Es ist der größte Deal in IBMs Firmengeschichte. Der IT-Pionier hat angekündigt, den Linux-Spezialisten Red Hat für rund 34 Milliarden Dollar übernehmen zu wollen. IBM will sämtliche Aktien von Red Hat aufkaufen und bietet den Anteilseignern 190 Dollar je Papier in bar. Das entspricht einem Aufschlag von mehr als 60 Prozent. Am Freitag vor Bekanntgabe der Kaufabsichten hatte sich die Aktie von Red Hat mit einem Kurs von fast 117 Dollar aus dem Handelstag verabschiedet. Der Deal soll im zweiten Halbjahr 2019 abgeschlossen werden.
Ginni Rometty, Chairman, President und CEO von IBM, bezeichnete das Geschäft als einen Game-Changer. "Das verändert alles rund um den Cloud-Markt." Red Hat soll Teil von IBMs Hybrid-Cloud-Sparte werden. Mit der Akquisition werde IBM die Nummer eins im Geschäft der Hybrid-Cloud-Provider, behauptete die IBM-Chefin. Ihrer Einschätzung zufolge haben die meisten Unternehmen erst ein Fünftel ihrer Cloud-Reise zurückgelegt, wobei es bis dato vorrangig darum gegangen sei, Infrastruktur-Ressourcen wie Compute-Power und Storage im Netz zu mieten, um Kosten zu sparen. Die nächsten vier Fünftel würden sich darum drehen, Mehrwert für das Business zu generieren.
Mit dem Kauf von Red Hat hoffen die Armonker, sich im künftigen Cloud-Geschäft möglichst gut zu positionieren. IBM unterstützt bereits seit Jahren Linux auf seinen eigenen Power-Rechnern und den Mainframes - neben zOS und seinem Unix-Derivat AIX. Bereits im Jahr 2000 hatte IBM eine breit angelegte Initiative zur Linux-Unterstützung gestartet. Vor allem die Ankündigung, eine Milliarde Dollar investieren zu wollen, um das Open-Source-Betriebssystem auf den eigenen Rechnerplattformen zu unterstützen, hatte damals für Schlagzeilen gesorgt.
"Übernahme ist eine Evolution"
Rometty nannte die Übernahme von Red Hat eine Evolution und damit eine logische Weiterentwicklung der langjährigen Beziehungen. IBM arbeitet seit etwa 20 Jahren eng mit dem Linux-Spezialisten zusammen. Das 1993 gegründete, in Raleigh, North Carolina, beheimatete Unternehmen konzentriert sich seit 2003 ausschließlich auf Business-Kunden. Dreh- und Angelpunkt seines Business ist die auf den Server-Betrieb ausgelegte Distribution "Red Hat Enterprise Linux" (RHEL).
Darüber hinaus haben die Red-Hat-Verantwortlichen im Laufe der Jahre ihr Portfolio kontinuierlich ausgebaut. Mit der Übernahme von JBoss im Jahr 2006 kamen verschiedene Middleware-Komponenten hinzu. Außerdem entwickelte der Anbieter eigene Lösungen rund um Virtualisierung und das Management von Linux-basierten Infrastrukturen - On-premise wie in der Cloud. Zuletzt hatte der Linux-Spezialist seine Entwicklungen rund um Automatisierungs-Tools sowie Container-Techniken wie Kubernetes forciert.
Red Hat soll eigenständig weitermachen
Red Hat soll weitgehend eigenständig innerhalb des IBM-Kosmos weiterarbeiten können, beteuerte Rometty. Man werde die Verpflichtungen und Beteiligungen Red Hats innerhalb der weltweiten Open-Source-Community respektieren und auch in Zukunft weiter ernst nehmen. Darüber hinaus werde man auch in Zukunft seinen Teil dazu beitragen, das Open-Source-Betriebssystem weiterzuentwickeln. Außerdem wolle man gemeinsam die Partnerschaften, die Red Hat mit anderen großen Cloud-Anbietern aufgebaut hat, beispielsweise mit Amazon Web Services (AWS), Microsoft, Google und Alibaba, weiter pflegen und ausbauen.
Die Zusammenarbeit mit IBM erlaube es, mit mehr Ressourcen den Einfluss von Open-Source-Software als Grundlage für die digitale Transformation schneller auszubauen und Red Hat einem noch breiteren Publikum zugänglich zu machen, sagte Jim Whitehurst, President und CEO von Red Hat, der das Unternehmen auch künftig leiten soll. Auch sein Management-Team soll weitermachen. Whitehurst, der Red Hat seit 2008 leitet, erhalte darüber hinaus einen Posten im Senior Management Team von IBM und werde dort direkt an Rometty berichten, hieß es.
Die Zeiten, in denen Linux-Anbieter als Nischen-Player, die kein Geld verdienen könnten, belächelt wurden, sind längst vorbei. Red Hat, das seit 1999 an der Börse gelistet ist, liefert schon seit vielen Jahren solide Zahlen. Für sein Fiskaljahr 2018, das Ende Februar 2018 abgeschlossen wurde, berichtete das Unternehmen einen Umsatz von 2,9 Milliarden Dollar - ein Plus von 21 Prozent im Vergleich zum vorangegangenen Jahr. Unter dem Strich stand ein Gewinn von 259 Millionen Dollar, etwas mehr als ein Jahr zuvor (254 Millionen Dollar).
IBM steht unter Druck
Nach schwierigen Jahren, geht es für IBM darum, sich in einem stark verändernden Markt zukunftsfähig zu positionieren. Die zurückliegenden vier bis fünf Jahre waren meist geprägt von rückläufigen beziehungsweise stagnierenden Einnahmen und Gewinnen. Erst Ende vergangenen sowie im ersten Halbjahr 2018 deutete sich mit leicht steigenden Umsätzen eine Trendwende an - wobei der Umsatz im dritten Quartal dieses Jahres im Vergleich zum Vorjahresquartal wieder geschrumpft ist, von 19,2 auf 18,8 Milliarden Dollar.
Der Führungszirkel von IBM hatte stets betont, dass es trotz offensichtlich schwieriger Gesamtgeschäfte vor allem darum gehe, die wichtigen Zukunftssegmente voranzubringen. Dazu zählt neben Analytics und Künstlicher Intelligenz (KI) rund um das Watson-Portfolio, Blockchain und Security vor allem auch das Segment Hybrid Cloud. Dieses will der Konzern nun mit der Übernahme von Red Hat weiter ausbauen. Kunden fragten IBM vor allem nach Lösungen, mit denen sie ihre Daten und Anwendungen über verschiedene Cloud-Infrastrukturen hinweg orchestrieren und managen könnten - ohne einen Vendor-Lock-in, sagte Rometty.
Rennen in der Public Cloud ist für IBM verloren
Die Rechnung könnte aufgehen. "IBM ist es zwar nicht gelungen, mit Amazon, Microsoft und Google im Public-Cloud-Markt Schritt zu halten", stellten die Analysten von Forrester fest. Im Bereich der Cloud-Entwicklungsplattformen und Enterprise Container-Plattformen habe IBM - wie auch Red Hat - in der jüngeren Vergangenheit jedoch gut abgeschnitten. Mit der Übernahme von Red Hat würde IBM Forrester zufolge über eine führende Kubernetes- und Container-basierte Cloud-native Entwicklungsplattform sowie ein viel breiteres Portfolio an Open-Source-Middleware und Entwicklerwerkzeugen verfügen. "IBM würde damit eine starke Position im Markt für Cloud-Entwicklungsplattformen einnehmen", so das Fazit der Analysten.
Auch für René Büst, Senior Director und Analyst bei Gartner, gibt die Übernahme Sinn. IBM vergrößere damit die Vielfalt in seinem Gesamtportfolio. Das komme vor allem den Enterprise-Kunden zu gute. Für IBM gehe es jetzt darum, sich ihren Platz im Cloud-Markt zu sichern. Gegen die Großen in der Public Cloud wie AWS, Microsoft und Google werde IBM allerdings nicht mehr hinterher kommen. Ob der Deal daher als ein "Game-Changer" einzuordnen sei, wie es die IBM-Verantwortlichen gerne verstanden wissen wollen, ist aus Sicht von Büst fraglich. Dazu komme, dass im künftigen Gesamtportfolio auch noch einige Sortierarbeiten anstehen. Während Red Hat beispielsweise in Sachen PaaS und Container-Plattform auf Open Shift setzt, hatte IBM in seiner Bluemix-Cloud als Plattform-Service Cloud Foundry integriert.
Als eine Herausforderung könnten sich auch die unterschiedlichen Firmenkulturen auf beiden Seiten heraustellen, sagte Jay Lyman, Analyst von 451 Research. Auf der einen Seite der auf Stabilität und Seriosität bedachte Enterprise-Ansatz IBMs, auf der anderen die Entwickler-zentrierte, eher dezentral und auf flache Hierarchien ausgerichtete Strategie von Red Hat. "Das Kulturgefüge wird sicherlich eine Herausforderung sein", prognostiziert der Analyst. Allerdings werde der Deal grundsätzlich auch eine neue Ära für Open-Source-Softwareunternehmen einläuten.
Open Source ist der große Gewinner
Für Peter Ganten, den Vorstandsvorsitzenden der Open Source Business Alliance (OSB Alliance) steht der Gewinner des Deals eindeutig fest. "Dieser Deal bedeutet vor allem einen riesigen Schub für Open Source. Open Source ist in der Mitte der IT angekommen, ist der Standard, wenn man Digitalisierung erfolgreich betreiben will." Dieser Deal zeige dem Markt und seinen Beteiligten, dass ohne Open Source gar nichts mehr geht. Linux habe sich in vergangenen Jahren zunehmend als Plattform für viele Enterprise-Anwendungen etabliert – "eben weil unabhängig und Open Source". Der Deal werde die Entwicklung von und den Einsatz für Linux im Markt eher deutlich stärken, statt Linux zu schwächen.
Befürchtungen, dass IBM den Open-Source-Gedanken hintenan stellt und nur auf seine eigenen Geschäftsinteressen achtet, teilt Ganten nicht. Das Verfolgen von Geschäftsinteressen und Open Source sei kein Widerspruch. Schließlich wolle IBM mit einem solchen Deal erfolgreich zu sein, etwas anders würden schon allein die Aktionäre und Stakeholder nicht akzeptieren. "Ich unterstelle, dass IBMs Plan ist, mit Open Source erfolgreich zu sein, da ein Unternehmen gekauft wurde, das mit Open Source erfolgreich ist."
Allerdings räumt der Open-Source-Verfechter auch ein, dass sich die beiden Unternehmen stark unterscheiden: "Red Hat macht zu 100 Prozent Open Source, IBM hat ebenfalls große Investments in Open Source gesteckt, aber auch in Projekte, die im Wettstreit oder teilweise sogar Widerspruch zu Open Source stehen." Hier werde es innerhalb von IBM noch den ein oder anderen Kampf auszufechten geben. "Ich bin gespannt, wie es ausgeht."
IBM forciert Cloud-Anstrengungen
IBM hat in den zurückliegenden Monaten vor allem die Anstrengungen rund um das eigene Cloud-Portfolio weiter verstärkt. Im Juni kündigte der Konzern 18 neue Verfügbarkeitszonen für sein Public-Cloud-Angebot an. Diese Availability Zones würden in physisch isolierten Rechenzentren betrieben, die über eigene abgeschirmte Infrastrukturen verfügen und laut IBM hohe Bandbreiten und niedrige Latenzzeiten zwischen verschiedenen Regionen garantieren. Kunden sollen in diesen Zonen hochverfügbare, fehlertolerante und skalierbare Anwendungen entwerfen und betreiben können. Dafür steht unter anderem IBMs Container-Variante "Cloud Kubernetes Services" zur Verfügung.
Die Spezialität der IBM liege in der Umsetzung von Hybrid-Cloud-Szenarien, erläuterte Sebastian Krause, Europas General Manager Cloud bei der IBM. Unternehmen wünschten die Anbindung an eine sichere, datenschutzkonforme Public Cloud, die optimal mit ihrer bestehenden Private Cloud zusammenspielen sollte. Hierauf setze IBM seinen Fokus. Darüber hinaus hat IBM jüngst seinen "IBM MultiCloud Manager" vorgestellt. Dieser soll es Unternehmen erleichtern, Daten und Anwendungen über verschiedene Cloud-Infrastrukturen hinweg zu verwalten, zu verschieben und zu integrieren. Der Hersteller verspricht Anwendern damit mehr Transparenz und Kontrolle über ihre IT-Landschaften. Die Lösung ist laut Hersteller für die eigene IBM-Cloud optimiert, integriere aber auch Cloud-Lösungen anderer Anbieter. Auch hier spielt die Container-Technik Kubernetes eine wichtige Rolle.
Red Hat ist das Herz der Cloud
Angesichts der zunehmenden Cloud-Ausrichtung gratuliert man IBM in der Branche zu diesem Mega-Deal. "Das ist genau das, was IBM hätte tun sollen", sagte Salesforce-Gründer und Co-CEO Marc Benioff im US-Fernsehen. Der Manager verwies auf die technische Expertise von Red Hat und deren ausgereiftes Produktportfolio, das auch in der Salesforce-Cloud eine wichtige Rolle spiele. "Red Hat ist das Herz der Cloud und nun in Zukunft das Herz von IBM."