"Preisdruck ist wirklich das Letzte, was der Markt heute braucht"

07.08.2003
Die flaue Absatzlage setzt die Distributionslandschaft massiv unter Druck: Insolvenzen und zunehmender Verdrängungswettbewerb prägen das Bild. Über das Hauen und Stechen unter den Broadlinern, Perspektiven für das zweite Halbjahr 2003 und wie es ist, vom Jäger zum Gejagten aufzusteigen, sprachen Michael Kaack, Vorsitzender der Ingram Micro AG, und Gerhard Schulz, Sprecher der Geschäftsführung, mit den ComputerPartner-Redakteuren Cornelia Hefer und Damian Sicking.

Herr Kaack, wie lebt es sich als Nummer 1 der deutschen Distributionsszene?

Kaack: Als Nummer 1 lebt es sich genauso schwer, wie als Nummer 2 oder 3. Man muss ständig dafür arbeiten, diese Position zu halten. Wir haben uns nicht wirklich auf einen Kampf eingelassen, um die Nummer 1 in Deutschland zu werden, sondern einfach permanent die Prozesse verbessert und unser Dienstleistungsangebot den Bedürfnissen der Händler angepasst.

Herr Schulz, war es so einfach, wie es sich jetzt anhört?

Schulz: Einerseits arbeiten wir seit über zwei Jahren an der internen Prozessoptimierung, andererseits haben wir konstant in unsere Mitarbeiter investiert. Unsere Mannschaft ist dabei stabil geblieben und damit auch die Kontakte zu den Lieferanten sowie die Ansprechpartner für die Händler. Mit Ausnahme unseres neuen Director-Consumer-Channel Peter Silberhorn hatten wir im mittleren Management keine Veränderungen. Davon profitieren wir heute. Ingram Micro ist mit klarem Abstand die Nummer 1 im deutschen Markt und doppelt so groß wie unser nächster Wettbewerber. Dafür sind wir jetzt natürlich Zielscheibe aller Wettbewerbsstrategien. Dennoch haben wir bisher keine Marktanteile verloren und sind nach wie vor profitabel.

Wenn man ganz oben steht, besteht die Gefahr, dass man sich selbst - und die eigenen Mitarbeiter - auf den erarbeiteten Lorbeeren ausruht. Wie verhindern Sie das?

Schulz: Konstant die Organisation in Bewegung halten und die Strukturen beziehungsweise Prozesse laufend optimieren. Außerdem müssen wir zunehmend den Projektgedanken in unserer Unternehmenskultur verankern. Damit meine ich, die Bereitschaft unserer Mitarbeiter, sich schnell und flexibel in Projekten außerhalb ihrer üblichen Tätigkeiten zu engagieren. Das ermöglicht es uns, neue Geschäftspotenziale aus unserer Organisation zu realisieren, ohne das bestehende Geschäft zu belasten. Das kann nur in einem Unternehmen funktionieren, das mit einem hohen Maß an Kontinuität in der Personalpolitik arbeitet.

Was heißt das konkret?

Schulz: In einem sich laufend verändernden Markt muss man sich diesen Veränderungen anpassen. Partner gehen in neue Geschäftsfelder, tätigen Akquisitionen oder melden im ungünstigsten Fall sogar Insolvenz an - die Absatzlandschaft ist permanent in Bewegung. Und durch diese Veränderungen ergeben sich für uns eben auch neue Geschäftschancen. Besonders die Insolvenz eines Wettbewerbers setzt Potenziale frei, auf die schnell und effizient eingegangen werden muss. Denn nur wer darauf flexibel reagieren kann, ist am Ende der Gewinner.

Kaack: Allerdings möchte ich ergänzen, dass wir bereits im Jahr 2000 mit der Kostenproblematik konfrontiert wurden. In Folge dessen haben wir konsolidiert: acht Lager zusammengeführt, die Sales-Organisationen restrukturiert und fokussiert sowie Niederlassungen und Bereiche zusammengeführt. Wir haben nie Stellenabbau betrieben, sondern immer daran gearbeitet, wie wir bestehendes Personal in neuen Geschäftsfeldern einsetzen können.

Einer Ihrer größten Wettbewerber, Tech Data, rüstet zum Angriff. Stichworte sind dabei: Neuausrichtung, aggressive Preispolitik, SMB-Offensive. Was halten Sie davon?

Kaack: Ich habe dazu nur eine grundsätzliche Antwort an alle Mitbewerber, die heute noch so vorgehen: In einem stagnierenden Marktumfeld ist es die denkbar einfallsloseste Methode, mit Preissenkungen zu agieren. Der Kunde kauft ja aus dem Grunde nicht, weil ihm die Preise zu hoch sind, sondern weil er gar nicht kaufen will. Der Konsumwille ist einfach nicht da. Die Preise zu reduzieren, kurbelt die Nachfrage nicht an, sondern ist nur eine Margenvernichtung für alle Beteiligten und führt zu Kostenunterdeckung bei Herstellern, Handel und Distribution.

Schulz: Es ist ein sehr ambitioniertes Ziel, das Herr Dürst (Vice President Zentraleuropa bei Tech Data, Anmerkung der Redaktion) da formuliert hat. Zum einen müsste er dafür ein mehr als 100-prozentiges Wachstum hinlegen. Zum anderen sind die Mittel, die er anwendet, um Marktanteile zu erobern - wie zum Beispiel Preiskämpfe oder Bestpreisgarantien - dazu ungeeignet. Diese Maßnahmen gehen am Markt vorbei. Wir haben aufgrund der Aktionen von Tech Data keinerlei relevanten Marktanteile verloren. Diese Aktionen, die jetzt seit zehn Wochen anhalten, haben nur Marge und Profit vernichtet. Außerdem hat die Distribution, als Vertriebspartner der Hersteller, auch eine Verantwortung gegenüber ihren Lieferanten. Wenn ich also in einer angespannten Marktsituation wie heute mit Bundles in den Markt gehe und dabei spezifische Produkte eines Herstellers verschenke, erwecke ich beim Handel und beim Endkunden einen falschen Eindruck: Nämlich den, dass auf der Anbieterseite noch ein erhebliches Margenpotenzial exsistiert. Was ja nicht der Fall ist. Und das führt zu einem Vertrauensverlust des Händlers gegenüber den Herstellern. Das tut dem Gesamtmarkt nicht gut.

Wie reagieren Sie auf Aktionen wie "Bestpreisgarantie" aus der Baierbrunnerstraße?

Kaack: Für mich ist das ein Geschäftsmodell von gestern. In den Boomzeiten haben wir solche Aktionen - in Absprache mit den Herstellern - auch durchgeführt. Aber da haben die Margen solche Angebote noch gerechtfertigt. Heute will der Händler eigentlich keine Schnäppchen. Seine Anforderungen gehen in eine andere Richtung: Wettbewerbsfähige Preise, Komplettlieferungen, ein bedienerfreundliches E-Commerce-System, zeitgerechte Belieferung, gute Erreichbarkeit und angemessene Zahlungsziele. Preisdruck ist wirklich das Letzte, was der Markt in einer solchen Situation noch braucht.

Aber alleine aufgrund der Wettbewerbsvorlagen müssen Sie bei bestimmten Preispunkten doch mitgehen.

Schulz: Auf die Bundle-Angebote und Bestpreisgarantien reagieren wir gar nicht. Aber wir stellen sicher, dass wir mit einem wettbewerbsfähigen Konditionsgefüge am Markt agieren.

Auf der diesjährigen Cebit hat Tech Data seine SMB-Offensive Tech Select vorgestellt. Das SMB-Segment war immer das Stammgeschäft von Ingram Micro. Machen Sie sich Sorgen?

Schulz: Tech Data definiert das SMB-Segment anders als wir. Es gibt in Deutschland nur 2.000 Händler, die mehr als 500.000 Euro Beschaffungspotenzial bei der Distribution haben. Soweit ich aus der Presse weiß, legt Tech Data den Distributionsumsatz seiner SMB-Kunden aber zwischen 500.000 und 5 Millionen Euro fest. Diese Kunden erfahren bei Ingram Micro eine umfassend direkte Betreuung, bestehend aus Innen- und Außendienst sowie Customer-Service. Kunden unterhalb eines Beschaffungspotenzials von 500.000 Euro pro Jahr definieren wir als SMB. Und davon gibt es mehr als 20.000 Händler bei uns.

Ihre Definition sieht anders aus: Händler, deren gesamter Distributionsumsatz kleiner als 350.000 Euro im Jahr ist, bezeichnen Sie als SMB-Kunden?

Schulz: Richtig.

Die GfK-Distributionsstudie 2002 hat einen interessanten Trend ausgemacht: Der Handel sei seinen Haus- und Hof-Distributoren gegenüber wesentlich loyaler als in den Vorjahren. Der Preis alleine scheint nicht mehr der bestimmende Entscheidungsfaktor für oder gegen einen Lieferanten zu sein. Sehen Sie das auch so?

Schulz: Ja, wir beobachten eine zunehmende Loyalität der Händler gegenüber Ingram Micro. Die Kunden wissen ein konstantes Leistungsspektrum wie gute Verfügbarkeit, wettbewerbsfähige Preise oder nachhaltige Servicequalität zu schätzen. Außerdem gibt es eine zunehmende Offenheit zwischen Lieferant und Händler durch das ganze Finanzierungsthema wie Basel II oder die restriktivere Strategie der Kreditversicherer. Das legt eine offenere und loyalere Zusammenarbeit nahe.

Das Jahr 2003 ist für die IT-Branche bisher sicher eins der härtesten: Absatzeinbrüche, Pleitewelle und eine starke Verunsicherung, was die kommenden Monate betrifft. Wie schätzen Sie die Lage ein?

Kaack: Was Sie da aufzeigen, betrifft ja nicht nur die IT-Branche, sondern die gesamte Wirtschaft. Es gibt derzeit in Deutschland kaum eine Branche, die nicht unter der Konsumflaute leidet. Die Konsequenz für unsere Branche ist klar: Konsolidierung. Aber man muss Konsolidierung auch immer als Chance sehen und wir profitieren davon derzeit ganz klar. Schließlich haben in den vergangenen Wochen auch einige Distributoren Insolvenz anmelden müssen.

Und wie laufen die Geschäfte bei Ihnen?

Schulz: Wir gehen davon aus, dass wir unsere Planung in diesem Jahr erfüllen können.

Und wie gehen die verschiedenen Produktsegmente?

Kaack: Insgesamt kann man sagen: je größer die Bandbreite des Portfolios, desto stabiler der Absatz. Wichtig ist derzeit also eine breit aufgestellte, stabile Beschaffungsbasis. Und das ist unsere Kernkompetenz in der Distribution. Ein gutes Beispiel war dafür in den vergangenen Monaten der Komponentenbereich. Hier haben wir auf einmal - noch dazu im relativ schwierigen Monat Juni - solide Umsätze erzielt und damit schwächere Bereiche ausgleichen können.

Wie schlagen sich denn die Ingram-Micro-Tochterunternehmen IM-Games und Compu-Shack?

Kaack: IM-Games ist in einem schwierigen Marktumfeld positioniert. An der Endkundenfront merkt man die Konsumschwäche zuerst. Wir sehen dort noch nicht das Wachstum, das wir uns vorgestellt haben, aber im gesamten Spielemarkt konnten wir Marktanteile gewinnen. Compu-Shack ist damit konfrontiert, dass auch das Projektgeschäft sehr schwach ist. Dennoch liegt Compu-Shack im Plan. Allerdings muss man dazu sagen, dass das Hauptwachstum aus einer Vergrößerung des Sortiments resultiert und nicht aus dem bestehenden Alltagsgeschäft. Denn hier gibt der Markt derzeit nicht viel her.

Tech Data hat Anfang des Jahres den europaweit aufgestellten Netzwerkdistributor Azlan für viel Geld gekauft. Wie wird Ingram Micro darauf reagieren?

Kaack: Meine erste Reaktion war Erstaunen, dass man für eine solche Übernahme so viel Geld ausgeben kann. Auch Ingram Micro hat im Rahmen von Networking Services, Ingrams europäischer Netzwerkorganisation, für die ich verantwortlich bin, zu vernünftigen Preisen in Europa Akquisitionen getätigt: zum Beispiel in Holland, in England, in Belgien und zuletzt in Frankreich. Damit sind wir im Highend-Networking-Geschäft gut aufgestellt. Generell achten wir bei unseren Akquisitionen darauf, dass der Return on Investment gesichert ist.

Wagen Sie doch mal den Blick in die Glaskugel: Wie wird denn das diesjährige Jahresendgeschäft?

Schulz: Ich hoffe, dass es anzieht, aber allein mir fehlt der Glaube ... Vielleicht wird die kommende Steuerreform, wenn sich die Parteienlandschaft einigt, ein positives Signal aussenden. Denn das ist einer der wenigen Lichtblicke, die ich derzeit sehe. Die Impulse in Form von technologischen Innovationen oder anderen Faktoren, die den Investitionsstau lösen könnten, sehe ich in diesem Jahr nicht mehr. Vermutlich im nächsten ... Aber wir sind darauf vorbereitet und haben damit gerechnet. Wenn es besser kommt, freuen wir uns. Unsere Organisation ist so aufgestellt, dass sie Wachstum ohne Strukturveränderungen verkraften kann.

Herr Kaack, auf der IM-Top sagten Sie in Ihrer Ansprache, Sie seien für die Zukunftsvisionen des Unternehmens zuständig. Was macht man da so den ganzen Tag?

Kaack: Bevor ich Gerhard Schulz oder den anderen Geschäftsführern den ganzen Tag über die Schulter sehe, kann ich mir ja auch überlegen, was wir in Zukunft noch machen können ... (lacht) Nein, im Ernst, wir arbeiten an Modellen für die zukünftige Ausrichtung des Unternehmens - wie der Verbreiterung des Sortiments und der Analyse neuer Marktchancen. Aber das ist heute noch nicht spruchreif.

Leichter Umsatzrückgang bei steigendem Profit

Ingram Micro Inc. hat vergangene Woche das Ergebnis des zweiten Quartals (Ende 28. Juni) bekannt gegeben. Der Broadliner konnte sein Nettoeinkommen (nach GAAP) um 31 Prozent steigern: von 8,8 Millionen Dollar im Vorjahresquartal auf 11,5 Millionen Dollar. Für das positive Ergebnis dürfte auch der von Ingram Micro im vergangenen Jahr eingeführte Masterplan zur Kostenreduzierung und Profitmaximierung sein. Der weltweite Umsatz des Unternehmens ging dagegen leicht zurück: 5,17 Milliarden Dollar erwirtschaftete Ingram Micro im gerade beendeten Quartal (Vorjahr: 5,35 Milliarden Dollar).

Dabei trug der Absatz nach Angaben des Unternehmens in Nordamerika 50 Prozent zum Umsatz bei, Europa 34 Prozent und Lateinamerika sowie die Region Asia/Pacific 16 Prozent. (ch)

www.ingrammicro.com

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