Und Google gibt sich sogar richtig Mühe, das Telefon obsolet zu machen. Natürlich würde das Unternehmen selbst solche Absichten niemals zugeben. Schließlich tut Google gut daran, sich mit den Mobilfunknetzbetreibern gut zu stellen, die Android-Telefone verkaufen und Support für die Geräte leisten.
Allerdings hat der Internet-Gigant sowohl die Geschichte, als auch Ihr Unternehmen auf seiner Seite, wenn er das Telefon - wie wir es kennen - abschaffen will. Denn die Welt, die nach dem Telefon kommt, ist geprägt von qualitativ besserer Sprachkommunikation, höheren Security-Standards und Telefonie-Services, die besser funktionieren als die heutigen Messenger Apps.
Telefon vs. Computer?
Doch was ist ein Smartphone eigentlich? Als der verstorbene Apple-Gründer Steve Jobs das iPhone erstmals der Öffentlichkeit vorstellte, sprach er von drei revolutionären Produkten, die das Apple-Telefon vereinen sollte: den iPod, das Mobiltelefon und ein Internet-fähiges Device.
Diese etwas diffuse Beschreibung des iPhone wird verständlich, wenn man sich daran erinnert, dass zu diesem Zeitpunkt keine Rede vom App Store war. Inzwischen sehen wir in Sachen Smartphone klar: Als Jobs vom iPod und einem Internet-Device sprach, meinte er damit schlicht und einfach Apps. Inzwischen stehen für das Abspielen von Musik und die Kommunikation über das Netz tausende von Applikationen in Apples Store zur Verfügung.
Ein Smartphone besteht also nur aus zwei Aspekten: einem Telefon und einem Computer. Der Telefonie-Part nutzt die Netzwerke der Mobilfunkbetreiber, um Anrufe und Textnachrichten abzuwickeln. Der Computer-Part verfügt über ein Betriebssystem, Apps und die Fähigkeit, sich über ein mobiles Breitband-Netzwerk oder WLAN mit dem Internet zu verbinden.
Und genau so, wie der Computer im Smartphone bereits Digitalkameras, Media Player, Radios, Ebook Reader, Taschenrechner, Sprachrekorder, Scanner, GPS-Systeme, Kompasse, Taschenlampen, mobile Spielkonsolen, Wecker, Adressbücher und viele andere Dinge überflüssig gemacht hat, wird er auch den Telefon-Part Ihres Smartphones erobern.
Am deutlichsten wird die drückende Überlegenheit des Computers im Smartphone, wenn man einen Blick auf die Welt der Messaging-Apps wirft. Diese sind den altbewährten Textnachrichten in vielerlei Hinsicht überlegen. Dazu kommt, dass SMS- und MMS-Nachrichten heutzutage auch über WLAN verschickt werden können - das Mobilfunknetz braucht man dazu nicht mehr.
Der einzige Grund, wieso man heute noch sein Smartphone als Telefon nutzt, ist der, dass die Mobilfunknetze generell zuverlässiger sind und bessere Sprachqualität bieten als die entsprechenden Optionen, die über das Internet laufen. Aber: Es ist nur eine Frage der Zeit, bis dieser technologische Vorsprung geschmolzen ist. Und Google gibt sich größte Mühe, diesen Prozess zu beschleunigen.
Mit "Project Fi" in die Mobilfunk-lose Ära
Bereits 2015 hat Google in den USA "Project Fi" ins Leben gerufen. Damit wurde Google selbst zum Mobilfunk-Anbieter - zumindest virtuell. Der Dienst stellt Kunden ein Paket aus Telefonie, Kurznachrichten und Roaming zur Verfügung (abgerechnet wird nach Nutzung). Die Verbindung läuft über die Netze der Mobilfunkanbieter Sprint und T-Mobile.
Vor kurzem kündigte Google schließlich an, dass "Project Fi" mit der G-Suite kompatibel sein wird. Das ist eine gute Nachricht für kleine Unternehmen oder einzelne Abteilungen - bis zu sechs User können derzeit eingebunden werden. Für Großunternehmen ist das Feature daher derzeit (noch) nicht nutzbar. "Project Fi" fußt dabei auf der Idee, dass Telefone künftig den Netzbetreiber - sowohl bei Telefon-, als auch bei Datenverbindungen - einfach 'switchen' können.
Auch die Entscheidung, ob ein Mobilfunknetzwerk oder VoIP genutzt wird, soll künftig das Smartphone treffen. Funktionieren soll das über eine Kombination aus spezieller Antennenstruktur, SIM-Karte und Software. Diese Ausstattung erklärt auch, warum Google Fi derzeit nur mit Nexus-Geräten und den Pixel-Smartphones funktioniert. Aber auch das soll sich künftig ändern, wie Google auf seinem Fi-Twitter-Konto mitgeteilt hat:
We hear you loud and clear. Keep an eye out for a new Fi-compatible device at a mid-tier price from one of our partners later this year. https://t.co/74U3bq16pa
— Project Fi (@projectfi) 29. Juni 2017
Bei seiner Einführung vor zwei Jahren konnte sich Google Fi eine Reputation als transparenter, flexibler und günstiger Service erarbeiten. Fi-User können sowohl den Service selbst, als auch die Zahlung jederzeit pausieren und/oder fortsetzen. Die Flexibilität hinsichtlich Netzbetreiberwahl und der nahtlose WiFi-Support überzeugten ebenfalls viele User. Darüber hinaus laufen alle Anrufe, die über WLAN geführt werden, zusätzlich über eine sichere VPN-Verbindung. Aber es ist ja nicht so, als wäre die Zeit einfach stehengeblieben: Heutzutage bieten so gut wie alle Mobilfunkbetreiber - zumindest in den USA - ganz ähnliche Tarifoptionen an.
Googles Projekt wirft natürlich auch die Frage auf, warum der Konzern überhaupt zum Netzanbieter werden will - schließlich dreht sich bei Google doch alles um das Internet und nicht um das Telefon. Die Antwort ist klar: Googles Mission ist es, die Kommunikation in ein Post-Telefon-Zeitalter zu überführen.
Für Fi-User bietet Google inzwischen auch bis zu neun kostenlose SIM-Karten für die Datennutzung an. Damit können Laptop, iPad, iPhone und jedes andere Device genutzt werden. Und dank der Fi-SIM können die Geräte Anrufe und Textnachrichten ausschließlich über das Internet versenden - es gibt keinen Zugang mehr zum Mobilfunknetz. Damit sind diese Geräte per Definition Teil jener Post-Telefon-Ära, die Google forciert. Natürlich ist der Internet-Gigant auch dazu in der Lage, über die Nutzung der Fi-SIM-Karten zu analysieren, wie die Kunden Smartphones und Tablets ohne Mobilfunkanbindung nutzen.
Ein weiterer Baustein in Googles Strategie: Künftig sollen SMS und MMS nicht mehr über mobile Netze, sondern über Rich Communication Services (RCS) verschickt werden. Per Twitter kündigte Google Kommunikations-Chef Nick Fox bereits an, dass "Project Fi" demnächst auch RCS unterstützen wird:
Great news! Does that mean that Project Fi user will be able to message each other over RCS as well?
— Michael Brown (@mabrownjr) 1. Juni 2017
Fi ermöglicht Google Tests und Experimente, mit denen man die User langsam aber sicher an eine Welt ohne Mobilfunk "gewöhnen" kann.
Mobilfunk geht, VoLTE kommt
Eine weitere maßgebliche Technologie, die den Weg zu dieser Mobilfunk-freien Zukunft ebnen soll ist Voice over LTE (VoLTE). Diese Technologie testet Google schon eine ganze Weile: Im Februar gab der Konzern bekannt, dass man VoLTE mit einer kleinen Gruppe von Fi-Usern testet.
Bei VoLTE handelt es sich um eine Weiterentwicklung von VoIP über LTE - mit wesentlich besserer Performance. Die Sprachqualität übertrifft die von VoIP bei weitem. Außerdem unterstützt VoLTE unter anderem auch das Streamen von Daten und den Austausch von Dateien.
Neben VoIP über Wifi ist VoLTE also eine weitere Alternative zu den traditionellen Mobilfunknetzen. Dabei wird das Datennetz der Anbieter genutzt. Interessanterweise funktioniert das Konzept von Google Fi mit VoLTE auch besser, als über das Mobilfunknetz. Der Grund dafür: Fi kann zwar Anrufe die über VoIP eingehen, auf das Mobilfunknetzwerk umleiten, aber nicht andersherum. Wenn Sie also einen Anruf bekommen und dann in ein Gebäude mit starkem Wifi-Signal, aber schlechtem Mobilfunk-Empfang kommen, ist der Anruf weg. Im Fall von VoLTE funktioniert die Umleitung in beide Richtungen - ohne Unterbrechung.
Innerhalb der nächsten zwei Jahren dürfte "Project Fi" für Unternehmen aller Größe verfügbar sein - als Kernbestandteil der G-Suite. Für die Kunden bedeutet das High-End-Telefonie - inklusive VoLTE, Wifi, RCS, unlimitierter Datennutzung, globalem Roaming und der Möglichkeit, nahtlos zwischen den Technologien hin- und herzuspringen. Möglicherweise werden die kommenden Project-Fi-Smartphones nur ein Feature vermissen lassen: die Anbindung an ein Mobilfunknetz. In Zukunft werden Smartphones also nur noch Computer sein und keine Telefone mehr - und die gesamte Kommunikation läuft ausschließlich über das Netz.
Die Versprechungen sind vor allem für die Kommunikation in Unternehmen groß: Verbesserte Sprachqualität, IT Security und Programmierbarkeit sollen die Kommunikation im Business auf ein neues Level hieven. Google ist also tatsächlich dabei, Ihr Telefon abzuschaffen - um es durch etwas Besseres zu ersetzen. Fraglich ist, ob das "Bessere" auch beinhaltet, dass der Suchmaschinen-Riese in der Zukunft selbst zum kostengünstigen (nicht mehr nur virtuellen) Netzprovider wird.
Bestrebungen, die Kunden - beziehungsweise Konsumenten - mit größerer Unabhängigkeit gegenüber den traditionellen Mobilfunk-Providern auszustatten, gibt es allerdings nicht nur bei Google. Apple bietet bereits seit einiger Zeit seine eigenen (Daten-)SIM-Karten an. Die ermöglichen es den Kunden, Datentarife verschiedener Provider je nach Bedarf zu buchen. Microsoft hat bereits ähnliche Pläne verlauten lassen. Und dann gibt es ja auch noch die eSIM, die Nutzer ebenfalls unabhängiger von den Mobilfunkriesen machen will. Welcher Ansatz sich am Schluss auch durchsetzt, eines steht fest: Die Demokratisierung des Mobilfunks ist nicht mehr aufzuhalten. (fm)
Dieser Artikel basiert auf einem Beitrag unserer US-Schwesterpublikation computerworld.com.