Stellen Sie sich vor, sie seien nicht mehr ganz jung und steckten ziemlich in Schwierigkeiten, weil in ihrem erlernten Beruf viele kräftige junge Menschen mit tollen Ideen und großen Enthusiasmus den Konkurrenzdruck im Markt erhöhen. Die einzige Möglichkeit wäre es, mit dem Vorteil der Erfahrung und dem trotz einiger schlimmer Sünden in der Vergangenheit immerhin noch bekannten Namen hart zuzupacken und sich durch ehrliche Arbeit aus den Schwierigkeiten zu befreien. Sie haben gerade damit angefangen, da kommt ein Fremder und bietet Ihnen ein verlockendes Sümmchen für Ihren rechten Arm. Kurzentschlossen nehmen Sie das Angebot an und hacken sich den Arm ab.
Klingt komisch? Ist aber gerade so bei McAfee passiert.
Hat man im sonnigen San José nicht mitbekommen, dass im nüchterneren, kälteren und berechnenderen Redmond, rund 1.300 Kilometer weiter nördlich, ein bekannter Betriebssystemanbieter die ständigen Vorwürfe wegen mangelnder Sicherheit leid war und sich inzwischen zum Anbieter einer veritablen Sicherheits-Software für seine Kunden gemausert hat? Zugegeben: "Microsoft Defender" beschränkt sich vor allem auf eine Art Grundschutz. Dennoch, daneben wird es auf auf Windows-PCs und -Notebooks eng. Zwar gibt es auch für Verbraucher immer noch Gründe, unter Windows ein zusätzliches Security-Produkt zu installieren, aber der Nutzen von Zusatzprodukten ist im gewerblichen Umfeld deutlich höher.
Doch genau da will McAfee jetzt nicht mehr mitspielen. Das Unternehmen will sich stattdessen ganz auf Cybersecurity für Verbraucher konzentrieren. Der 2020 kurz nach dem mäßig erfolgreichen, erneuten Börsengang neu aufgestellte und auf Cloud- und SaaS getrimmte Business-Bereich wird für vier Milliarden Dollar verkauft. Käufer ist die Symphony Technology Group (STG). Die ließ 2020 im Security-Bereich aufhorchen, weil sie im Frühjahr Dell für 2,075 Milliarden Dollar RSA Security abkaufte und es dann im Herbst 2020 als eigenständiges Unternehmen in den Markt schickte.
Zukunftsszenarien für die Business-Sparte von McAfee
Was STG mit der besseren Hälfte von McAfee vor hat, ist noch unklar. Aus beiden einen breit aufgestellten Security-Bauchladen zu machen, halten Beobachter mit Blick auf die Historie von McAfee und das Scheitern von Symantec in diesem Bemühen für wenig erfolgversprechend.
STG könnte auch die Filetstücke - etwa das im Januar 2018 mit Skyhigh Networks erworbene CASB-Angebot und den Bereich Intrusion Prevention - verkaufen und den Rest so lange auf Sparflamme weiterführen, wie er noch Gewinn abwirft. Alternativ könnte der Bereich künftig unter neuem Namen als eigenständiges Unternehmen am Markt auftreten.
Fehlen würde ihm allerdings der gerade von den großen, etablierten Security-Anbietern in den vergangenen Jahren immer wieder beschworene umfassende Einblick in die weltweite Bedrohungslage aufgrund der Präsenz auf Millionen von PCs bei Endanwendern. Ob der künftig noch so wichtig ist, darüber darf diskutiert werden: Da die Erkennung von Signaturen zunehmend in den Hintergrund tritt, kann vielleicht darauf verzichtet werden. Allerdings werden eben genau die Hersteller, die diesen Einblick noch haben, jenes Argument auch weiterhin ins Feld führen.
Partner gucken wieder mal in die Röhre
Enttäuschend ist die neue Wendung auch für die Vertriebspartner. Bei ihnen hatte sich angesichts der wechselhaften Strategie ohnehin schon Unmut breit gemacht. So spielte McAfee bei den von ChannelPartner in Zusammenarbeit mit Context vergebenen Channel Excellence Awards im Bereich Security-Software weder 2020 noch 2021 eine Rolle. Auch bei der anerkannten, europaweiten Erhebung zur Channel-Performance von Security-Herstellern von Canalys rangierte McAfee zuletzt - lediglich vor IBM und Symantec - auf dem drittletzten Platz.
Immerhin hatten die McAfee-Partner nach diversen Kündigungsrunden und eher müden Durchhalteparolen nach der beendeten Babylonischen Gefangenschaft bei Intel und nach McAfees Börsengang im Spätherbst 2020 bei der Partnerkonferenz erstmals wieder ermutigende Signale bekommen. Die waren nicht zuletzt den im Mai 2020 angeheuerten Managerinnen Kathleen Curry und Lynne Doherty zu verdanken. Sie kamen von Apple respektive Cisco und sollten den Vertrieb von McAfee modernisieren.
Zudem wurde das durch Zukäufe aufgeblähte Portfolio auch auf Wunsch der Partner stark vereinfacht und auf die Bereitstellung im SaaS-Modell und auf die Nutzung im Zuge von Managed Services getrimmt. In Deutschland sollten die neuen Angebote über den Marktplatz des Distributionspartners Ingram Micro ab der zweiten Hälfte des Jahres 2020 verfügbar sein. Von der Umstellung von Jahres- auf Monatsabonnements und der flexiblen Abrechnung hatten sich sowohl der Hersteller als auch seine Partner einiges versprochen. Erfahrungsgemäß dürften sich alle diese angestoßenen Initiativen durch die Restrukturierung jetzt deutlich verschieben. McAfee ebenso wie die neue Business-Sparte verlieren dadurch gegenüber dem Mitbewerb weiter an Boden.
Das Kartenhaus fällt zusammen
Während die letzten treuen Kunden und Partner des gebeutelten Unternehmens also weiter im Unklaren bleiben, wissen die Aktionäre, woran sie sind: Mit dem Erlös von vier Milliarden für die Business-Sparte zahlt McAfee Schulden in Höhe von etwas über einer Milliarde Dollar und einige andere Altlasten ab. Der Großteil des Erlöses wird an die Aktionäre ausgeschüttet: Sie bekommen 4,50 Dollar je Anteilsschein. Das freut auch die Investoren TPG und Thoma Bravo, die sich die abgewirtschaftete Security-Sparte 2017 von Intel für 4,2 Milliarden Dollar andrehen ließen. Und Intel, das noch mit 49 Prozent an dem Unternehmen beteiligt ist, kann den Geldsegen derzeit ebenfalls gut gebrauchen.
Was die Consumer-Sparte alleine noch wert ist, kann sich jeder selbst leicht ausrechnen: Zum IPO im Oktober 2020 wurde McAfee mit 8,6 Milliarden Dollar bewertet - und hatte damals 4,8 Milliarden Dollar Schulden. Der IPO brachte 740 Millionen Dollar ein. Mit dem Teil der Dividende, die McAfee selbst zugute kommt, sind also gerade einmal die Schulden bezahlt. In einem zunehmend von kostenlosen Angeboten bestimmten Marktumfeld wird es mit dieser Ausgangsbasis nicht einfach.
Kleine Pointe am Schluß: 2014 stieß der damalige Intel-CEO Brian Krzanich am Rande der Consumer Electronics Show (CES) in Las Vegas der Marke McAfee zumindest im Bereich Consumer-Security das Messer in den Rücken, als er eher beiläufig die Namensänderung von McAfee Security zu Intel Security ankündigte.
Es war damals ein offenes Geheimnis, dass Intel mit dem Namen des zugegebenermaßen "etwas exzentrischen" Gründers John McAfee nicht mehr in Verbindung gebracht werden wollte. Noch weniger hilfreich fürs Geschäft mit Privatkunden dürfte allerdings die als aufdringlich empfundene Strategie der auf PCs vorinstallierten, zeitlich eng begrenzten Security-Produkte gewesen sein. Aber auch das hat McAfee nicht begriffen: Erst kürzlich wurde eine entsprechende Vereinbarung mit Asus erneuert.
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