Bei Apple mag man es weltbewegend. Wie bei der Einführung des iPhones im Jahr 2007 oder dem iPad-Launch 2010. Touchscreen-Handys und Tablets gehören seit diesen Produkteinführungen zum Mainstream. Noch beeindruckender ist nur, dass der Konzern es in den frühen 2000er-Jahren fertigbrachte, eine ganze Industrie umzuwälzen. Denn seit der Einführung des iPod und der iTunes-Plattform laden die Nutzer ihre Musik lieber herunter, als Tonträger zu kaufen.
Die Transformation der Musikindustrie wurde dabei vor allem durch eine Tatsache getrieben: der plattformübergreifenden Natur von iTunes. Denn erst als Apple im April 2003 die Windows-Version seiner Medienbibliothek veröffentlichte, hoben iTunes (und damit auch der iPod) so richtig ab. Hätte Apple sein Produkt und dessen Ökosystem "abgeriegelt", hätte man wohl nie ein solch hohes Adoptionslevel erreichen können.
Heutzutage ist Android das Betriebssystem mit der weltweit größten Verbreitung und Musik-Streaming gehört inzwischen zum Alltag der meisten Nutzer. Deswegen bietet Apple seinen Musik-Streaming-Dienst auch in Form einer Android-App an. Und es ist die einzige "echte" Android-App, die der iPhone-Konzern in petto hat (die Migrations-App für Android-User und die Beats-Pill-App lassen wir mal außen vor).
Damit Apple seinen Wachstumskurs erfolgreich fortsetzen kann, muss der Konzern weitere Branchen zur Disruption "zwingen" - ganz ähnlich wie das im Fall der Musikindustrie abgelaufen ist. Und der vielversprechendste Bereich heißt in diesem Zusammenhang E-Commerce.
Chatten für die E-Commerce-Revolution
Als das Phänomen Chatbot vor zwei bis drei Jahren auftauchte, formte sich eine Art stiller Konsens, dass Kunden in Zukunft Messaging Apps nutzen werden, um mit Bots oder Agenten in Kontakt zu treten, die Assistenzleistungen zur Verfügung stellen. Seitdem hat sich einiges getan: Geräte wie Amazon Echo und Google Home haben das Nutzermodell immer mehr von den Chatbots in Richtung der persönlichen, digitalen Assistenten getrieben. Konsumenten wollen ganz offensichtlich nicht mit einem persönlichen Assistenten via Chat in Kontakt treten, haben aber Interesse daran, auf diese Art und Weise mit Unternehmen in Kontakt zu treten.
Mit Blick auf den chinesischen Markt etwa lässt sich mit Fug und Recht behaupten, dass B2C-Chat-Plattformen sich gerade zum letzten Schrei unter Konsumenten entwickeln, wenn es darum geht, Dinge zu kaufen. Das liegt in erster Linie daran, dass das Chat-Medium eine Art Authentifizierung für das Unternehmen darstellt, gleichzeitig aber zusätzliche E-Commerce-Sicherheitsmaßnahmen und Kundenservice-Leistungen bietet. Eine Messaging-App, die B2C-Kommunikation unterstützt, könnte eine Art Einstiegsdroge in eine völlig neue Welt des E-Commerce sein.
Apple oder Facebook fürs Business?
Noch sind die Chinesen im Bereich E-Commerce-Messaging-Apps Vorreiter, aber der Rest der Welt holt schnell auf. Facebook etwa geht davon aus, dass mehr als 300 Millionen Nutzer seine Messenger-App dazu nutzen, Unternehmen über das soziale Netzwerk zu kontaktieren. Und der Social-Media-Riese glaubt daran, dass die Kunden auch in Zukunft den Messenger-Apps den Vorzug vor dem Telefon geben werden.
Apple will Facebook in diesem Bereich das Wasser abgraben und hat bereits im vergangenen Juni im Umfeld der Entwicklerkonferenz WWDC das Business-Chat-Feature angekündigt. Mit dem Release von iOS 11.3 soll das nun final umgesetzt werden. Mit Business Chat sollen iOS-Nutzer künftig Kundenservice-, Termin- oder Support-Anfragen stellen können.
Auch Zahlungen via Apple Pay sollen eingebunden werden. In einer ersten Testphase will Apple das Feature mit seinen US-Partnern Discover, Hilton, Lowe’s und Wells Fargo erproben. Dabei ist vor allem eine Sache erwähnenswert: Die Identität des Nutzers wird den via Messaging-App kontaktierten Firmen gegenüber nicht offengelegt. Das dürfte den Unternehmen nicht schmecken, wohl aber Privatsphäre-bewussten Kunden.
In etlichen Berichten zu Apples neuem Business-Chat-Feature ist fälschlicherweise zu lesen, dieses sei direkt über iMessage verfügbar. Leider ist iMessage aber keine App, sondern ein cloudbasierter Messaging-Service, der auf Apples proprietärem Push-Notification-Service-Protokoll fußt. Über die "Nachrichten"-App hingegen erfolgt der Zugriff auf den iMessage-Service - aber auch auf SMS. Apple bietet seine Nachrichten-App für macOS, iOS und watchOS an. Und Apple müsste diese App - und auch Apple Pay - dringend auf die Android-Plattform bringen. Denn ohne die Masse der Android-Kunden wird Apple keine E-Commerce-Revolution vollbringen können.
Stattdessen wird Facebook zuschlagen. Zum Beispiel mit dem erst kürzlich gestarteten WhatsApp Business, das Unternehmen viele verschiedene Arten eines chatbasierten Kundenservice an die Hand geben will. Auch automatische Antworten lassen sich generieren. Dabei nutzen lediglich die Unternehmen die Business-Variante von WhatsApp - die Kunden bleiben bei der gewohnten App. Darüber hinaus bietet WhatsApp für Unternehmen - ganz ähnlich wie Facebook selbst - die Verifizierung von Accounts an, um das Trust-Level zu erhöhen.
Die Möglichkeit für individuelle Reportings und Metriken, die Auskunft über die Effizienz der Kommunikation geben, sollen das Angebot für Unternehmen abrunden. Die Business-Variante von WhatsApp steht momentan in den USA, Großbritannien, Mexiko, Italien und Indonesien zur Verfügung - in den kommenden Wochen sollen (nach Aussage von Facebook) weitere Länder "beliefert" werden.
Es ist auch wahrscheinlich, dass Facebook zu einem späteren Zeitpunkt einen Zahlungsdienst einführt, der sich mit dem Messaging-Tool verbinden lässt. WhatsApp Business steht übrigens zunächst nur als Android-App zur Verfügung, allerdings hat Facebook die Unterstützung weiterer Plattformen bereits angekündigt.
Was Apple jetzt tun muss
Facebook hat im Vergleich mit Apple einige Vorteile: WhatsApp ist mit 1,3 Milliarden Nutzern weltweit der wichtigste Messenger in den meisten bedeutenden Märkten. Und dann gibt es ja auch noch den Facebook Messenger, der es ebenfalls auf circa 1,3 Milliarden User bringt.
Es könnte also eng werden für Apple - denn Facebook ist nicht der einzige Konkurrent auf dem Weg zur E-Commerce-Revolution via Messenger-App: Tencents WeChat bringt es auf fast eine Milliarde Nutzer - die meisten davon in China. Und WeChat ist die führende Chat-App, wenn es um E-Commerce geht: Für Zahlungen nutzen Kunden das integrierte Bezahlsystem WeChat Pay. Letzteres wird von knapp 300 Millionen Menschen genutzt. Sogar Twitter bietet Tools für Unternehmen an, um den Kundenservice zu verbessern: Automatisierte Antworten und mehr sind so möglich.
Apple hat wahrscheinlich die eleganteste und auch sicherste Lösung. Dennoch wird der wertvollste Konzern der Welt die E-Commerce-Welt nicht auf die gleiche Weise aus den Angeln heben können wie die Musikindustrie - zumindest solange er beim Thema Messenger und Mobile Payment nicht auf eine Cross-Plattform-Strategie setzt. (fm)
Dieser Artikel basiert auf einem Beitrag unserer US-Schwesterpublikation Computerworld.