Nochmals negative Überraschungen bei Chip-Papieren erscheinen möglich, obwohl die Prognosen schon öfters revidiert wurden. Erwischt hat es alle Kategorien: die Hersteller von Mikroprozessoren mit Intel und AMD sowie die SpeicherchipFabrikanten mit der asiatischen Phalanx Hitachi, Fujitsu, NEC, Toshiba, Samsung und Taiwan Semiconductor. Auch der stärkste US-Hersteller Micron Technology und die europäischen Größen mit Infineon an der Spitze büßten mehr als die Hälfte ihres Kurswertes ein. Besonders heftig unter Druck gerieten die jungen Börsenstars aus dem Segment Kommunikations-Chips und andere Spezialis- ten. Der Rambus-Kurs rauschte allein im März um über 70 Prozent auf 18 Dollar hinunter. Vor Jahresfrist stand die Notiz bei 135 Dollar.
Die Stimmung für Chip-Aktien ist gedämpft. "Auf allen Märkten ist die Halbleiterindustrie mit sehr schwacher Endnachfrage konfrontiert", erklärt das Investmenthaus Robertson Stephens. Im Sommer würde sich eine "bessere Kaufgelegenheit bieten", also noch niedrigere Kurse, meint zum Beispiel die Credit Suisse First Boston. Der Tiefpunkt beim aktuellen Halbleiterzyklus soll im dritten oder vierten Quartal erreicht werden. Noch grauer sieht der US-Research-Dienst Standard & Poor’s die Lage. Er glaubt vorläufig nicht an die Erholung in der zweiten Jahreshälfte. Die Lagerbestände seien noch sehr hoch. Der Horizont reiche nur bis zum Ende eines Quartals, "danach sei die Sicht schlecht".
Noch nicht am Tiefpunkt angelangt
Bis Oktober 2000 meldete die Branche noch glänzende Zahlen. Internet- und Handy-Boom hatten den Chip-Aufschwung verlängert. Die Miniaturisierung löste einen Innovationsschub aus. Flash-Speicherchips, Analogchips, Microprozessoren und programmierbare Lo- gikbausteine verbuchten Rekordumsätze. Der weltweite Halbleiterabsatz nahm laut Branchenverband Semiconductor Industry Association (SIA) im Vergleich zum Jahr davor um 39,4 Prozent auf 204 Milliarden Dollar zu. Der jetzige Nachfragerückgang ist das Ergebnis der schwächeren Konjunktur, ohnehin niedrigerer PC- und Handy-Verkäufe, geringeren Internet-Wachstums, Dotcom-Pleiten und nachlassenden Investitionen im Multimedia-, Netzwerk- und Telecomsektor. Trotz der starken Verluste sind die Kurse von der letzten Talsohle im Jahr 1998 noch weit entfernt - mit Ausnahme der arg gerupften Motorola-Aktie und der japanischen Speicherchip-Konzerne. Analog Devices, Cirrus Logic, Conexant, Cypress Semi und LSI Logic beispielsweise standen vor drei Jahren bei sechs Dollar, PMC Sierra, Qlogic und Rambus zwischen drei und fünf Dollar, Texas Instruments, Xilinx, Vitesse und National Semi bei zehn Dollar. Aktuell stehen die Notierungen dieser Kommunkations-chip-Fabrikanten noch auf drei- bis fünfmal höherem Niveau. Es ist nach unten also noch Platz.
Allerdings ist es unwahrscheinlich, dass sie auf diese Stufe sinken. Es sei denn, die IT-Konjunktur kommt aus dem Tal nicht heraus. Dieses und nächstes Jahr soll das Umsatzwachstum 15 bis 20 Prozent betragen. Die Vorhersagen sind mit erheblichen Fehlerquoten behaftet, die Aussichten unterschiedlich. Die Lagerbestandskorrektur bei PCs läuft schon länger und müsste jetzt den tiefsten Stand erreicht haben. Anders im Bereich drahtlose Kommunikation, wo die Konsolidierung andauert, erklärte die Deutsche Bank.
Die Bodenbildung im Bereich PC und DRAM dürfte Infineon und Micron Technology früher auf die Beine helfen. Sie erwarten im Hauptgeschäft mit DRAM-Chips (Dy- namic Random Access Memory) in der zweiten Jahreshälfte steigende Preise. In diesem Quartal kosteten die Speicherchips nur noch drei Dollar. In den beiden vorhergehenden Quartalen waren es noch vier und acht Dollar. Auch der französische Konkurrent ST Microsystems bleibt bei seiner Vorhersage, wonach das erwartete Marktwachstum von 15 Prozent übertroffen werde. Philips kalkuliert mit ähnlichen Zahlen.
Nicht mit dem Schlimmsten gerechnet
Bei den Microprozessoren ist die Lage etwas verzwickt. Intel rechnete ursprünglich mit 8,7 Milliarden Dollar Umsatz, 700 Millionen mehr als im ersten Quartal 2001. Kürzlich wurde die Vorhersage zum dritten Mal in Folge auf nurmehr 6,5 Milliarden Dollar reduziert. Tatsächlich nahm Intel denn rund 6,7 Milliarden Dollar ein. Deutlich geringer sind auch die außerordentlichen Erträge aus Start-ups und Beteiligungen, deren Börsenwert sich im Zuge der aktuellen Aktien-Baisse drastisch reduzierte. Das Ergebnis pro Aktie betrug nach 39 Cent in Q4/2000 gerade mal 16 Cent, lag damit indes ebenfalls leicht über den zuletzt auf 15 Cent reduzierten Prognosen. Die Intel-Aktie (derzeit knapp 28 Dollar) trifft bei 18 Dollar auf eine starke Unterstützung aus dem Jahr 1998. Konkurrent Advanced Micro Devices sieht ebenfalls schwächeren Quartalen entgegen, anscheinend leiden die Gewinne jedoch weniger darunter. Die Aktie kommt auf Basis der 2001er-Ergebnisprognosen zur Zeit auf ein Kurs-Gewinn-Verhältnis von nur zehn und ist damit billig zu haben.
Zum Teil gibt es jetzt Anzeichen einer Stabilisierung. Trotz der schlechten Meldungen tendierten viele Chip-Papiere in den letzen Wochen behauptet oder sogar besser. Die negativen Nachrichten seien in den niedrigen Kursen eingepreist, hoffen Optimisten. Aller- dings ist eine richtiggehende Umkehrformation nach oben in den Kurscharts bislang nur ansatzweise zu erkennen. Das kann sich schnell ändern. Wenn sich eine Trendumkehr einstellt, beginnen die Chip-Kurse sprunghaft zu steigen. Denn sie haben den größten Vorlauf auf erwartete Entwicklungen, negativ wie positiv. Hoch bezahlt an der Börse wird dann die Wachstumsdynamik der Unternehmen, so wie voriges Jahr am Gipfel im abgelaufenen Zyklus. Aktienexperten warten zuerst einmal ab, wie es mit der Konjunktur weitergeht, und dann wird disponiert. Intel-Mitgründer Andy Grove bemüht dazu das in der Chip-Branche gerne aufgesagte "Erste Rezessionsgesetz". Das lautet: Rezessionen gehen alle irgendwann vorbei. (kk)