Der Systemhausmarkt ist derzeit massiv im Umbruch. Wie macht sich das aus Ihrer Sicht bemerkbar?
Sven Wulf: Aktuell befassen sich alle Systemhäuser mit dem ThemaManaged Services, vor allem unter dem Aspekt: Wie kann ich damit den Kunden betreuen und gleichzeitig möglichst pauschalisiert Geld verdienen? Diese Kernthemen beschäftigen uns selbst natürlich auch. Allerdings denke ich, dass den Kunden diese Fragen gar nicht interessieren. Er will einen stabilen IT-Betrieb gewährleistet und die IT einfach aus dem Kopf haben. Das löst aber seine Probleme nicht. Denn diese lauten vielmehr: Wie kann ich schneller werden und effizienter arbeiten? Das merken wir massiv.
Die Kernaufgabe des Systemhauses darf deshalb nicht darin liegen, den PC-Arbeitsplatz des Kunden kostengünstig zu betreiben, sondern darin, die Prozesse des Kunden zu beschleunigen, sein Geschäft zu verstehen und seinen Arbeitsalltag zu erleichtern. Und für die Lösung dieser Themen ist vor allem Software-Know-how und eine hohe Beratungskompetenz erforderlich. Davon sind meines Erachtens viel zu viele Systemhäuser noch weit entfernt.
Sie sagen also, Managed Service ist ein vorgeschobenes Thema, auf dem aktuell alle herumreiten, aber es ist nicht die Lösung?
Sven Wulf: Viele Systemhäuser sind der Meinung, dass da nur eine nächste Modewelle auf sie zu schwappt. Nach der Welle: "Wir machen alles beim Kunden vor Ort", käme jetzt die Cloud-Welle, also: "Jetzt machen wir alles in der Cloud und jetzt wird das Thema Managed Service getrieben".Damit hängen sie in der Managed-Services- und Flatrate-Schleife - und vergessen darüber den Kunden. Denn diese standardisierten Pakete ermöglichen keine Differenzierung und das heizt die Preisspirale an: Ein Produkt wie Hosted Exchange ist doch längst Commodity und deshalb wollen sich alle gegenseitig unterbieten. Der Kunde aber will doch einen rechtskonformen Betrieb der Lösung, voll gemanagt. Zum Preis von einem Euro pro Postfach inklusive der Haftungsrisiken und eigener Betriebskosten ist das nicht darstellbar, das kann kein Geschäftsmodell für ein Systemhaus sein.
Bei Infrastruktur-Angeboten diskutieren unsere Kunden mit uns gar nicht mehr über den Preis. Für sie ist wichtig, dass der IT-Betrieb läuft und dass wir uns gemeinsam überlegen, wie wir ihre Geschäfte effizienter gestalten können. Ich muss den Kunden in seinen Alltagsproblemen unterstützen, alles andere ist austauschbar.
Hinzu kommt: 80 Prozent unserer Kunden betreiben ihre IT-Infrastruktur noch inhouse. Die sind noch lange nicht Cloud-fähig. Und selbst mit Managed-Service-Modellen mache ich den Kunden noch lange nicht effizienter!
Was sind die entscheidenden Fragen, die sich ein Systemhaus stellen sollte?
Sven Wulf: Was können wir tun, damit der Kunde mehr verdienen kann? Und die Frage: Was ist mein echtes Differenzierungsmerkmal, über das ich langfristig Tagessätze und Services realisieren kann, die über dem Mindeststundensatz liegen.
Wie schaffen Sie es, sich von anderen Systemhäusern zu differenzieren?
Sven Wulf:Wir fokussieren uns ganz klar auf drei Säulen: IT-Sicherheit, Infrastruktur inklusive Cloud, und Business Solutions. In diesem letztgenannten Segment bündeln wir sämtliche Themen rund um CRM, Business Intelligence (BI) und Workflow-Management. Für mich sind IT-Sicherheit und Infrastruktur ein Mittel zum Zweck - wie Strom aus der Steckdose, um mit dem Kunden über seine Prozesse zu sprechen und ihn bei deren Optimierung zu helfen. Ich muss mich heute mit Dingen befassen, die danach kommen und nicht nur mit Themen wie Managed Services, die jetzt alle machen.
Wo liegen die Fallstricke bei dieser Transformation Ihres Geschäfts?
Sven Wulf: Wir brauchen für diese Transformation Menschen mit ganz anderen Kompetenzen. Ein Systemhaustechniker, der bislang PCs oder VMware installiert hat, wird das nicht leisten können. Die Frage lautet also: Welche Menschen brauche ich in Zukunft, um mich als Systemhaus selbst als Berater und Betreuer des Kunden zu etablieren? Denn Gespräche zu Themen wie: "Welchen Server und welche Performance brauchen Sie?" habe ich mit Kunden zuletzt vor drei Jahren geführt.
Ein weiterer Fallstrick sind die gesetzlichen Anforderungen und aufwändige Zertifizierungen im Bereich IT-Sicherheit, die wir künftig brauchen werden, um Kunden überhaupt beliefern zu können. Das gilt im Übrigen auch für die Kunden selbst, denn die großen Auftraggeber werden diese Auflagen an ihre Subunternehmen und deren Dienstleister weiterreichen.
Wie packen Sie diese Herausforderungen an?
Sven Wulf: Wir besprechen mit dem Kunden, was wir tun können, damit er in seinem spezifischen Geschäft erfolgreicher wird. Wir durchleuchten, was er macht, wie seine Prozesse aussehen. Das heißt, wir schaffen ihm einen stabilen Infrastrukturbetrieb, damit wir über diese Prozessthemen sprechen können. Und wir befassen uns intensiv mit Software-Lösungen und mit Themen, die wir aufmerksam im Markt wahrnehmen, tauschen uns mit anderen Kollegen aus - und ich befasse mich mit den Analysen der Zukunftsforscher.
Einer der etabliertesten Zukunftsforscher, Sven Gabor Janszky, wird auf dem Systemhauskongress am 08. September skizzieren, wie die künftige Arbeitswelt konkret aussehen wird. Wie sieht sie aktuell aus? Womit kämpfen die Unternehmen heute?
Sven Wulf: Der Mittelstand muss sich heute mit mannigfaltigen Themen auseinandersetzen: EU-Datenschutzgrundverordnung, Zertifizierungen etc. Viele sind damit komplett überfordert. Hier gilt es, die Kunden an die Hand zu nehmen und ein schrittweises Vorgehen zu definieren. Wenn ich sehe, welche Lösungen heute schon am Markt verfügbar sind und was diese leisten, steht das in krassem Gegensatz zu dem, was Kunden aktuell einsetzen. Da liegen Welten dazwischen! Viele haben noch nicht einmal ein vernünftiges Backup-System.
Alle sprechen von digitaler Transformation und digitalen Prozessen. Was sehen Sie, wenn Sie sich bei Ihren mittelständischen Kunden umsehen?
Sven Wulf: Ich sehe, dass die Bestellanforderung für ein neues Telefon als Fax-Ausdruck beim IT-Leiter zur Freigabe ankommt - nachdem der vorausgegangene Prozess im Unternehmen ebenfalls nur auf Papier erfolgt war. Wenn wir mit Firmen über Workflow-Management sprechen möchten, hören wir oft: "Wir hätten gerne erst einmal den Rechnungseingangs-Prozess gelöst" - sprich: digitalisiert.
Das heißt, bei vielen Firmen müssen wir erst einmal Basis-Arbeit leisten, um überhaupt über Prozessthemen sprechen zu können. Wir selbst haben vor 10 Jahren ein DMS eingeführt. Aber wir kommen zu Kunden, die mit Leitzordnern arbeiten.
Im Kontext von CRM sieht es nicht besser aus. Die meisten pflegen ihre Kundendaten in Excel oder sogar noch per Visitenkarten. Die Frage ist also: Wie hole ich diese Kunden ab und helfe ihnen, sich schrittweise zu transformieren? Das große Thema ist, die Mitarbeiter beim Kunden bei diesem Wandel mitzunehmen - gerade bei Software-Projekten.
Auch beim Thema Business Intelligence gibt es bei mittelständischen und kleineren Kunden - und sicherlich auch bei den Systemhäusern selbst - einen enormen Nachholbedarf. Da geht es um die Fragen wie: Wie werte ich meine Daten im Unternehmen aus? Wie visualisiere ich sie? Mittelständische Kunden nutzen dafür immer noch Excel! Am Ende des Tages können sie ihre Daten überhaupt nicht messen und die Reportings automatisieren, weil auch der Excelprozess noch manuell verläuft - also Daten von einer Excel-Liste in die nächste übertragen werden. Und das jeden Monat wieder auf‘s neue.
Wie gehen Sie in solchen Fällen vor?
Sven Wulf: Wir verkaufen dem Kunden kein Software-Projekt mehr, sondern wir führen Applikationen schrittweise ein und bieten ihm ein Dauerbetreuungspaket für die Applikation, damit wir sie Zug um Zug weiterentwickeln und immer mehr Prozesse in diese Applikationen einbinden können. Denn ohne diese Dauerbetreuung arbeiten die User nach einem viertel Jahr doch wieder mit Excel, weil die Einführung viel zu schnell ging und sie in ihrem Arbeitsalltag etwas Neues einsetzen sollen, das sie gar nicht verstanden haben.
Gibt es auch leuchtende Vorbilder in dieser Excel-verhafteten, deutschen Unternehmswelt?
Sven Wulf: Die gibt es. Einer unserer Kunden, ein Bäcker, ist hier beispielgebend. Er betrachtet seine Brötchen bereits als digitales Produkt. Er misst seine gesamten Abverkaufsdaten über eine BI-Plattform im Kontext von Wetterdaten etc. über die vergangenen 10 Jahre hinweg. Auf dieser Basis entscheidet er, welche Filialen er mit welchen Produkten auf welche Weise am effizientesten ausstatten kann, um möglichst hohe Erträge bei möglichst geringem Ausschuss zu erwirtschaften. Er steuert und misst sein gesamtes Unternehmen, einschließlich der Produktion, nur noch über Dashboards.
Im vergangenen Jahr waren Sie in Hongkong unterwegs, das in der IT häufig als der Ort der "Zukunftsmacher" betrachtet wird. Was hat Sie dort am meisten überrascht? Welche wesentliche Erkenntnisse haben Sie mitgenommen?
Sven Wulf: Zunächst war ich erschrocken, wie weit uns asiatische Unternehmen und Märkte voraus sind. Zwei Beispiele: Das bargeldlose Bezahlen ist dort eine Selbstverständlichkeit. Sie können über Plattformen Geld überweisen. Alibaba ist im Gegensatz zu Google nicht nur ein Such- und Bestellsystem, sondern Sie können beispielsweise über Alibaba Pay auch die Nebenkostenabrechnung für Ihre Wohnung bezahlen, oder ein Brötchen am Kiosk kaufen. Es ist dort für jeden selbstverständlich, all diese Dinge digital abzuwickeln.
Ein anderes Beispiel: die Open Hardware Stores. Hier kann jeder spontan seine Produktidee in den frei zugänglichen Werkstätten mit kompletter Ausstattung wie 3D-Druckern etc. gemeinsam mit anderen entwickeln. Direkt nebenan stehen Elektronikmärkte, wo Sie alles kaufen können, um im Open Hardware Store die Produkte zu bauen. Binnen sechs Wochen sind auf diese Weise oft schon Prototypen fertig, inklusive Kleinstserienfertigung und einer Vermarktungslösung mittels Alibaba, über die sich testen lässt, ob es sich lohnt, in die Serienfertigung zu gehen. Während wir hierzulande noch überlegen.
In Asien wird das einfach gemacht und es entstehen jede Woche eine Masse neuer Produkte und Ideen. Es ist dort ganz normal über Chat-Plattformen mit anderen zusammenzuarbeiten und zu entwickeln - ohne diese Furcht: "Das ist aber meins! Ein anderer könnte mir was wegnehmen"! Wir behindern uns mit unserer eigenen Mentalität, wo andere mit Hochgeschwindigkeit schon Neues entwickeln. Diese Geschwindigkeit hat mich schockiert. Im Silicon Valley ist das ähnlich. Erst langsam kommt das im deutschen Markt an.
Wenn Sie Ihr eigenes Unternehmen in fünf Jahren betrachten: Wie wird es sich verändert haben? Welche Art von Unternehmen wird es dann sein?
Sven Wulf: Wir werden immer mehr zum Berater der Kunden, die den Überblick behalten und ihn in allen Aspekten der Transformation begleiten. Wir sind künftig nicht mehr der Systemhaus-IT-Anbieter für den Kunden, sondern seine interne IT-Abteilung. Weil die Endkunden nicht mehr mit allen Entwicklungen Schritt halten können oder keine Leute finden, die das machen können. Es wird eine partnerschaftliche Beziehung zum Kunden. Aber das bedeutet für das Systemhaus auch: Es muss wirklich den kompletten Überblick behalten, um den Kunden an jeder Stelle begleiten zu können.
Wir werden zum Planer, Betreuer, Ausführer und Generalunternehmer, der ganz viele Dinge und Gewerke hinzukauft und dafür sorgt, dass ein Unternehmen funktioniert und alle nötigen Sicherheitsmaßnahmen dazu gewährleistet. Und die Kunden wie auch wir selbst müssen als Arbeitgeber attraktiver werden für neue Mitarbeiter. Da wird unsere Reise sein.
Bedeutet das in letzter Konsequenz auch, dass Systemhäuser zum Entdecker neuer Geschäftsmöglichkeiten für den Kunden werden müssen?
Sven Wulf: Ja. Der Kunde wird uns künftig auch mal fünf Tage kreativ spinnen lassen, um herauszufinden, was wir mit seinen Daten machen können! Das heißt: Ich brauche dafür auch selbst einen Pool von Mitarbeitern, die frisch von der Uni kommen und die Welt verändern können. Das wird nochmal eine andere Welle werden.
Und ich muss agile Software-Entwicklung anbieten können. Denn ich kann nicht mehr absehen, was in sechs Monaten sein wird. Deshalb muss ich in der Lage sein, sofort zu reagieren, Dinge neu zu machen und diese schrittweise und schnell umzusetzen - ohne Projektplanungszyklen von sechs Monaten und mehr.
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