Die IT-Branche lebt vom Verkauf neuer Produkte, sei es von Hardware, aber auch Software. Doch Anwender benötigen nicht immer die neuste Produktegeneration. Seit private Kunden, Behörden, Organisationen und Unternehmen immer stärker auf die Nachhaltigkeit schauen, gewinnt gebrauchte und wiederaufbereitete IT zunehmend an Bedeutung.
Insbesondere Distributoren und Refurbish-Spezialisten spielen eine Wichtige Rolle dabei, wenn es darum geht, IT-Produkte einem zweiten Leben zuzuführen. "Das Interesse an Refurbished IT ist deutlich gestiegen, das Thema ist mittlerweile wirklich Mainstream geworden", bestätigt Tobias Köhler, Vorstand und Co CEO bei der zum Also-Konzern gehörenden Webinstore. Dabei macht Köhler bei der Kaufentscheidung der Kunden nicht nur Umweltgesichtspunkte aus. Die geringeren Kosten bieten ebenfalls einen Kaufanreiz.
Auch bei Remarketing-Experten GSD hat man eine zunehmende Bedeutung registriert: "Die Diskussion und mediale Präsenz der letzten Jahre über dieses Thema hat die Nachfrage und oft auch die Suche nach Refurbished Produkten entsprechend angekurbelt", meint Ralf Schweitzer, Geschäftsführer und Inhaber bei GSD. "Nach einem etwas verhaltenen Jahr 2021 spüren wir eine enorme Nachfrage in diesem Jahr", berichtet Ernesto Schmutter, CEO bei MRM Distribution. Das liege zum großen Teil an einer verbesserten Planungssicherheit, aber auch an einer leichten Erholung bei der Verfügbarkeit von Hardware-Komponenten. "Leider sehen wir hin und wieder eine Bereitschaft, sich für Schleuderpreise mit unseriösen Playern einzulassen. Diese Dumping-Preise gehen wir dann nicht mit", bekräftigt Schmutter.
Michael Bleicher, Geschäftsführer des Schweinfurter Wiederverwertungsspezialisten BB-Net, sieht neben dem gestiegenen Umweltbewusstsein einen weiteren Grund für die gestiegene Nachfrage: "Wie in den meisten Branchen hat Covid-19 auch im IT-Bereich zu globalen Lieferengpässen geführt", merkt er an. Wo neue Geräte nicht zu bekommen waren, griffen Unternehmen und öffentliche Einrichtungen daher verstärkt auf gebrauchte Geräte zurück.
Allerdings leidet auch die Refurbishing-Branche unter der mangelnden Verfügbarkeit. Zum einen gibt es weniger aussortierte Geräte, die dem Wiederverwertungsmarkt zugeführt werden können, zum anderen fehlt es an Komponenten zur Reparatur oder Aufrüstung der Produkte.
Einwegprodukte bestimmen Konsumverhalten
Trotz der gestiegenen Nachfrage nach gebrauchter Ware gibt es daher einige Faktoren, die den Markt hemmen. "Es findet zwar bereits ein Umdenken statt, dennoch herrscht ein Konsumverhalten vor, das auf nicht wiederverwendbare Einwegprodukte ausgerichtet ist", stellt Eric Rositzki, Executive Director Lifecycle Services bei Ingram Micro, fest. Zudem gebe es inzwischen deutlich schärfere gesetzliche Vorgaben zum Schutz von Informationen und personenbezogenen Daten sowie strengere Vorgaben für das Recycling. Das eröffnet aber auch Dienstleistern Chancen, die sich um den kompletten Lebenszyklus der Produkte kümmern, inklusive zertifizierter und rechtskonformer Datenlöschung, Wiedervermarktung gebrauchter Altware und nachhaltigem Recycling: "Genau hier setzen wir mit unseren Services an", bekräftigt Rositzki.
Für Ernesto Schmutter von MRM gibt es ebenfalls noch Aufklärungsbedarf: "Die größten Hindernisse sind die Abkehr von gewohnten Prozessen sowie möglicherweise auch fehlendes Wissen oder fehlende Bereitschaft, sich zu informieren", meint er. "In Bezug auf IT-Remarketing ist es oftmals so, dass gerade im B2B-Umfeld mehr Aufklärungsarbeit geleistet und Standards etabliert werden müssten, um etwaige Vorbehalte gegenüber gebrauchter Hardware abzubauen", pflichtet Michael Bleicher von BB-Net bei. So sei oftmals nicht bekannt, dass aufbereitete IT die aktuellen Anforderungen an Leistungsfähigkeit, Garantie und Qualität umfassend erfüllt und somit als "echte grüne Alternative" anzusehen ist.
Webinstore-Vorstand Köhler sieht jedoch ein Problem bei älteren Produktgenerationen: "Ein zentrales Thema ist die Kompatibilität und Support betriebssystemseitig. Wir wünschen uns Lösungen, die sicherstellen, dass ältere Modelle mit alten CPU-Generationen dem Markt wieder zugeführt werden", erklärt er. Doch Köhler registriert auch positive Ansätze seitens der Hersteller. "Mietmodelle, Produktdesigns mit mehr Kompatibilität und Anpassung der Ersatzteilpreise damit Reparaturen sinnvoll durchgeführt werden können, all das gehört zu den Überlegungen und Aktionen, die derzeit im Markt entstehen".
GSD-Chef Ralf Schweitzer stellt aber immer noch eine "Blockadehaltung" vieler Hersteller fest, die sich weigern, Ersatzteile und Reparaturmöglichkeiten zur Verfügung zu stellen. "Selbst Microsoft bietet uns als Authorized Refurbisher immer noch keine Möglichkeit, an Ersatzteile für Surface-Produkte zu kommen", beklagt er. Fehlende Tastaturkappen bei einem Surface Book oder nicht mehr funktionierende Akkus verhindern laut Schweitzer so bereits eine ressourcenschonende Wiederverwendung.
Ankauf muss sich wirtschaftlich lohnen
Voraussetzung für die Wiederverwertung ist dabei natürlich zunächst die Entgegennahme durch die Refurbisher. Das Kerngeschäft von MRM ist dabei eher gebrauchte Software. Dabei geht es vorrangig um rechtliche Sicherheit beim Lizenztransfer. "Im Wesentlichen beziehen wir unsere Produkte aus Enterprise Agreements von Endkunden, die entweder Mitarbeiter reduziert haben oder in die Cloud migriert sind", erzählt Schmutter.
Bei der Hardware kommen andere Faktoren zum Tragen: "Die Preiskalkulation für den Ankauf ist sowohl von der Ausstattung und dem zustand der angebotenen Gebraucht-IT abhängig als auch von den notwendigen Dienstleistungen, die angewendet werden müssen", erläutert Ingram-Lifecycle-Experte Rositzki. Als Beispiele nennt er gefahrengutgerechte Transportverpackungen, Sicherheitstransporte zu den Standorten, Methoden der Datenvernichtung, Prüfung und Wiederverwendungsmöglichkeiten. Dabei deckt Ingram Micro die gesamte Bandbreite ab, von Servern und PCs über Notebooks, Tablets und Mobiltelefonen bis hin zu Monitoren und Druckern. Ähnliches ist es bei GSD: "Wir bieten Lösungen für fast jede Gerätekategorie der ITK-Welt", bekräftigt Ralf Schweitzer. Dabei stellen bei den Sulzemoosern Arbeitsplatzsysteme den größten Anteil. Bei Server- und Netzwerkprodukten arbeitet GSD mit entsprechend zertifizierten Partnern zusammen.
Die Hürden für den Ankauf sind bei BB-Net niedrig: "Wir haben keine Voraussetzungen beim Ankauf und der Abwicklung der ausgemusterten IT", betont Bleicher. Damit könne man Unternehmen, die sich ihrer Altgeräte entledigen möchten und deren betreuenden Systemhäusern, alles aus einer Hand bieten. "Es sollte sich lediglich zum Großteil um hochwertiges Ausgangsmaterial handeln, was aber bei Business-Linien der Regel der Fall ist", schränkt der BB-Net-Chef ein. Dabei sind Defekte kein Ausschlusskriterium. "Mitunter findet hier die Wertschöpfung im Bereich der Aufbereitung und darüber hinaus der Kerngedanke des nachhaltigen Refurbishments statt", meint Bleicher.
Damit sich der Refurbishment-Prozess bei Webinstore lohnt, kauft die Also-Tochter in der Regel Batches ab 30 Stück an. Angenommen werden Notebooks, PCs, Smartphones, Tablets sowie TFTs. "Generell gilt unser Interesse Ware in möglichst gutem zustand und Geräten mit CPUs ab der achten Generation um diese als Microsoft Authorized Refurbisher zukunftssicher mit Windows 11 ausliefern zu können", beschreibt Tobias Köhler die Vorgehensweise.
XaaS unterstützt Refurbishment
Da größere Stückzahlen die Wiederverwertung erleichtern zählen Finanz- und Leasing-Gesellschaften sowie große Behörden und Unternehmen zu den wichtigsten Lieferanten der Altware. Aber auch IT-Dienstleister und Systemhäuser sind als Lieferanten gerne gesehen. "Die Basis dafür bildet eine Geräteliste, die zustand und Ausstattung beschreibt", erklärt Eric Rositzki von Ingram Micro. Dabei gilt grundsätzlich, je aktueller das Equipment, desto besser sind die Vermarktungschancen und der Wiederverkaufswert. BB-Net arbeitet bereits bei der Platzierung der Neuwaremit Finanzierern und Resellern zusammen und garantiert Restwerte nach der Nutzungszeit. Damit wird die Rückführung bereits im Vorfeld sichergestellt.
So gehört die Rücknahme, Wiederverwertung oder die schachgerechte Entsorgung inklusive der konformen Datenlöschung längst zum Geschäft mit IT-Produkten, insbesondere bei Vertriebsmodellen, die den gesamten Lebenszyklus der Geräte berücksichtigen. Anything-as-a-Service-Modelle (XaaS) unterstützen dabei den Wiederverwertungsansatz, darin sind sich die Protagonisten der Refurbishing-Branche einig.
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