Bislang fehlt auf Steuerbescheiden der Hinweis, dass ein Einspruch auch per E-Mail erfolgen kann. Nach einer aktuellen Rechtsansicht verlängert sich dadurch die Einspruchsfrist auf ein Jahr.
Falsche Einträge, vergessene Positionen oder Streichungen aufgrund einer abweichenden Rechtsauffassung: Erfahrungsgemäß sind rund 30 Prozent der Steuerbescheide fehlerhaft. Grund genug, alle Bescheide genau zu kontrollieren und sich bei Unstimmigkeiten zur Wehr zu setzen. Dafür bleibt Steuerzahlern nach Zugang eines Steuerbescheids ein Monat Zeit -- so lange dauert die gesetzliche Einspruchsfrist.
Möglicherweise begehen die Finanzbehörden im Kleingedruckten der Steuerbescheide einen Formfehler, der die Einspruchsfrist für Steuerzahler deutlich verlängert. Das Problem: Gegenwärtig enthalten die standardmäßig verwendeten Rechtsbehelfsbelehrungen keinen Hinweis auf die Einspruchseinlegung per E-Mail. Und dies, obwohl die Finanzämter mit Angabe der E-Mail-Adresse die Möglichkeit zu dieser Form der Einspruchseinlegung eröffnen.
Das Niedersächsische Finanzgericht vertritt in einem Urteil die Überzeugung (Az. 10-K-275/11), dass die Rechtsbehelfsbelehrung unrichtig ist. Die E-Mail sei keine Unterform der Schriftform, sodass der Hinweis auf die schriftliche Einlegung des Einspruchs nicht ausreiche. Sollte sich diese Rechtsansicht durchsetzen, verlängert sich die Möglichkeit zur Einspruchseinlegung von einem Monat auf ein Jahr. Das letzte Wort hat nun der Bundesfinanzhof, bei dem ein Revisionsverfahren anhängig ist (Az. X-R-2/12).
Welche Chancen tun sich auf? Auch scheinbar bestandskräftige Steuerbescheide lassen sich möglicherweise noch anfechten. Unter Umständen lohnt es sich, alle Steuer- oder Änderungsbescheide der zurückliegenden zwölf Monate auf den Prüfstand zu stellen. Wenn Steuerbescheide fehlerhaft sind, sollten Steuerzahler unter Hinweis auf die erstinstanzliche Rechtsprechung auch nach vermeintlichem Ablauf der Einspruchsfrist noch Einspruch einlegen- Lehnt das Finanzamt den Einspruch als unzulässig ab, sollten Steuerzahler gegebenenfalls auch eine Klage in Erwägung ziehen. (oe)
Die Autorin Dr. Stephanie Thomas ist Rechtsanwältin und Steuerberaterin von der Wirtschaftskanzlei WWS in Mönchengladbach.
Kontakt: www.wws-gruppe.de