Dritte industrielle Revolution?

Das Potential von 3D-Druck

Jürgen Hill ist Chefreporter Future Technologies bei der COMPUTERWOCHE. Thematisch befasst sich der studierte Diplom-Journalist und Informatiker derzeit mit aktuellen IT-Trendthemen wie KI, Quantencomputing, Digital Twins, IoT, Digitalisierung etc. Zudem verfügt er über einen langjährigen Background im Bereich Communications mit all seinen Facetten (TK, Mobile, LAN, WAN). 
Nachdem etliche Patente ausgelaufen sind, kommen 3D-Drucker bereits für unter 1000 Euro auf den Markt. Welches Potenzial hat die Technik heute?

Eine Torte aus dem Drucker, ein künstlich hergestelltes Steak, das nicht vom Rind stammt, die Fertiggarage, die vor Ort gedruckt wird, das Modellkleid, der Turbinenflügel für das Flugzeug, sogar die Nachbildung eines Fötus kann man demnächst ausdrucken - was für viele nach Science-Fiction klingt, ist längst auf dem Weg in die Realität.

Der nach dem Open-Source-Prinzip RepRap gebaute 3D-Drucker PRotos ist als Komplettbausatz für rund 700 Euro erhältlich.
Der nach dem Open-Source-Prinzip RepRap gebaute 3D-Drucker PRotos ist als Komplettbausatz für rund 700 Euro erhältlich.

Das 3D-Modell eines ungeborenen Kindes druckt etwa die japanische Firma Fasotec für etwas mehr als 900 Euro. Vorlage sind Bilder von Ultraschalluntersuchungen. Und an der Produktion von Fleischersatz, der aus einer Art Biotinte stammen soll, arbeitet das Unternehmen Modern Meadow unter dem Stichwort Bio-Printing. Am 3D-Druck von Häusern, auch als Contour Crafting (CC) bekannt, forscht die University of Southern California. Ziel ist es, ganze Häuser innerhalb von 24 Stunden zu drucken. Im Rahmen des über sieben Millionen Euro teuren EU-Forschungsprojekts Merlin will der britische Triebwerkshersteller Rolls Royce seine Turbinen künftig im 3D-Printer drucken. Die neuen Triebwerke sollen leichter und energieeffizienter sein. Ebenso ist bereits im Gespräch, komplette Produktions- und Montage-Fließbänder durch 3D-Drucker abzulösen. Erste Modelle, die bis zu vier verschiedene Materialien gleichzeitig verarbeiten, existieren bereits.

Druckmaterialien

Die Liste an Beispielen, wo 3D-Drucker künftig eingesetzt werden könnten, ließe sich noch beliebig verlängern. Seit unterschiedlichste Materialien wie Metalle (Eisen, Gold, Kupfer, Titan etc.), Kunststoffe (ABS, Harze etc,), Sand, Gips, Keramik, Holz, Lebensmittel oder Zellkulturen gedruckt werden können, scheinen der Phantasie keine Grenzen mehr gesetzt. "Wenn der Sprung in die Nanometer-Auflösung in Verbindung mit mehreren unterschiedlichen Materialien in der Zukunft geschafft ist, können auf diese Art und Weise integrierte Schaltkreise, elektronische Komponenten oder andere Hightech-Produkte für die Medizin oder Biomechanik erstellt werden", wagt Ingolf Wittmann, Technical Director bei IBM, eine Prognose.

3D-Druckverfahren

Mittlerweile existieren diverse Verfahren, mit denen 3D-Drucker arbeiten. Sieht man einmal von Sonderfällen wie dem Druck von Zellkulturen oder chemischen Verfahren (etwa Druck von Tiefkühlpizzas) ab, kommt oft eine Kombination von verschiedenen Druckverfahren zum Einsatz. Im Wesentlichen lassen sich diese Verfahren auf folgende Grundmethoden reduzieren:

Schmelzverfahren , auch als Fused Deposition Melting (FDM) bezeichnet. Bei dieser Technik wird ein Feststoff (meist Kunststoff) in der Druckdüse (Extruder) per Hitze verflüssigt und schichtweise aufgetragen. Je nach verwendetem Extruder ist auch der Druck mit Ton, Schokolade, Teig, Holz (Mischung aus Holzmehl und Harz), ABS, Nylon oder wasserlösslichem Polyvinyl-Alkohol (PVA, häufig als Stützmaterial eingesetzt) möglich. Auf diesem Verfahren basieren die meisten Einstiegsdrucker sowie die Modelle auf Basis des Open-Source-Projekts RepRap.

Sinter-Verfahren , auch Selective Laser Sinter/Melting (SLS/SLM). Das Druckmaterial wird in Pulverform aufgebracht. Mittels Laser wird es verklebt (SLS) oder direkt verschmolzen (SLM). Das SLM-Verfahren hat den Nachteil, dass es aufgrund der hohen Hitze zu Ungenauigkeiten kommen kann, wenn geschmolzenes Material tropft. Hier ist SLS genauer, allerdings müssen gesinterte Modelle noch in einem Ofen gehärtet werden. Dank der Pulverform können unterschiedliche Metalle, auch Legierungen, gedruckt werden. Die Drucker sind noch immer teuer.

Stereolithografie (STL oder SLA) Hier werden flüssige Kunststoffe, die per Licht aushärten, in ein Bassin gefüllt. Das Modell entsteht schichtweise, indem der Kunststoff per Laser oder DLP-Projektor belichtet und damit der Aushärtungsprozess in Gang gesetzt wird. Allerdings sind die so gedruckten Objekte nicht sonderlich belastbar.

Ein anderes Einsatzszenario ist die Individualisierung von Massenartikeln, etwa Handys. Getreu dem Motto "Pimp your phone" hat Nokia im Januar 2013 eine 3D-Vorlage der hinteren Gehäuseschale des Lumia 820 veröffentlicht. User können sich die STL-Datei herunterladen, an ihre eigenen Designvorstellungen anpassen und dann auf einem 3D-Printer ausdrucken.

Der Extruder, quasi die Druckdüse, schmilzt das Material für den Druckvorgang.
Der Extruder, quasi die Druckdüse, schmilzt das Material für den Druckvorgang.
Foto: German RepRap

Analysten zu 3D-Printing

Ähnlich wie Bring your own Device (ByoD) sieht Gartner 3D-Printing bereits auf der Höhe des Hypecycle - am "Peak of inflated Expectations". In fünf bis zehn Jahren soll das Thema im Massenmarkt ankommen. Ähnlich beurteilt auch IBMs Technikdirektor Wittmann die Situation: "3D-Druck macht gerade den Sprung vom wissenschaftlichen Prototypen hin zu wirtschaftlichen Anwendungen. Die Anwendungsgebiete bedeuten für einige Geschäftsmodelle eine industrielle Revolution. Von einer teilweisen Ablösung bestehender Produktangebote bis hin zu komplett neuen Geschäftslösungen ist alles möglich."

Noch größere Auswirkungen des 3D-Printing auf die Wirtschaft erwartet der renommierte Washingtoner Thinktank Atlantic Council in seinem Strategiepapier "Could 3D Printing Change the World?" Die Wissenschaftler wagen die Prognose, dass 3D-Printing die Arbeitsteilung in einer globalisierten Wirtschaft fundamental verändern und das heutige Transportwesen komplett auf den Kopf stellen könnte. Schließlich könnten Produkte künftig direkt vor Ort nahe beim Endverbraucher kostengünstig gedruckt werden, so dass billig produzierende Länder in Fernost das Nachsehen haben könnten. Atlantic Council sieht Länder wie China, aber auch exportorientierte Länder wie Japan und Deutschland als potenzielle Verlierer. Schließlich finde die Wertschöpfung nicht mehr beim originären Hersteller statt, sondern direkt vor Ort, wenn digitale Objektdateien digital verschickt und dann gedruckt würden. Gleichzeitig könne dies eine Chance sein, spezialisierte Produkte günstiger für kleine Märkte mit spezifischen Anforderungen herzustellen.

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