Auseinandersetzungen und Konflikte am Arbeitsplatz sind unausweichlich. Wo Menschen verschiedenster Herkunft, Ausbildung und Lebenseinstellungen in tendenziell immer ausgeprägterer Individualität aufeinander treffen, da stoßen zwangsläufig auch unterschiedliche Arbeitsauffassungen, Verhaltensausprägungen und Vorstellungen aufeinander. Prinzipiell ist das gut und notwendig. Entsteht im Betrieb doch vor allem aus der Mischung von Können, Temperament und Wollen erst Initiative, Kreativität und schließlich Innovation. Unvoreingenommen ausgedrückt, ließe sich durchaus sagen, Betriebe leben von der internen Auseinandersetzung. Motor des betrieblichen Fortschritts und einzig wirkliche Zukunftsgarantie ist ihre auch Kontroversen zulassende und auslebende innere Lebendigkeit.
Wechselnde intriganteKonfliktinszenierungen
Diese Vitalität gerät allerdings in Gefahr, wenn die tatsächlich oder vermeintlich notwendigen Auseinandersetzungen in der Sache ins Persönliche abgleiten; wenn das Ringen um die vielversprechendste Lösung in Glaubenskriege ausar-tet; wenn der Betrieb vornehmlich zur Bühne wechselnder intriganter Konfliktinszenierungen wird. Und diese Gefahr steigt unter den heutigen Arbeitsbedingungen. Der beträchtliche Kosten-, Wettbewerbs- und - besonders bei börsennotierten Unternehmen - Ertragsdruck macht bevorzugt Arbeitsplätze zur disponiblen Masse. Mit der Folge, dass offene und verdeckte Machtkämpfe zunehmen.
Und damit kommt Sand ins Getriebe. Und je weniger dieser Entwicklung Beachtung geschenkt und Paroli geboten wird, desto mehr knirscht es. Wenig anderes lässt die betriebliche Energiekurve so abstürzen wie Auseinandersetzungen und Konflikte, um die sich niemand kümmert. Unbearbeitete, nicht ausgeräumte "atmosphärische Störungen" machen reibungslose Abläufe unmöglich, lähmen Motivation und Leistungsbereitschaft, fördern resignative Stimmungen, frustrierte "Dienst-nach-Vorschrift-Haltungen" und Unfreundlichkeit gegenüber Kunden, erhöhen die menschliche Belastung am Arbeitsplatz und als Folge davon den Krankenstand.
Konflikte frühzeitig angehen und konstruktiv lösen
"Konfliktkompetenz sollte deshalb heute auch in kleineren Betrieben unbedingt zur betrieblichen Standardausrüstung gehören", fordert Susanne Habicht. Sie ist Konfliktexpertin beim Kirchlichen Dienst in der Arbeitswelt (KDA), Hamburg, einer Einrichtung der Evangelischen Kirche, die unter anderem in der Beratung berufstätiger und arbeitssuchender Menschen engagiert ist und Veränderungsprozesse in Unternehmen und Organisationen begleitet. In Kooperation mit der AOK und der DAG betreibt der KDA seit 1993 das bundesweit bekannte Hamburger No-Mobbing-Telefon (040/20234209). "Unser Ansatz, Konflikte im Arbeitsleben frühzeitig anzugehen und konstruktiv zu lösen", berichtet sie, "leitet sich von unseren Erfahrungen und unserem christlichen Menschenbild ab."
Und diese Erfahrungen zeigen: Frühzeitig erkannt und konstruktiv bearbeitet, befördern Konflikte neue Sichtweisen, Methoden und Problemlösungen, die ohne Auseinandersetzung keine Chance auf Umsetzung haben. Einvernehmlich und erfolgreich beendete Konflikte erhöhen den Zusammenhalt von Teams und steigern die Motivation. "Konstruktiv gelöste Konflikte transformieren destruktive in dezidiert positive Energien und liefern besten Treibstoff für den Leistungsmotor", bilanziert die ausgebildete Organisationsberaterin ihre einschlägigen Erfahrungen aus der KDA-Arbeit.
Wie kommt entsprechende Konfliktkompetenz in die Betriebe? "Mit Konfliktlotsen", sagt Habicht, "indem der Betrieb je nach Größe eines oder mehrere Belegschaftsmitglieder zu Konfliktlotsen ausbilden lässt!" Die engagierte 47-Jährige zählt die Vorteile dieser Maßnahme auf: Betriebe fördern damit bei der Belegschaft eine Sichtweise, die Konflikte am Arbeitsplatz als gegeben, aber grundsätzlich als bearbeitbar ansieht; ermöglichen es, Konflikte am Arbeitsplatz frühzeitig aufzugreifen und damit die Chancen auf einvernehmliche und wirksame Lösungen zu verbessern; geben Mitarbeitern und Vorgesetzten in konkreten Konflikten ein wirksames und kostengünstiges Instrumentarium zur Konfliktbearbeitung an die Hand und verbessern so die Motivation und die Fähigkeiten zum konstruktiven Wissensausgleich.
Dabei ist die betriebliche Positionierung der Konfliktlotsen eindeutig: Sie entlasten Geschäftsführung und Betriebsrat bei der Konfliktbearbeitung, sind aber keine Beschwerdestelle und keine Interessenvertretung einzelner Konfliktparteien. Konfliktlotsen nehmen in betrieblichen Konflikten eine unabhängige, neutrale Rolle ein und arbeiten abteilungsübergreifend, um jede direkte oder indirekte Verwicklung in den jeweiligen Konflikt zu vermeiden. Sie geben kein Urteil ab und keine Lösung vor, sondern helfen den Konfliktparteien, selber einvernehmlich eine Lösung zu entwickeln. Ihre Tätigkeit erfolgt freiwillig und unentgeltlich neben ihrer eigentlichen Funktion.
Geschäftsführung und Betriebsrat entlasten
Konfliktlotsen werden aktiv, wenn sich die Konfliktparteien eine gemeinsame Erarbeitung von einvernehmlichen Lösungen wünschen. Ihre Dienste werden freiwillig in Anspruch genommen. Von ihrer Arbeitsweise her sind Konfliktlotsen Moderatoren, sie moderieren Konfliktsituationen. Die Verantwortung für die Prozesssteuerung liegt bei ihnen. Themen und Zielrichtung geben die Konfliktparteien vor. Mit Konfliktlotsen-Hilfe lassen sich Konflikte zu einem Zeitpunkt bearbeiten, an dem sie noch nicht so weit eskaliert sind, dass sie tendenziell unsteuerbar oder nur noch durch arbeitsrechtliche Instrumente zu bewältigen sind. Für die Dauer ihrer Beteiligung sind arbeitsrechtliche Maßnahmen ausdrücklich ausgeschlossen.
Zusatzqualifikation in acht Tagen erwerben
Wie ist die Zusatzqualifikation "Konfliktlotse" zu erwerben? Der KDA bietet die Ausbildung für Einzelteilnehmer in Hamburg und für Betriebe als Inhouse-Training bundesweit an. Sie erstreckt sich über insgesamt acht Tage (sieben Tage in drei Seminarblöcken innerhalb von vier Monaten plus ein Follow-up-Tag in einem Zeitraum von sechs Monaten). Kosten pro Teilnehmer 2.800 Mark (bei Inhouse-Seminaren zuzüglich der üblichen Nebenkosten). Ergänzt wird dieses Training durch ca. viermal drei Stunden Praxisreflexion in Kleingruppen zwischen den Trainingseinheiten.
Die Qualifizierung vermittelt die Kompetenz, Konflikte zu verstehen und zu analysieren; Methoden, Fertigkeiten und Haltungen zur konstruktiven Konfliktbearbeitung; Fähigkeiten in den Bereichen Kommunikation und Gesprächsführung. Lösungsorientierte Verfahren wie Konfliktmoderation und Mediation werden erläutert und erprobt. Die Klärung der eigenen Rolle als Konfliktlotse und die Beschäftigung mit rechtlichen Rahmenbedingungen runden das Training ab.
*Hartmut Volk ist freier Wirtschaftspublizist in Bad Harzburg.
KONTAKT/LESETIPPS
Susanne Habicht, KDA, Schillerstr. 7, 22767 Hamburg; Tel. 040/30623-212 ; Fax 040/30623 -230; E-Mail: kda-hamburg@kda-nordelbien.de
Christoph Thomann: Klärungshilfe: Konflikte im Beruf - Methoden und Modelle klärender Gespräche bei gestörter Zusammenarbeit. Rowohlt Verlag, 2. Auflage 2000, 407 Seiten, DM 19,90