eProcurement und digitale Transformation

Trends und Stolpersteine im eProcurement

Andreas Thonig ist Country Manager DACH bei Tradeshift und verfügt über mehr als zehn Jahre Erfahrung in den Bereichen E-Invoicing, Business Collaboration und E-Procurement. Vorher war der studierte Bankfachwirt bei SAP / Ariba als Senior Product Sales Executive sowie als Associate Director bei Lufthansa AirPlus tätig und führte als CEO die Siacon GmbH, eine Tochter der Bayern LB. Darüber hinaus ist Thonig Mitbegründer des Verbands elektronische Rechnung (VeR).
Einkaufsabteilungen gelten allzu oft als "Troublemaker", die Lieferanten und Mitarbeiter unter Druck setzen, statt partnerschaftlich zu kollaborieren und alle Beteiligten sinnvoll zu unterstützen. Was wir dringend brauchen, ist ein radikal neuer Zugang zum B2B-Einkauf, um altes Silodenken aufzubrechen und technologische Erneuerungen in Unternehmen endlich zuzulassen.

Wäre es nicht schön, wenn alle Mitarbeiter eines Unternehmens jedes benötigte Produkt ganz einfach an einem Ort kaufen könnten? Ein Ort, an dem Lieferanten aktuelle Inhalte verwalten, die bereits mit ihren Preisen versehen wurden? An dem jeder Online-Kauf den Unternehmensrichtlinien entspricht?
Die Realität des e-Procurement sieht jedoch bisher leider anders aus.

eProcurement ist noch kein digitales Vergnügen

In Deutschland setzen laut einer Studie des BME zwar 74,7 Prozent der Unternehmen elektronische Kataloge ein. Doch lediglich 6,2 Prozent nutzen diese auch zur vollständigen Bestellabwicklung aller katalogfähigen Produkte. Angesichts der ungeheuren Fortschritte im Bereich eCommerce und den Möglichkeiten, des privaten Online-Shopping, ist diese Zahl überraschend niedrig.

Auf dem Weg von der Produktsuche über die Bestellung bis hin zur Lieferung kann ein Kunde über zahlreiche Steine stolpern.
Auf dem Weg von der Produktsuche über die Bestellung bis hin zur Lieferung kann ein Kunde über zahlreiche Steine stolpern.
Foto: Jason KS Leung-shotterstock.com

Der Trend zur digitalen Transformation ist dennoch deutlich - und Deutschland ist in diesem Punkt weiter als die USA. Vergleicht man die hiesigen Zahlen mit denen aus dem "State of B2B Procurement"-Report der Acquity Group, der in den USA ein massives Wachstum in der Online-Recherche und den Online-Ausgaben von B2B-Einkäufern aufdeckt, wird deutlich, dass dort 68 Prozent der B2B-Einkäufer benötigte Produkte und Dienstleistungen online kaufen. Im Vorjahr waren es lediglich 57 Prozent. Auch die Anzahl der Befragten, die im letzten Jahr mehr als 90 Prozent ihres Budgets online ausgegeben haben, hat sich im Vergleich zum Vorjahr von 9 auf 18 Prozent praktisch verdoppelt.

Online-B2B-Einkäufe wachsen laut der Acquity Group zwar jährlich um 20 Prozent - doch offenbar werden elektronische Kataloge selbst von US-Top-Unternehmen noch immer selten genutzt. Die einzig logische Erklärung für diesen Unterschied besteht in der Annahme, dass der Großteil des Bedarfs außerhalb des Unternehmens-"Systems" gesucht werden muss.
Was in den USA offensichtlich fehlt, ist der entsprechende Content. Traditionelle eProcurement-Lösungen weisen nicht nur ungenügend Inhalte auf, sondern Produktdetails werden nicht regelmäßig aktualisiert und entsprechend gepflegt.

Die Breite und Tiefe von Einkaufsoptionen im Privatbereich spiegelt sich noch lange nicht in der aktuellen Businessnutzung wider - ein großer Hemmschuh für ein voll digitalisiertes Procurement. In Deutschland ist man offensichtlich deutlich weiter, auch wenn auch hierzulande noch lange kein Amazon für das eProcurement im Business-Umfeld in Sicht ist. Eine bedeutende Anzahl von Entscheidern ist dieser Idee allerdings bereits sehr zugetan. 79,9 Prozent der befragten Unternehmen sehen den technischen Reifegrad entsprechender Systeme als relativ hoch an.

Bisher bietet keine Lösung auch nur annähernd das Einkaufserlebnis, das User im privaten Umfeld gewohnt sind - beispielsweise von einem Einkauf bei Amazon. Es ist also Zeit für eine Lösung, über die Mitarbeiter anderer Abteilungen alle notwendigen Produkte finden und rechtssicher einkaufen können - und das ohne die Procurement-Abteilung involvieren zu müssen. Unternehmen könnten dann auch die digitale Transformation von Prozessen vorantreiben, die dem Einkauf mehr Kontrolle über die Ausgaben gibt.

Ausgaben automatisiert verwalten

Um wettbewerbsfähig zu bleiben, versuchen immer mehr Unternehmen durch Modernisierung von IT-Systemen und Prozessoptimierung Kosten zu sparen und effizienter zu arbeiten. Dazu sind Investitionen notwendig, deren tatsächlicher Nutzen oft erst nach Jahren sichtbar wird. Anders verhält es sich im Procurement-Bereich: Durch gezielte Automatisierung von Prozessen können Unternehmen hier deutlich früher von einem sichtbaren Return on Investment (ROI) profitieren. Werden Einkäufe getätigt, können erzielte Einsparungen sofort auf den Cent genau angezeigt werden. Um dies zu erreichen, muss die Verwaltung der Budgets vollständig in die Hand der Procurement-Abteilung übergehen - nicht jedoch der komplette Beschaffungsprozess.

Doch welche Ausgaben sind wirklich "under management" und bieten den sichtbarsten Business-Nutzen? Nur Procure-to-Pay-Prozesse, die über ein eProcurement-System laufen, führen tatsächlich zu direkten Einsparungen oder konkreter Wertschöpfung. Der Grund: Sämtliche Procure-to-Pay-Prozesse - von der Bedarfsanforderung bis zur Bezahlung - laufen automatisiert. So lassen sich durch beschleunigte Prozesse entstandene Einsparungen direkt gegen die sonstigen Kosten rechnen. Sobald Produkte oder Services über ein eProcurement-System eingekauft werden, gelten die Einsparungen als "erzielt". Moderne Lieferantenmanagement-Lösungen können helfen, auch diese Ausgaben elektronisch umzusetzen und Einsparungen sichtbar zu machen.

Plattformübergreifende Interaktionsmöglichkeiten

Wer zu seinem Smartphone greift, kann parallel eine ganze Reihe sozialer Plattformen wie Facebook, Instagram und Twitter nutzen. Diese lassen sich sogar miteinander synchronisieren, sodass zum Beispiel das Foto eines leckeren Mittagessens nur einmal gepostet wird und sofort auch auf allen Plattformen erscheint.
Während soziale Medien es also schaffen, Kommunikationsbarrieren zwischen Anbietern und Usern zu überwinden, nehmen Mitarbeiter Geschäftsprozesse als starre, unflexible und abgeschottete "Software-Vorgänge" wahr. Strukturierte Prozesse sind notwendig, doch erschweren sie die soziale Interaktion in der B2B-Sphäre bisher. Diese Herausforderung ist lösbar. Hierfür müssen eine gemeinsame Semantik und eine einvernehmliche Prozess-Automatisierung durch maschinenlesbare Daten sowie plattformübergreifende Integrationsmöglichkeiten geschaffen werden.

Nachhaltigkeit und Risikominimierung im Blick

Unternehmen sind heute mehr denn je auf zuverlässige Lieferanten angewiesen. Neben den klassischen Herausforderungen der Just-in-time-Produktion kommen aufgrund der zunehmenden Digitalisierung dramatisch verändernde Lieferketten und Marktbedingungen auf die Unternehmen zu. Konsequentes und zeitnahes Risikomanagement gehört folglich auch in unmittelbarer Zukunft zu den wichtigsten Herausforderungen für den strategischen Einkauf.

Neben einer klaren Definition, welche Risikofaktoren zentral zu verwalten sind, rückt die Beschaffung und sinnvolle Analyse der entsprechenden Daten zunehmend in den Vordergrund. Dabei ist es für Unternehmen von essenzieller Bedeutung, neben den finanziellen Aspekten auch politische, geographische und ethische Faktoren zu berücksichtigen. Wird die empfindliche Lieferkette durch Naturkatastrophen oder politische Veränderungen unterbrochen, kommen Industrieunternehmen schnell in Bedrängnis. Auch Unfälle können zu weltweiten Lieferengpässen führen.
Spätestens seit dem Skandal um schlechte Arbeitsbedingungen und die Beschäftigung Minderjähriger beim Elektronikhersteller Foxconn sind Reputationsrisiken im Fokus international agierender Firmen. Viele haben sich im Rahmen eines "Code of Conduct" inzwischen zu ethischen Standards verpflichtet, deren Einhaltung (theoretisch) auch für Lieferanten bindend ist und ständig geprüft werden sollte.
Es ist daher sinnvoll, systematische Screenings von Lieferanten mit Daten anderer Quellen anzureichern - zum Beispiel mit Informationen aus sozialen Netzwerken. Firmen können dafür Business-Netzwerke und Plattformen einsetzen, die Informationen externer Quellen in die Risikobewertung einfließen lassen.

Konsequentes Risikomanagement ist heute wichtiger denn je, denn es hilft Unterbrechungen der Lieferkette zu vermeiden und Reputationsrisiken durch unethisches Verhalten Dritter zu erkennen. Unternehmen müssen dazu anhand klar definierter Risikoprofile systematische Screenings ihrer Lieferanten durchführen.
Außerdem ist sicherzustellen, dass alle neuen Partner die geltenden Compliance-Anforderungen erfüllen. Dazu gehört beispielsweise ein Check, ob sie auf Sanktions- oder Verbotslisten geführt werden und über alle notwendigen Zertifizierungen verfügen. Plattformen für modernes Lieferantenmanagement bieten unter anderem eine Echtzeit-Validierung von Informationen über Datenbanken von Drittanbietern, sodass stets die Einhaltung wichtiger Vorschriften gewährleistet ist. Sämtliche Screenings können so im laufenden Alltagsgeschäft stattfinden und der manuelle Aufwand für das Datenmanagement-Team fällt erheblich geringer aus.

Fazit

Hochentwickelte Technik macht es Unternehmen heutzutage leichter, eine Vielzahl unterschiedlicher Informationsquellen für ein kontinuierliches Performance-, Compliance- und Risk-Management zu nutzen - und gleichzeitig die Interaktion mit ihren Lieferanten zu verbessern. Entsprechende Lösungen sind längst marktreif. Richtig eingesetzt, können sie sowohl einen durchgängigen Informationsfluss als auch eine Kollaboration mit Lieferanten gewährleisten. Entscheider müssen vor der Einführung jedoch alte Denkstrukturen verlassen und auch nach einer Modernisierung die IT-Technologien stets im Auge behalten - und möglichst zeitnah an neue Situationen anpassen. (bw)

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