Die Öffentlichkeit vergisst schnell. Deshalb hier ein kurzer Reminder: Rund 52 Prozent des weltweiten Exporthandelswertes der Chip-Produktion entfallen auf China, Hongkong und Taiwan (522 Milliarden Dollar.) Asiatische Länder insgesamt (darunter vor allem Südkorea und Japan) beanspruchen gemessen am Produktwert 88 Prozent der Gesamtexporte für sich. Da nehmen sich die Zahlen für Deutschland bescheiden aus: Trotzdem ist es mit einem Exportwert von 19,8 Milliarden Dollar in Europa die Nummer eins - vor Irland (11,9 Milliarden), Frankreich (9,8 Milliarden Dollar) und den Niederlanden (5,2 Milliarden Dollar).
Halbleiter werden längst nicht nur in Computern, Smartphones, Tablets oder Kassen- und Kiosksystemen verbaut, sie finden sich auch in nahezu allem, was irgendwie steuerbar ist - vom Smart-TV bis zum Toaster, von der Überwachungskamera am Firmeneingang bis zu Produktionsanlage - und natürlich in Autos.
Abgesehen davon, dass sich die Automobilbranche während der Corona-Krise mit den Bestellungen verzockt hatte, hat sie auch das Problem, dass sie zwar stark von den Chips abhängig ist, viele große Chip-Fertiger aber nicht von ihr. Zum Beispiel war der weltweit größte Halbleiter-Auftragsfertiger TSMC für die Autoindustrie 2021 zufolge mit Abstand der größte Lieferant - aber TSMC erwirtschaftete mit der Autobranche nur drei Prozent seines Umsatzes.
Murphy´s Law hat natürlich ebenfalls zugeschlagen und neben Pandemie und Logistikproblemen ging noch einiges andere schief: In Japan brannte eine Fertigungsanlage von Renesas Electronics und dann kappte ein Schneesturm in Texas die Stromversorgung gleich mehrerer Fabriken. Die Produktion konnte dadurch nicht mehr kontrolliert runtergefahren werden und Produktionsanlagen sowie Infrastruktur der Werke wurden beschädigt.
Halbleiter sind das neue Öl
Weil zusätzlich noch der damalige US-Präsident Donald Trump Sanktionen gegen chinesische Firmen verhängte, denen dabei aber eine Galgenfrist gewährte, knackten die ihr Sparschein und kauften alle Halbleiter und Herstellungsanlage, die sie bekommen konnten. Ironie der Geschichte: Unter anderem Huawei war dadurch im Bereich Datacenter-Infrastruktur später deutlich besser lieferfähig als US-Mitbewerber, die am Chip-Mangel litten und Kunden oft mehrere Monate warten lassen mussten.
In Deutschland entdeckte daraufhin die Politik die Halbleiter. Klar, wenn es dem Auto an den Kragen geht, wacht man hierzulande auf. Der damalige Wirtschaftsminister Peter Altmaier gab im September 2021 das Ziel aus, für mehr technologische Souveränität und weniger Abhängigkeiten solle Europas Marktanteil an der weltweiten Chipproduktion bis 2030 auf 20 Prozent verdoppelt werden. Kurz zuvor hatte die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel erklärt: "Früher galt Öl als Lebenselixier einer Volkswirtschaft, und heute sind wir dringender denn je auf Halbleiter angewiesen". Deutschland und Europa müssten daher auf mehr Souveränität hinarbeiten und zu Asien und den USA aufschließen.
Anlass für Merkels Worte war die Eröffnung einer Chip-Fabrik von Bosch in Dresden. Der Konzern hatte zuvor rund eine Milliarde Euro investiert und startet die Produktion angesichts der Knappheit früher als geplant - konzentrierte sich aber vor allem auf den eigenen Bedarf. Für das Unternehmen war es das zweite Werk. Das erste hatte er 2010 in Reutlingen bei Stuttgart eröffnet. Offenbar hat man in dem Unternehmen die Zeichen der Zeit frühzeitig richtig gedeutet. Denn Volkmar Denner, Vorsitzender der Geschäftsführung sagte zur größten Einzelinvestition in der mehr als 130-jährigen Geschichte der Firma: "Es ist für Bosch von strategischer Bedeutung, Halbleiter als eine Kerntechnologie selbst zu entwickeln und zu fertigen."
Ohne Förderpolitik keine Chip-Fabrik
Die von seinem Vorgänger Altmaier angestoßene Förderpolitik befürwortet auch der aktuelle Wirtschaftsminister Robert Habeck. Für ihn ist "die Frage, ob wir einen Teil der Produktion und damit die Technik und das Wissen und die Menschen, die die Technik und das Wissen beherrschen, hier in Deutschland und in Europa haben, eine Frage der wirtschaftspolitischen Souveränität."
Dass sich vor allem Firmen aus den USA und Asien hier nicht ansiedeln, wenn sie nicht kräftige Zuschüsse bekommen, war da schon klar. Bereits 2021 hatte etwa Intels Deutschland-Chefin Christin Eisenschmid gefordert, dass ein günstiges Umfeld geschaffen werden solle, "das es den Chipherstellern ermöglicht, mit einer Fertigung in Europa wettbewerbsfähig zu sein". In Asien könne um 40 Prozent billiger als in Europa produziert werden - auch wegen erheblicher Subventionen. "Eine ähnliche Förderpolitik ist auch maßgeblich, um in Europa mehr Halbleiter zu fertigen", erklärte Eisenschmid.
Diese Förderpolitik hatte die EU vor 20 Jahren noch harsch gerügt und damals zum Beispiel Hynix mit empfindlichen Strafzöllen belegt. Allerdings hat sich inzwischen einiges geändert - nicht zuletzt, weil die USA im August 2022 ein Förderpaket für die Chip-Branche in Höhe von mehr als 280 Milliarden Dollar beschlossen hat. Das zeigte direkt Wirkung: Micron hatte unter Verweis auf den bevorstehenden Beschluss kurz zuvor angekündigt, bis Ende des Jahrzehnts in mehreren Stufen 40 Milliarden Dollar in den USA zu investieren.
Die in der EU seit 2022 eingeplanten 43 Milliarden Euro für die Chip-Industrie nehmen sich angesichts des US-Pakets fast bescheiden aus - auch wenn man sich daran erinnert, dass 2021 auf dem Höhepunkt der Krise sogar einmal 145 Milliarden Euro im Gespräch waren. Aber offenbar saß der Schock nicht ganz so tief und ist doch wieder abgeklungen.
European Chips Act zeigt Wirkung
Dessen ungeachtet hat der Chips Act unmittelbar Wirkung gezeigt, nachdem er im EU-Parlament verabschiedet wurde. Besonders aktiv zeigte sich bisher Deutschland. Die hierzulande eingeplante Fördersumme von 20 Milliarden Euro soll dem Willen des Bundeskabinetts zufolge dem Klima- und Transformationsfonds (KTF) entnommen werden. Er muss noch zusammen mit dem Bundeshaushalt verabschiedet werden.
In den Plänen des Bundeskabinetts wird die Finanzierung aus dem Transformationsfonds folgendermaßen gerechtfertigt: "Die Mikroelektronik ist Hebel sowie unverzichtbare Grundlage für das Gelingen wichtiger Transformationsprozesse. Halbleiterprodukte stellen eine essentielle Komponente und einen Multiplikator für die Wertschöpfung in nahezu jeder wirtschaftlichen Tätigkeit in Deutschland und Europa dar."
Bereits im Februar hatte Infineon in Hinblick auf die zu erwartenden EU-Subventionen für seine Ausbaupläne in Dresden vom Bundeswirtschaftsministerium schon eine Ausnahmegenehmigung für den beschleunigten Projektstart erhalten. Bei Gesamtinvestitionen von etwa 5 Milliarden sind hier Beihilfen von einer Milliarde möglich.
Auch der US-amerikanische Halbleiterhersteller Wolfspeed und der deutsche Automobilzulieferer ZF Friedrichshafen hatten sich beim gemeinsam geplanten Umbau des ehemaligen Kohlekraftwerks in Ensdorf in eine Fabrik zur Produktion von Siliziumkarbid-Chips aufgrund der Aussicht auf Fördermittel für das Saarland entschieden. Bei einer Investitionssumme von 3 Milliarden ist hier eine Beihilfe von rund 750 Millionen Euro im Gespräch. Bei der Ansiedlung von TSMC in Dresden - die übrigen als Joint Venture mit den europäischen Anbietern Bosch, Infineon und NXP erfolgt - werden die Gesamtinvestitionen voraussichtlich über 10 Milliarden Euro liegen.
Steuereinnahmen "deutlich höher" als geflossene Subventionen
Sind die Vorhaben nun aber lediglich Prestigeprojekte und letztlich Geldverschwendung? Sind die Chip-Fertiger Heuschrecken, die, nachdem sie die Subventionen aufgefressen haben einfach weiterziehen? Eher nicht. Schaut man nach Sachsen, wo sich in der Vergangenheit schon AMD (heute Globalfoundries) ansiedelte ging das auch damals nicht ohne Beihilfen ab - war allerdings alles noch etwas günstiger.
Sachsens Wirtschaftsminister Martin Dulig (SPD) erklärte im Frühjahr, die dadurch erzielten Steuereinnahmen seien inzwischen "deutlich höher" als die geflossenen Subventionen. Neben Globalfoundries, Infineon und Bosch sind dem Branchenverband Silicon Saxony zufolge der Halbleiterindustrie in Sachsen etwa 2.500 Unternehmen mit insgesamt 70.500 Beschäftigten zuzurechnen.
Aus dem einst zarten Pflänzchen - bei dem man auch lange darüber gestritten hat, ob es gegossen werden soll - hat sich inzwischen Europas bedeutendster Standort für die Halbleiterbranche entwickelt. Davon profitieren nicht nur die regionalen Zulieferer und Dienstleister, sondern auch die entsprechenden Institute der Universität Dresden, die Fraunhofer-Institute und das 2022 eröffnete Center für Halbleiter-Forschung.
Wirtschaftswissenschaftler auf Spar-Trip
Die Kritik, gerade von Wirtschaftswissenschaftlern, dass Deutschland profitablen internationalen Konzernen Geld in den Rachen werfe und davon wenig haben werde, ist unterm Strich also nicht gerechtfertigt. Ohne Beihilfen gibt es keine Chip-Fabrik. Ohne Chip-Fabriken und den mangelnden Bezug zur Praxis werden auch Forschung und Entwicklung in dem Bereich nicht konkurrenzfähig sein. Einmal aufgebautes Know-how bleibt aber - wie man am Beispiel Dresden sieht - länger da.
Schließlich bekommen eben nicht nur Intel und TSMC Geld, sondern auch europäische Firmen wie NXP sowie deutsche Firmen wie Bosch und ZF Friedrichshafen. Letztere sind zwei der Herzen und Seelen der deutschen Automobilzulieferbranche und werden vom bevorstehende Wandel der Branche intensiv betroffen sein. Sie haben schon selbst begonnen, sich auf die Zukunft einzustellen.
Wenn jetzt durch Beihilfen ein Umfeld geschaffen wird, in dem das auch anderen ermöglicht wird, dann zahlen die Summen indirekt auch auf den Erhalt und den Umbau vieler anderer Unternehmen ein. Das sah schon im Dezember 2022 so ähnlich auch ZVEI-Präsident Gunther Kegel: „Der EU Chips Act ist von hoher Bedeutung, denn der Mikroelektronikindustrie kommt in Deutschland und Europa eine essenzielle Rolle zu, weil sie die in der Lieferkette nachgeschalteten Anwenderindustrien versorgt. Im internationalen Wettbewerb können wir nur bestehen, wenn wir wichtige europäische Industrieprojekte mit hohem Einsatz umsetzen."
Erst kürzlich und noch etwas deutlicher hat das Frank Bösenberg, Geschäftsführer von Silicon Saxony, formuliert. Er spricht natürlich auch im Inteesse der rund um Dresden angesiedelten Mitgliedsfirmen des Halbleiter-Vereins, bringt es aber auf den Punkt, wenn er kommentiert: "Souveränität gibt es nicht zum Nulltarif.
Die von mehr oder weniger prominenten Ökonomen, die sich zu Wort meldten, immer wieder geäußerte Sorge, ob in Zukunft überhaupt so viele Chips benötigt werden, wie wir dann produzieren können, kann man getrost beiseite wischen: Nimmt die Digitalisierung in all ihren Facetten erst richtig Fahrt auf, wird es vielleicht noch die klassischen Absatzzyklen und Preiskurven geben - ein dauerhaftes Überangebot aber so schnell nicht.