"Es ist an der Zeit, dass die Regulierungsbehörden bei unfairen Software-Lizenzierungspraktiken einschreiten", fordert Francisco Mignorance, Generalsekretär der CISPE (Cloud Infrastructure Services Providers in Europe), einer Vereinigung europäischer Cloud-Infrastruktur-Anbieter. "Das geltende Recht bietet in Deutschland bereits die notwendigen Instrumente, um beispielsweise gegen das bei marktbeherrschenden Software-Unternehmen übliche 'Bundling' vorzugehen. So bedarf es nicht einmal einer Reform des deutschen Wettbewerbsrechts oder des Digital Markets Act, um diesen Praktiken Einhalt zu gebieten."
Das sind deutliche Worte. Gerichtet wurden sie vergangene Woche auf einem virtuellen Roundtable an Pressevertreter, gedacht sind sie für die Ohren der Regulierungsbehörden: Die sollen gegen Firmen wie Microsoft, Oracle aber auch SAP endlich so vorgehen, wie das Gesetz es ihnen ermöglicht. Wie sich die CISPE faire Software-Lizenzierung vorstellt, hat die Vereinigung jetzt in einem "10 Grundsätze für eine faire Software-Lizenzierung" genannten Papier vorgestellt. Wesentliche Forderungen darin sind unter anderem das Recht zur Mitnahme bereits erworbener Software in die Cloud, das Recht der Kunden zur Nutzung von On-Premise-Software in der Cloud ihrer Wahl sowie die Unabhängigkeit der Höhe der Softwarelizenzgebühren in der Cloud davon, auf wessen Hardware sie installiert ist.
Die CISPE-Mitgliedsunternehmen, zu denen unter anderem AWS, Leaseweb und OVHcloud zählen, werden aktiv, weil der Druck durch unfaire Lizenzpraktiken von großen Softwareanbietern stärker wird. Sie warnen deshalb, dass "die massiven Einschränkungen gerade bei der Migration in die Cloud und hohe Lizenzgebühren vonseiten großer Softwarehersteller den digitalen Wandel in Deutschland und Europa bedrohen."
Digital Markets Act soll für mehr Fairness sorgen
Um ihre Behauptungen zu untermauern, haben sie im Oktober zusammen mit Prof. Frédéric Jenny, einem französischen Experten für Wettbewerbsrecht, eine Studie veröffentlicht. Dafür hatte Jenny über mehrere Monate mit Anwendern von Unternehmenssoftware aller Größen und Branchen gesprochen. "Einige Anwender hatten Angst vor möglichen Repressalien, wenn sie sich gegen vermeintlich unlautere Praktiken aussprechen. Selbst einige Großkunden von Cloud-Diensten haben erkannt, dass sie auf die zentralen Produktivitätssuiten, die eben jene Software-Unternehmen kontrollieren, nicht verzichten können", sagt Jenny.
Das bestätigt auch Hans-Joachim Popp, stellvertretender Vorsitzender beim VOICE, Bundesverband der IT-Anwender e.V.: "Es ist offensichtlich, dass einige große Software-Anbieter versuchen, mit ihren Lizenzverträgen den Wettbewerb und die Wahlmöglichkeiten einzuschränken. Unsere Mitglieder sehen das jeden Tag und fordern nachdrücklich, dass diese Praktiken durch den DMA wirksam verhindert werden."
Der DMA (Digital Markets Act) wurde Mitte Dezember 2021 in das EU-Gesetzgebungsverfahren eingebracht und befindet sich derzeit in Bearbeitung. Es arbeitet mit dem Konzept der "Gatekeeper". Das ist jede im Markt fest etablierte Online-Plattform, die "eine starke wirtschaftliche Position mit erheblichen Auswirkungen auf den Binnenmarkt innehat und in mehreren EU-Ländern aktiv ist" und "über eine starke Vermittlungsposition verfügt, d. h. eine große Nutzerbasis mit einer großen Anzahl von Unternehmen verbindet". Diese Gatekeeper müssen mit dem DMA künftig offener und transparenter für Dritte werden. Der CISPE, ihren Mitgliedsunternehmen und den von VOICE vertretenen Anwendern ist es nun wichtig, dass auch Cloud-Anbieter im gewerblichen Bereich als Gatekeeper gesehen und entsprechend behandelt werden.
Zwar ist es im Cloud-Bereich noch umstritten, ob einzelne Anbieter eine Position erreicht haben, die sie zum "Gatekeeper" macht. Aber das hält Prof. Axel Metzger, der dazu im Auftrag des CISPE eine weitere Studie erstellt hat, auch nicht für allein entscheidend. Denn Firmen wie Microsoft, Oracle oder SAP hätten diese Stellung in angrenzenden Bereichen auf alle Fälle schon erklommen und würde diese nutzen, um Kunden auch in der Cloud nach Gutdünken zu behandeln.
Allerdings hatte er bei den Arbeiten zu seiner Studie ein Problem: Wie bei anderen Missbrauchsfällen, ist auch hier der Missbrauchte oft sehr zurückhaltend mit Vorwürfen, weil er von demjenigen abhängt, dem der Missbrauch anzulasten ist. Es gebe daher nur sehr wenige Verfahren, in denen sich Firmen gegen unfaire Praktiken ihrer Software- oder Cloud-Anbieter gewehrt haben.
Kleine Lizenzänderung, große Auswirkungen
Mit einer als unfair angeprangerten Methode sorgt im vergangenen Jahr Microsoft für Aufsehen: Es ging um den "Halte-Zwang" für Lizenzen beim Umstieg auf Microsoft 365. Aufgrund einer Änderung in den Produktbestimmungen, die Teil jedes Volumen-Lizenzvertrages sind, mussten Kunden beim Umstieg auf Cloud-Angebote ihre bisher vorhandenen Lizenzen unter bestimmten Umständen weiterhin vorhalten. Sie bekamen dafür zwar einige Vergünstigungen, hatten aber nicht mehr die Möglichkeit, die zuvor genutzten Software-Lizenzen zu verkaufen.
Der Schritt sorgte für heftige Reaktionen bei Händlern von gebrauchter Software. Sie warfen dem Hersteller unter anderem vor, den Markt für Gebrauchtsoftware austrocknen und auf diesem Wege die EU-Rechtsprechung zu diesem Thema umgehen zu wollen. Microsoft wies das zurück und begründete die Änderungen mit dem Wunsch der Kunden - nahm diese umstrittene Regelung dann aber im Sommer 2021 doch wieder zurück. Ob eine Klage des britischen Unternehmens Value Licensing auf einen Schadenersatz von rund 313 Millionen Euro dabei eine Rolle gespielt hatte, ist unklar.
"Wenn man auf Azure wechselt, ist auf einmal ganz viel möglich"
Dem Rechtsexperten Alex Metzger klagten Microsoft-Kunden ebenfalls ihr Leid. Zum Beispiel erschwere Microsoft es bei wichtigen Produkten für Unternehmenskunden, bereits vorhandene Software mit vorhandenen Lizenzen in der Cloud eines Dritten zu nutzen. "Wenn man auf Azure wechselt, ist auf einmal dann aber ganz viel möglich", so Metzger. In dem von ihm erstellten Rechtsgutachten heißt es: "Die verschachtelte Lizenzkonstruktion führt im Ergebnis dazu, dass bestehende On-Premises Lizenzen besonders wichtiger Microsoft-Produkte, bei denen der Marktanteil des Unternehmers zugleich besonders hoch ist, ohne größere Hürden ausschließlich auf dem von Microsoft angebotenen Cloud-Dienst Azure (oder bei kleineren, 'non listed' Providern) genutzt werden können, nicht aber auf den Servern der großen konkurrierenden Cloud-Anbieter."
Darin sieht auch Metzger eine Kopplung von Software und Diensten bei einer marktbeherrschenden Stellung. Das wiederum sei ganz klar eine Behinderung des Wettbewerbs und damit wettbewerbswidrig. Es verstoße zudem gegen das Urheberrecht: Laut EU-Recht höhlt es die Mindestrechte von Lizenzen aus, die Cloud-Nutzung einer Software auszuschließen oder zu erschweren. Das Fazit von Metzger: "Teilweise herrscht Wild-West und klare rechtliche Vorgaben werden nicht eingehalten."
"Microsoft versucht durch Bundling dem Wettbewerb das Leben schwer zu machen", stellt auch Stefan Wagner fest. Er ist Professor für Betriebswirtschaftslehre an der European School of Management and Technology Berlin (ESMT) in Berlin und bemüht zur Illustration ein Beispiel: Die Situation sei etwa so, als wenn ein Anbieter von Kühlschränken in der Anleitung den Kunden vorschreibe, welcher Stromanbieter genutzt werden dürfe. Während dies direkt als absurd eingestuft wird, sei die Lage beim Cloud-Geschäft zwar grundsätzlich gleich, aber wesentlich komplexer. Daher werde oft nicht wahrgenommen, dass durch die Software-Anbieter die Auswahl der Cloud-Ressourcen unberechtigterweise begrenzt wird.
Lizenzgeber agieren nach Gutsherrenart
Einige große Anwenderunternehmen, die ihre Software-Landschaft zur Komplexitätsreduzierung in der Vergangenheit auf bestimmte große Hersteller konsolidiert haben, empfinden inzwischen nicht nur die Lizenzbedingungen selbst als unfair, sondern auch deren Begründung und die Kommunikation dazu. "Eine Argumentation gibt es von Herstellern eigentlich gar nicht mehr", beklagt etwa VOICE-Sprecher Popp. "Da wird einfach mitgeteilt." Das bestätigt Metzger für das SAP-Umfeld: "Auch bei SAP werden Änderungen der Lizenzen quartalsweise mitgeteilt - oft auf mehreren hundert Seiten."
Das ist laut Popp nicht nur wegen der unmittelbaren Kosten für die Software ärgerlich. Teilweise sei der Aufwand, um die Lizenzierung zu handhaben, um ein Vielfaches höher. "Es geht dabei gar nicht um Fairness. Aus gesamtwirtschaftlicher Sicht ist das verbranntes Geld." Das sei einfach schlechtes Verhalten und schade der Wirtschaft insgesamt erheblich, klagt Popp an.
CISPE-Vorsitzender Alban Schmutz erklärt unter Berufung auf die von Professor Jenny erstellte Studie: "Die Studie zeigt deutlich, dass Grundsätze für eine faire Software-Lizenzierung notwendig sind, und in den DMA aufgenommen werden sollten. Dies ist ein wichtiges Thema, das sowohl Rechtsvorschriften als auch die freiwillige Verpflichtung auf faire Praktiken der Software-Lizenzierung umfasst, um eine bessere Lösung für europäische Unternehmen und Verbraucher zu gewährleisten."
Auch Kartellverfahren laufen schon
Die Aufnahme in den Gesetzestext befürwortet CISPE daher auch deshalb, weil die Alternative - Kartellverfahren - einfach zu langwierig sei. Solche Verfahrne können sich acht bis zehn Jahre hinziehen. Setzen sich die Beschwerdeführer durch, ist es oft ein Phyrrhussieg: Sie haben dann zwar gewonnen, können aber mit dem Sieg nichts anfangen, weil sich die Marktgegebenheiten - gerade in der schnellebigen IT - längst geändert haben. Dennoch sind solche Verfahren natürlich wichtig, um Druck aufzubauen.
Ein Kartellverfahren gegen Microsoft haben vor kurzem 30 europäische Firmen eingeleitet, Beschwerdeführer ist die Firma Nextcloud. Sie werfen dem Softwarekonzern vor, durch die Integration des Cloud-Speicherdiensts OneDrive in Windows gegen Kartellgesetzte zu verstoßen. Laut Frank Karlitschek, Gründer und Managing Director von Nextcloud, sei das erste Feedback von Seiten der Behörden, dass "die Beschwerde wirklich sehr ernst genommen wird."
Das kann daran liegen, dass das Verfahren nicht das erste gegen Microsoft ist. Bereits im Sommer 2020 hatte das inzwischen von Salesforce übernommene US-Unternehmen Slack sich an die EU-Behörden gewandt. Seiner Auffassung nach bremst Microsoft den Wettbewerb, indem es die Kollaborations-Komponente Microsoft Teams zu eng in seine Office-Suite integriert.
Damit nutze der Konzern seine marktbeherrschende Stellung bei Office-Software aus, um die Installation des Kollaborations-Tools, mit dem Slack konkurriert, Millionen Nutzern aufzudrängen. Das Entfernen von Teams werde verhindert, und Firmenkunden würden die wahren Kosten der Software verschleiert, indem diese als eine Komponente im Gesamtpaket versteckt werde. Im Oktober 2021 hat die EU-Kommission damit begonnen, andere Microsoft-Mitbewerber zu dieser Thematik zu befragen. Vom Ergebnis dieser Befragung hängt es dann auch ab, ob eine kartellrechtkliche Untersuchung eingeleitet wird.