Ein Blackout mitten im Winter - das wäre wohl eine der potenziell gefährlichsten Folgen, die sich indirekt aus Russlands Krieg gegen die Ukraine ergeben könnten. Bisher gilt die Stromversorgung in Deutschland als relativ sicher. Doch hält dies auch über den nächsten Winter? Fragen und Antworten zum Thema:
Kann nach dem Gas bald auch der Strom knapp werden?
Genau kann das noch niemand sagen. Eine erst vor wenigen Tagen vom Wirtschaftsministerium veröffentlichte Analyse zur Stromversorgung kommt zwar zu dem Ergebnis, "dass ein sicherer Betrieb des Elektrizitätsversorgungsnetzes im Winter 2022/23 gewährleistet ist". Doch so ganz traut man dem wohl nicht. Denn das Haus von Robert Habeck (Grüne) gab bereits einen zweiten Stresstest in Auftrag, bei dem Experten die Belastbarkeit der deutschen Stromversorgung unter "weiter verschärften Bedingungen" - noch weniger Gaslieferungen, noch weniger Atomstrom aus Frankreich - prüfen und modellieren sollen.
Energie-Experten, die von der Deutschen Presse-Agentur befragt wurden, zeigten sich allerdings überwiegend recht zuversichtlich, dass das Netz der Belastungsprobe gewachsen sein wird. Tobias Federico, Geschäftsführer beim Beratungsunternehmen Energy Brainpool, sagte: "Ich persönlich bereite mich nicht auf einen Blackout vor." Die Fachleute erwarten im Winter trotz der Abschaltung der letzten deutschen Kernkraftwerke zum Jahresende keine großen Engpässe beim Strom, auch weil Steinkohlekraftwerke aus der Reserve geholt würden.
Christoph Maurer vom auf Energie spezialisierten Berater Consentec hält die Lage für angespannt, aber grundsätzlich in einem normalen Winter beherrschbar. Vorsichtiger gab sich Thorsten Lenck von Agora Energiewende: "Nach unseren bisherigen Analysen ist es durchaus möglich, dass es im Winter in einigen Stunden knapp werden könnte."
Welche konkreten Risiken gibt es für die deutsche Stromversorgung?
Mindestens vier, wenn man den Experten glauben darf: die massiven Probleme Frankreichs mit seinen Akw, mögliche Wetterextreme, die Versorgungslage der Gaskraftwerke und das Verhalten der Verbraucher.
Einer der größten Risikofaktoren ist ausgerechnet das Nachbarland Frankreich. Dort steht ein großer Teil der Kernkraftwerke gerade nach Entdeckung kleiner Risse im Notkühlsystem oder wegen Wartungsarbeiten still. Gelinge es nicht, genügend dieser Atomkraftwerke rechtzeitig wieder ans Netz zu bringen, könne dies aufgrund der europäischen Verflechtung zur Herausforderung für die deutschen Versorger werden, warnten Lenck und Maurer. Besonders kritisch könne es in einem kalten Winter werden, weil in Frankreich viel mit Strom geheizt werde.
Zweites Risiko: Wetterkapriolen. Bedrohlich wäre vor allem eine "Dunkelflaute" - also mehrere Tage mit wenig Wind- und zugleich kaum Solarstrom. Passiere das in Deutschland und Frankreich gleichzeitig und komme dann noch eine Kältewelle, sei das bedenklich, so Federico.
Drittes Risiko: die hinreichende Versorgung der Gaskraftwerke mit Brennstoff. Zwar machen sie einen eher kleinen Teil der Kapazitäten in Deutschland aus. Doch bei Lastspitzen können sie entscheidend sein, um die Netzstabilität zu sichern, wie Lenck betonte. 2021 stammten 15 bis 16 Prozent der insgesamt erzeugten Elektrizität aus der Verbrennung von Gas - nun soll wegen der unsicheren russischen Lieferungen vorhandenes Gas aber mehr zum Heizen reserviert werden.
Und schließlich das schwer vorherzusagende Verbraucherverhalten: In den letzten Wochen hat die Nachfrage nach elektrischen Heizgeräten - vom Heizlüfter bis zur Konvektorheizung - deutlich zugenommen. Würde wirklich in großem Umfang damit geheizt, könnte das die Stromnetze in die Knie zwingen, warnte Maurer. "Das ist ein Szenario, das man fast um jeden Preis verhindern muss." Denn es würde die Möglichkeiten des Netzes sowohl bei der Erzeugung als auch beim Transport überfordern. Die wachsende Zahl von Elektroautos sei bisher dagegen kein Problem.
Wie geht es mit den Strompreisen weiter?
Ein sparsamer Umgang mit Strom empfiehlt sich schon mit Blick auf den eigenen Geldbeutel. Wie die Gas- sind auch die Strompreise zuletzt rasant gestiegen. Im Juni lagen sie laut den Vergleichsportalen Verivox und Check24 um rund 30 Prozent über dem Vorjahresniveau. Der Wegfall der EEG-Umlage verschaffe den Verbrauchern etwas Entlastung, betonte Verivox-Energieexperte Thorsten Storck - doch sei dies wohl nur eine Atempause. "Spätestens zum Jahreswechsel rechnen wir erneut mit flächendeckenden Strompreiserhöhungen für Millionen Haushalte."
Jedoch spricht nach Einschätzung der Branchenkenner vieles dafür, dass der Anstieg nicht so dramatisch sein dürfte wie beim Gas. "Der Strompreis wird sicher auch steigen, aber nicht ganz so heftig", so Florian Stark von Check24. Die Entwicklung an den Strombörsen sei weniger drastisch. Zudem machten Kosten für Beschaffung und Vertrieb bei Strom "nur" 44 Prozent des Preises aus, bei Gas über 60 Prozent.
Etliche Betriebe fürchten indes, die Mehrbelastungen im Einkauf nicht mehr lange tragen zu können. Der Verband der Energie-Abnehmer (VEA) sprach jüngst von einem durchschnittlichen Strompreiszuwachs von fast 62 Prozent seit Januar. Die Lage sei mittlerweile existenzgefährdend.
Was kann man tun, um Strom zu sparen?
Im Winter wird dies doppelt wichtig, um das Netz stabil zu halten und das Portemonnaie zu schonen. Wo und wann immer im Alltag Beleuchtung oder durchlaufende Maschinen nicht unbedingt nötig sind, lässt sich darauf verzichten. Immer wieder gibt es auch den Hinweis, nicht regelmäßig genutzte Elektrogeräte oder Unterhaltungselektronik ganz aus der Steckdose zu ziehen, statt sie im Standby-Modus zu lassen.
Außerdem könnte die Kraft-Wärme-Kopplung - die parallele Erzeugung von Strom und Wärme aus ein und demselben Brennstoff - die Effizienz erhöhen. Für Verbraucher gibt es etwa Mini-Blockheizkraftwerke. Auch in der Industrie kann der überschüssige Anteil heißen Dampfes, der nicht für die Bewegung einer Turbine und danach zum Generator-Betrieb nötig ist, weiter verwendet werden. Der Wirkungsgrad ist dann höher.
Können erneuerbare Energien helfen - und wo stehen sie inzwischen?
Die Werte für Deutschland verbessern sich allmählich, doch die Energiewende bleibt eine längerfristige Aufgabe. Nach Daten des Umweltbundesamts (UBA) nahm die Erzeugung von Strom aus Quellen wie Wind-, Solar- und Wasserkraft sowie Biomasse und Geothermie in der ersten Jahreshälfte um 14 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum zu.
Insgesamt kamen über 137 Milliarden Kilowattstunden an elektrischer Energie zusammen. So erzielten regenerative Träger laut Schätzungen rund 49 Prozent am Brutto-Stromverbrauch - acht Prozentpunkte über dem Niveau von Ende 2021 und sechs Prozentpunkte mehr als vor einem Jahr.
Der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft meldete kürzlich ähnliche Zahlen. Im Bruttoverbrauch kamen bis Ende Juni 25 Prozent des Stroms aus Windkraft, zwölf Prozent aus Photovoltaik, acht Prozent aus Bioenergien und drei Prozent aus Wasserkraft. Gemessen an der Erzeugung hatten die Erneuerbaren 47 Prozent am Strommix - Exporte inklusive. (dpa/rs)