Vereinheitlichen und zusammenführen. Nichts anderes ist das Ziel von Unified Communications and Collaboration, kurz UCC. Die große treibende Kraft dahinter war in den vergangenen Jahren IP-Technologie, die es ermöglichte, Sprache, Daten und Video einheitlich zu behandeln und in einheitlichen Systemen zu verarbeiten. Der Integrationsaufwand diverser Systeme war allerdings teilweise enorm.
Der Schaden des Fachhandels insgesamt war das nicht - auch wenn viele Firmen aus der TK-Welt in diesem Prozess unter die Räder kamen, weil sie sich nicht vorstellen konnten, welche Auswirkungen die technischen Veränderungen haben, oder sich nicht anpassen wollten oder konnten.
Mit dem Thema Cloud wird es sich allen Vorbehalten zum Trotz am Ende ähnlich verhalten. Das liegt auch daran, dass gerade bei einem so vielfältigen Thema wie Kommunikation und Collaboration Cloud-Dienste als zentrale Anlaufstelle aus Sicht der Anwender viele Vorteile versprechen.
Andererseits wird sich der Wandel nicht so schnell vollziehen, wie ihn manche Vertreter der Cloud-Angebote herbei-reden wollen. Denn letztlich kann das Bereitstellungsmodell Cloud für den Anbieter und dessen Geschäftsmodell entscheidend sein. Anwenderunternehmen sollten sich aber nicht durch ein neues Kleid blenden und Reseller dadurch nicht er-schrecken lassen. Entscheidend sind schließlich die Nutzungsmöglichkeiten. Und auf die gilt es in der Diskussion dann auch immer wieder hinzuweisen.
UCC-Hersteller setzen auf die Cloud
Karl-Heinz Schoo, Business-Unit-Leiter UCC bei Also Deutschland, gibt dennoch zu bedenken: "Viele UCC-Vorteile werden erst durch einen Cloud-Dienst attraktiv, zum Beispiel eine einfache, standortübergreifende Zusammenarbeit, bei der Desktop Sharing oder einfaches Teilen von Informationen und Dateien in Echtzeit ermöglicht wird."
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Außerdem üben die Hersteller Druck auf den Markt aus: "Immer mehr UCC-Hersteller vermarkten ihre neuen Entwicklungen inzwischen primär in Form von Cloud-Services. Die meisten neuen Produkte kommen überhaupt nicht mehr oder nur in massiv abgespeckten Versionen als On-Premise-Lösung auf den Markt", hat Guido Nickenig, Senior Director Presales bei Westcon Collaboration, beobachtet. "Das ist ein von den Herstellern angestoßener Trend, dem die Distribution, der Channel und die Endkunden folgen müssen, wenn sie auch in Zukunft von neuen Technologien profitieren wollen."
"Ich sehe es nicht als zwingend an, aber ganz sicher bietet die Cloud große Vorteile für den Einsatz von modernen UCC-Lösungen. Der Administrationswand ist geringer und die Systeme sind deutlich flexibler", schränkt Oliver Hemann, Mitglied der Geschäftsleitung bei Michael Telecom, ein.
Jürgen Walch, Leiter des Teams ITK-Systeme bei Herweck, widerspricht noch etwas deutlicher: "Die Vorteile von UCC kommen zum Tragen, wenn Kommunikationswege gebündelt und übergreifend einheitlich präsentiert werden. Dabei spielt es keine Rolle, wo diese Zusammenführung stattfindet. Der Aufwand der Implementierung kann in der Cloud geringer sein. Und es kann Endkunden geben, bei denen es nicht sinnvoll oder unmöglich ist, UCC on Premise bereitzustellen."
Für Steffen Ebner, Vertriebsvorstand B2B bei Komsa, hat das Thema zwei Facetten: "UCC als kombinierte Text-, Sprach-, Konferenz- und Videolösungen sowie Desktop- und Filesharing beziehungsweise das gemeinsame Bearbeiten von Dokumenten funktionieren gut auch als On-Premise-Lösung. Viele unserer Systemhaus- und Fachhandelspartner vermarkten und installieren solche Lösungen bei Unternehmenskunden auch unabhängig von einer eingebundenen Cloud-Lösung. Technisch kann jedoch eine Cloud-Lösung in einzelnen Projekten Vorteile bei Skalierung und Verfügbarkeit bringen."
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Die Erfahrung vieler Komsa-Partner zeige aber auch, dass das Geschäft mit UCC-Lösungen nicht an der Cloud-Frage hängt, sondern vielmehr mit der Möglichkeit zur Individualisierung steht oder fällt. Ebner weiter: "Standardisierte Angebote werden selten nachgefragt. Sie helfen, den Einstieg zu finden. Am Ende ist es aber in der Regel eine individuell konfigurierte Lösung."
Überlebensstrategien für UCC-Reseller
Letztendlich deutet sich also eine lange, aber schließlich wohl unvermeidliche Übergangsphase an. An deren Ende werden nicht alle Dienste im Bereich UCC aus der Cloud kommen, aber viele. Es bietet sich daher an, nach Möglichkeit die Betreuung interner Systeme weiterhin anzubieten, aber auch Möglichkeiten zu er-schließen, um von der zunehmenden Cloud-Nutzung zu profitieren.
"Der hier stattfindende Wandel bietet in erster Linie die Chance auf Erschließung neuer Geschäftsfelder für Reseller. Wir unterstützen aktiv die Entscheidungsfindung zur idealen Lösung für unsere Partner, indem wir Demo-Umgebungen im hauseigenen Showroom zeigen oder mit Teststellungen unterstützen. Reseller haben hier die Möglichkeit, die Vorteile wiederkehrender Umsätze und einfacher Integrationsprozesse direkt zu erleben", erklärt Martin Hümmecke, Director Specialty Solutions bei Ingram Micro.
Damit ist der Broadliner nicht alleine. Auch andere Grossisten haben bereits Möglichkeiten geschaffen, damit ihre Kunden - teilweise auch zusammen mit Anwenderunternehmen - sich von den auf dem Papier nur schwer vermittelbaren Vorteilen von UCC-Lösungen im Austausch mit Experten vor Ort und unter realen Bedingungen überzeugen können.
"Anbieter, die bisher nur auf Hardware gesetzt haben, bekommen durch die Integration aller Kommunikationsmittel auf einer Plattform die Möglichkeit, auch zusätzliche Dienste zu vermarkten und den Kunden umfänglicher zu beraten und zu bedienen", meint Tobyas Meyer, Key Account Manager Netzvermarktung, bei ENO.
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"Der klassische TK-Anlagen-Handel hat nun die Möglichkeit, zum Beispiel auch Handytarife anzubieten, da diese in die Festnetztelefonie integriert werden. Er bindet den Kunden enger und hat sein Portfolio erweitert." ENO unterstützt Partner dabei mit Schulungen, im Vertrieb vor Ort und mit personalisierter Werbung. Auch das sind gute und wichtige Services, die aber auch andere für sich entdeckt haben.
2019 wird richtig rechnen wichtig
Westcon-Experte Nickenig empfiehlt klassischen Resellern, die bis jetzt ausschließlich mit On-Premise-Lösungen unterwegs sind, umzudenken und ihr Geschäft in weiten Teilen neu auszurichten. Die eigenen Kunden hätten das meist schon ge-schafft "Die meisten unserer Partner machen einen ansehnlichen Teil ihres Umsatzes mit der Konfiguration, der Integration und der Provisionierung der Endgeräte - und das bleibt in Zeiten der Cloud so aufwendig wie eh und je."
Vielleicht wird der diesbezügliche Aufwand sogar größer: "In vielen Büros finden sich heute vier oder fünf Endgeräte auf jedem Schreibtisch: ein Desktop-Telefon, ein DECT-Headset, ein Bluetooth-Headset, ein Smartphone und vielleicht sogar noch ein Softphone auf dem Notebook", gibt Nickenig zu bedenken. "Von daher hat der TK-Channel durch den Schwenk auf integrierte UCC-Lösungen heute eher zu viel als zu wenig zu tun. Wir als VAD verzeichnen jedenfalls eine rasant steigende Nachfrage nach Staging-, Konfigurations- und Kommissionierungsservices, mit denen wir die Partner entlasten können."
Für das kommende Jahr sehen die Distributoren gleich mehrere wichtige Aufgaben auf ihre Kunden zukommen. Ganz abgeschlossen sein wird die Umstellung auf All-IP auch 2019 noch nicht (siehe Seite 12). Damit ist zumindest nicht zu befürchten, dass die dadurch bedingte gute Auftragslage plötzlich einbricht. Freiräume sollte man nach Ansicht von Oliver Hemann von Michael Telecom nutzen, um sich mit neuen Formen der Wertschöpfung und sich ändernden Abrechnungsmodellen vertraut zu machen.