TOR im Unternehmen?
Unternehmen, die über ihre eigene kritische Infrastruktur, ihre Sicherheitsvorkehrungen oder Strategien kommunizieren und dies so weit wie möglich anonym tun wollen, entscheiden sich vielleicht für TOR. Genau dieselben Unternehmen beschäftigen aber möglicherweise Mitarbeiter, die TOR benutzen um die Firmen-Firewalls zu umgehen oder unerkannt während der Arbeitszeit zu surfen. Dazu zwei hypothetische Szenarien:
Szenario 1: TOR kann für Unternehmen aus unterschiedlichen Gründen attraktiv sein. Eine grundlegende Motivation besteht darin, dass es einem Unternehmen dieselbe Art von Anonymität bietet wie jedem anderen auch, der das Netzwerk benutzt.
Beispielsweise lässt sich trefflich auf den Websites der Wettbewerber surfen, ohne genau diesen Wettbewerb darauf aufmerksam zu machen, dass man tatsächlich miteinander konkurriert. Man kann sich also dieselbe Art von Informationen beschaffen wie jeder andere. Auch dann, wenn das betreffende Unternehmen den Datenverkehr filtert.
TOR eignet sich aber vor allem auch dann, wenn man Whistleblowern eine Chance geben will, dem betreffenden Unternehmen unerkannt Hinweise und Nachrichten zu übermitteln. Mailboxen und Websites, die nur über das TOR-Netzwerk zugänglich sind beziehungsweise nur in TOR existieren, garantieren dem Whistleblower schützende Anonymität. Eine nicht unübliche Praxis, die Medien wie die Washington Post und The Guardian bereits nutzen.
- Viktor Mayer-Schönberger, Professor für Internet Governance and Regulation
"Es geht nicht mehr um das Ausspähen der Gegenwart, sondern um einen Einblick in die Zukunft. Das ist der Kern von Prism. Präsident Obama hat schon recht, wenn er sagt, die von Prism gesammelten Daten seien doch für sich genommen recht harmlos. Er verschweigt freilich, dass sich daraus statistische Vorhersagen gewinnen lassen, die viel tiefere, sensiblere Einblicke gewähren. Wenn uns nun der Staat verdächtigt, nicht für das was wir getan haben, sondern für das was wir – durch Big Data vorhersagt – in der Zukunft tun werden, dann drohen wir einen Grundwert zu verlieren, der weit über die informationelle Selbstbestimmung hinausgeht." - Prof. Dr. Gunter Dueck, Autor und ehemaliger CTO bei IBM
"Ich glaube, die NSA-Unsicherheitsproblematik ist so ungeheuer übergroß, dass wir uns dann lieber doch gar keine Gedanken darum machen wollen, so wie auch nicht um unser ewiges Leben. Das Problem ist übermächtig. Wir sind so klein. Wir haben Angst, uns damit zu befassen, weil genau das zu einer irrsinnig großen Angst führen müsste. Wir haben, um es mit meinem Wort zu sagen, Überangst." - Oliver Peters, Analyst, Experton Group AG
"Lange Zeit sah es so aus, als würden sich die CEOs der großen Diensteanbieter im Internet leise knurrend in ihr Schicksal fügen und den Kampf gegen die Maulkörbe der NSA nur vor Geheimgerichten ausfechten. [...] Insbesondere in Branchen, die große Mengen sensibler Daten von Kunden verwalten, wäre ein Bekanntwerden der Nutzung eines amerikanischen Dienstanbieters der Reputation abträglich. [...] Für die deutschen IT-Dienstleister ist dies eine Chance, mit dem Standort Deutschland sowie hohen Sicherheits- und Datenschutzstandards zu werben." - Dr. Wieland Alge, General Manager, Barracuda Networks
"Die Forderung nach einem deutschen Google oder der öffentlich finanzierten einheimischen Cloud hieße den Bock zum Gärtner zu machen. Denn die meisten Organisationen und Personen müssen sich vor der NSA kaum fürchten. Es sind die Behörden und datengierigen Institutionen in unserer allernächsten Umgebung, die mit unseren Daten mehr anfangen könnten. Die Wahrheit ist: es gibt nur eine Organisation, der wir ganz vertrauen können. Nur eine, deren Interesse es ist, Privatsphäre und Integrität unserer eigenen und der uns anvertrauten Daten zu schützen - nämlich die eigene Organisation. Es liegt an uns, geeignete Schritte zu ergreifen, um uns selber zu schützen. Das ist nicht kompliziert, aber es erfordert einen klaren Willen und Sorgfalt." - James Staten, Analyst, Forrester Research
"Wir denken, dass die US-Cloud-Provider durch die NSA-Enthüllungen bis 2016 rund 180 Milliarden Dollar weniger verdienen werden. [...] Es ist naiv und gefährlich, zu glauben, dass die NSA-Aktionen einzigartig sind. Fast jede entwickelte Nation auf dem Planeten betreibt einen ähnlichen Aufklärungsdienst [...] So gibt es beispielsweise in Deutschland die G 10-Kommission, die ohne richterliche Weisung Telekommunikationsdaten überwachen darf." - Benedikt Heintel, IT Security Consultant, Altran
"Der Skandal um die Spähprogramme hat die Akzeptanz der ausgelagerten Datenverarbeitung insbesondere in den USA aber auch in Deutschland gebremst und für mehr Skepsis gesorgt. Bislang gibt es noch keinen Hinweis darauf, dass bundesdeutsche Geheimdienste deutsche IT-Dienstleister ausspäht, jedoch kann ich nicht ausschließen, dass ausländische Geheimdienste deutsche Firmen anzapfen." - Viktor Mayer-Schönberger, Professor für Internet Governance and Regulation
"Die NSA profitiert von ihren Datenanalysen, für die sie nun am Pranger steht, deutlich weniger als andere US-Sicherheitsbehörden, über die zurzeit niemand redet. Das sind vor allem die Bundespolizei FBI und die Drogenfahnder von der DEA. [...] Es gibt in der NSA eine starke Fraktion, die erkennt, dass der Kurs der aggressiven Datenspionage mittelfristig die USA als informationstechnologische Macht schwächt. Insbesondere auch die NSA selbst." - Aladin Antic, CIO, KfH Kuratorium für Dialyse und Nierentransplationen e.V.
"Eine der Lehren muss sein, dass es Datensicherheit nicht mal nebenbei gibt. Ein mehrstufiges Konzept und die Einrichtung zuständiger Stellen bzw. einer entsprechenden Organisation sind unabdingbar. [...] Generell werden im Bereich der schützenswerten Daten in Zukunft vermehrt andere Gesichtspunkte als heute eine Rolle spielen. Insbesondere die Zugriffssicherheit und risikoadjustierte Speicherkonzepte werden über den Erfolg von Anbietern von IT- Dienstleistern entscheiden. Dies gilt auch für die eingesetzte Software z.B. für die Verschlüsselung. Hier besteht für nationale Anbieter eine echte Chance." - ein nicht genannter IT-Verantwortliche einer großen deutschen Online-Versicherung
"Bei uns muss keiner mehr seine Cloud-Konzepte aus der Schublade holen, um sie dem Vorstand vorzulegen. Er kann sie direkt im Papierkorb entsorgen."
Szenario 2: Auch Angestellte haben die Möglichkeit, TOR zu benutzen und umgehen damit möglicherweise Restriktionen für das Surfen im Internet oder Regeln der Unternehmens-Firewall. Regeln, die dazu dienen sollten, das interne Netzwerk vor potenziell gefährlichen Websites zu schützen und die Acceptable Use Policy (AUP) zu stärken.
Das ist natürlich nicht das Ende vorstellbarer Szenarien. Der Schaden, den ein Mitarbeiter seinem Unternehmen zufügt, ist ungleich größer, sollte er beispielsweise illegale Käufe tätigen oder verborgene Dienste installieren im Netzwerk installieren.
Zugang begrenzen
Sollte ein Unternehmen sich darüber Gedanken machen, was passiert, wenn seine Mitarbeiter TOR benutzen, ist es mit dem Sperren nicht ganz so einfach. Das Deep Web zu benutzen ist genauso einfach wie es ist, sich das TOR-Bundle von der entsprechenden Website herunterzuladen. Gebrauchsfertig sozusagen. TOR ist standardmäßig konfiguriert, über SSL auf Port 80 zu kommunizieren wie jeder andere Datenverkehr im Web. So verschleiert TOR die Kommunikation innerhalb der legitimen Kommunikation im Web und über jedes andere durchschnittliche Netzwerk.
Es kann ein erster Schritt sein, dass die IT-Abteilung den Zugang zu den Web-Seiten blockt, von denen man das TOR-Bundle herunterladen kann. Das wird einige, aber nicht alle abhalten. Interessierte werden zum Beispiel auf Mirror-Sites mit den gespiegelten Inhalten fündig oder bringen die Software einfach von zu Hause mit ins Unternehmen.
Eine andere Methode den Zugriff auf TOR zu begrenzen: Online nach TOR IP-Knoten zu suchen. Verzeichnisse solcher IPs sind online verfügbar und man kann sie nutzen um auf dieser Basis Blacklists zu erstellen, die dann wiederrum in die Firewall-Regeln einfließen.
Keine dieser Listen ist allumfassend. Aber sie funktionieren deutlich besser, als IP-Listen zu pflegen, die auf demselben Status bleiben und nicht berücksichtigen, dass neue User neue Knoten mit neuen IPs erstellen oder Knoten nicht einbeziehen können, die verschiedene IPs nutzen. Blacklists haben einen weiteren Vorteil: Mit ihrer Hilfe kann man die internen Hosts überwachen, und feststellen, wenn diese versuchen über einen der bekannten TOR-Knoten eine Verbindung herzustellen. So kann man den entsprechenden Mitarbeiter direkt konfrontieren.
Fazit
TOR selbst ist weder gut noch böse. Das Netzwerk kann auf die eine und auf die andere Art benutzt werden. Dessen sollte man sich bewusst sein und entsprechende Vorkehrungen treffen. Wenn man als Geschäftsführer eines Unternehmens beunruhigt ist, sollte man sich nicht scheuen, Richtlinien durchzusetzen, die TOR-Software schlicht zu verbieten. Den Zugriff auf das TOR-Netzwerk wirksam zu begrenzen läuft vermutlich darauf hinaus die genannten Methoden miteinander zu kombinieren und gleichzeitig eine strikte Policy nicht nur zu definieren, sondern auch durchzusetzen. (sh)