Frank & Walter war einst ein (Sub)Distributor von Tobit, wo ich seinerzeit in Diensten stand. Nachdem unsere Kooperation schon ein wenig anders als gewöhnlich begonnen hatte, sollte sich auch alles Weitere als außergewöhnlich erweisen.
Um die ersten gemeinsamen Vertriebsaktionen zu besprechen, wurde ich vom damaligen Vertriebsleiter eingeladen. Stolz zeigte er die "heiligen" Hallen in Braunschweig. Der erste Weg führte ins Lager, wo eine extreme Hektik herrschte. Auf mehreren großen Monitoren war eine negative Zahl von etwa - 650.000 DM zu sehen. Darauf angesprochen wurde mir erläutert: "Wir hatten heute Nacht für zwei Stunden einen Serverausfall. Unsere Verpackungsmitarbeiter müssen jetzt diese Zeit wieder gutmachen. Und das wird bei uns nicht in Minuten, sondern in Umsatz dargestellt", lautete die Randinformation.
Menschliche Hühnerhaltung
Der ganze Stolz des Vertriebsleiters war allerdings das Großraumbüro seiner Abteilung. Fünf Gruppen à 18 Personen mit jeweils einem Teamleiter waren dort untergebracht. Genau so hatte ich mir menschliche Hühnerhaltung vorgestellt. Und es herrschte eine Aktivität wie auf einem Ameisenhaufen, koordiniertes Chaos.
Hier erklärte mir der Vertriebsleiter, dass die Mitarbeiter alle margenabhängig bezahlt werden. Zudem würden alle Mitarbeiter täglich in einer Erfolgsrangliste geführt. Wer von der 18er-Gruppe innerhalb von zwei Wochen auf den letzten drei bis fünf Plätzen abschloss, wurde entlassen. Was er anscheinend ziemlich "sexy" fand, hat mich damals sehr erschreckt, zumal ich entsprechende Geschäftsgebaren nicht gewohnt war.
Seine beste Idee kam zu Schluss: Er überlege gerade, die täglichen Ergebnisse der jeweils 18 Mitarbeiter einer Gruppe sekundengenau auf "rollierenden" Anzeigetafeln (früher zum Beispiel auf Flughäfen zu sehen) darzustellen. Das hauseigene EDV-System würde das hergeben.
Geringe Lebenserwartung
Bei einem späteren Besuch habe ich mich zum Mittagessen mit unserem Ansprechpartner in der Marketingabteilung getroffen. Dieser erzählte mir vom "Schleuderstuhl Teamleiter". Bei fünf Gruppen gibt es natürlich fünf Teamleiter. Keiner der bestehenden Teamleiter war schon länger als zehn Monate auf seiner neuen Position. Die durchschnittliche "Lebenserwartung" lag hier bei etwa 4,5 Monaten.
Der Grund dafür: Frank & Walter verkaufte sämtliche Forderungen sofort bei Auslieferung an eine Factoring-Bank, die für jeden Kunden Limits festlegte und auch Kunden im System sperrte. Ein Teamleiter konnte mittels eines Passwortes jeden von der Factoring-Bank gesperrten Kunden manuell wieder freischalten.
Da die Mitarbeiter alle margenabhängig bezahlt wurden, war das Interesse sehr groß, die "Pleitehändler" zu beliefern. Diese akzeptierten fast jeden Preis, da sie sowieso nicht zahlen konnten. Insofern gingen die Mitarbeiter mit einem kleinen "Problemfall" zu Ihrem Teamleiter: zum Beispiel, wenn der Händler gerade gesperrt war, aber noch eine Kleinigkeit für zirka 100 DM bekommen sollte.
Der Teamleiter gibt sein Passwort ein, schaltet den Kunden frei, und schon war es passiert: Der Mitarbeiter hatte nur Augen für die Passworteingabe und konnte dann mittels dieses Passworts jeden nur erdenklichen Kunden freischalten. Alle Pleitegeier wurden angerufen und Aufträge mit horrenden Margen gefahren. Letztendlich war der Teamleiter immer das schwache Glied in der Kette, und sein Kopf rollte dann. Obwohl jeder das Problem bei Frank & Walter kannte, wurde nicht wirklich an der Problembehebung gearbeitet, so der Marketingmitarbeiter weiter.
Bei unserem netten Mittagessen haben wir dann die Problematik auf die Fußballbundesliga übertragen: Dort wird auch nie die ganze Mannschaft rausgeschmissen, sondern lediglich der Trainer wegen Misserfolgs entlassen. Der nächste kommt und das Spielchen geht von vorne los.
In der IT-Branche habe ich nachher in anderen Unternehmen auch immer wieder "Schleuderstühle" kennen gelernt, aber die "Halbwertszeit" der Teamleiter im Vertrieb von Frank & Walter war schon extrem ungewöhnlich (wie fast alles). Irgendwie schade, dass F&W nur noch Geschichte ist ...
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