Und wenn wir in die Zukunft schauen: Mit der Konvergenz von PC, Fernsehen, Telefonie, Datenkommunikation, kurz: mit den sich derzeit abzeichnenden Entwicklungen, soll er dann noch drei weitere Meisterprüfungen ablegen, um kein Berufsverbot zu erhalten?

Regulierung ist der falscheste aller Wege in einem innovativen Markt, wo ich viele äußerst verantwortungsbewußte Unternehmer kennengelernt habe, die es als Entrepreneure verstanden haben, sich durch den Technologiedschungel in vielen Tagen (und Nächten) durchzuwühlen, um ihr heutiges Wissen zu erlangen. Und die Hersteller haben es ihnen da oft auch nicht gerade leicht gemacht.

Was könnte da ein Weg sein? Ich bin dafür, die Industrie, das heißt die Hersteller, stärker in die Verantwortung zu nehmen. Ich bin dafür, daß jedes verkaufte Gerät, sei es ein PC, Software oder Zusatz-Hardware, einem sauber definierten Standard genügen muß, und ich meine damit nicht die Steckverbinder oder Datenformate, sondern die Erfüllung von Mindestkriterien bei "Installierbarkeit" und "Gebrauchsfähigkeit". Kurz auf Neudeutsch: "Usability".

Ich bin auch dafür, strengere Anforderungen an die Wiederverkäufer und Systemintegratoren zu stellen. Dazu gehört die Pflichtteilnahme an qualifizierenden Schulungen, die von der Industrie angeboten werden müssen, und die Festlegung von Mindestkriterien bei der Autorisierung von Vertriebspartnern. Über die Schaffung eines gemeinsamen "Gütesiegels", das dann nur von autorisierten Unternehmen vergeben werden darf, kann dann auch beim Endkunden entsprechendes Bewußtsein erzeugt werden. Damit meine ich nicht "Windows 95 ready", sondern "Anwender-ready", und wenn jeder Händler und Systemintegrator für jedes dieser Gütesiegel einen kleinen Beitrag an eine gemeinsame Organisation abführt, ist daraus sowohl die Werbung dafür als auch eine Versicherung finanzierbar, die dann mit Support einspringt, wenn der Verkäufer wirtschaftlichen Schiffbruch erleidet. Würden Sie heute als Kunde noch bei jemandem eine Reise buchen, wenn Sie keinen Sicherungsschein erhalten? Warum hier nicht eine Anleihe bei einer anderen Branche machen?

Bleibt die Frage, ob sich die Industrie und Sie, die Vertriebspartner, auf ein solches Konzept einigen können. Sie als Unternehmer, die Sie diesen Markt mitgeprägt, mitgestaltet, gemacht haben, Sie sollten verhindern, daß eine staubige Urkunde an der Wand zum Kriterium dafür wird, ob Sie Ihren Beruf weiter ausüben dürfen. Natürlich werden einige, besonders die Großen, kein Problem mit dieser Verordnung haben, irgendwo im Konzern findet sich im Zweifelsfall dann ein Angestellter mit Meisterbrief. Das Erwachen wird für viele aber dann kommen, wenn sie feststellen müssen, daß sie aufgrund mangelnder formaler Ausbildung nicht einmal die Möglichkeit haben, einen Meistertitel zu erwerben. Dann sind wir wirklich beim Berufsverbot.

Macht aber nichts, spätestens mit Einführung des Euro und in einem vereinten Europa übernimmt sicher einer Ihrer Kollegen aus Frankreich, England oder Italien Ihre Kunden. Und die Politiker und Verbände werden weiter darüber diskutieren, was die Ursache für die Wirtschaftslage in Deutschland ist.

Das hat auch einen Vorteil: So bleibt wenigstens alles beim alten.

Georg Rybing, 47, zuletzt Sprecher des Vorstandes der miro Computer Products AG, ist nach der Fusion des miro Digital Video-Bereichs mit Pinnacle Systems Inc. und der Übernahme der miro Grafik- und Display-Aktivitäten durch die koreanische KDS Ende September 1997 aus dem Unternehmen ausgeschieden, derzeit aber noch beratend für miro tätig. Davor war er 1994 bis 1996 Geschäftsführer der Xerox Engineering GmbH und nach Tätigkeiten bei Digital Equipment (1976 bis 1984) und Apollo Computer (1984 bis 1988) von 1988 bis 1993 Vertriebsdirektor Zentraleuropa bei Apple Computer.

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