Damit die Kasse klingelt, kann der Kunde heute eine technische Rundumbetreuung bekommen: Mittels Digital Signage wird ihm empfohlen, was er kaufen soll. Elektronische Preisschilder zeigen ihm, was es kostet, virtuelle Ankleidekabinen, Küchen-, Wohnzimmer oder Auto-Konfiguratoren, ob das Produkt seinen Vorstellungen entspricht. Damit er sich im Geschäft nicht verläuft - und auch ein kleines bisschen, um sein Verhalten zu erforschen - werden ihm Indoor-Navigation und diverse Location-based Services angeboten. Damit er nicht versehentlich etwas einsteckt, behält ihn Videoüberwachung im Blick. Und damit er möglichst problemlos und schnell zahlen kann, stehen ihm diverse Bezahlmöglichkeiten mit Karten oder Smartphone zur Verfügung.
Alle diese Angebote sind auf ein leistungsfähiges und stabiles Netzwerk im Hintergrund angewiesen. Dazu kommt, dass auch die verbliebenen Angestellten längst nicht mehr mit dem Klemmbrett durch die Gänge schleichen, sondern emsig mit Barcode-Scanner oder Tablet unterwegs sind, um Warenbestände zu erfassen, zu überprüfen und Nachbestellungen direkt am Regal ins ERP-System einzugeben. "Der Point-of-Sale wird zum Point-of-Experience. Das fängt bei mehr und mehr Selbstbedienungsterminals und -kassen an und inkludiert auch die Kundenkommunikation und Information am PoS. Hier sehen wir bereits seit Längerem steigenden Bedarf an jeglicher Art von digitaler und variabler Kundenansprache, meist in Form von Displays bzw. Monitoren aber auch DIY Touch Screens", berichtet Jörg Lösche, Managing Director Central & Eastern Europe bei Netgear.
All das ist nicht neu, setzt sich aber immer weiter durch und stellt immer höhere Anforderungen an die Netzwerkinfrastruktur. Die vorerst letzet Stufe des neuen Kassengesetzes ist da oft nur das i-Tüpfelchen, das aus dem generellen Handlungsbedarf durch den Zeitdruck des Gesetzgebers ein konkretes Projekt werden lässt. Aber gerade in dem Fall sollten IT-Dienstleister und Systemhäuser darauf hinwisen, das es mit einer schnellen Ad-hoc-Lösung für dieses Teilproblem nicht getan ist und eine gründliche Neukonzeption der poS-Vernetzung viele weitere Möglichkeiten mit sich bringt.
Aus SD-WAN wird SD-Branch
"Durch die Digitalisierung bestehender Verkaufsflächen, vor allem aber bei der Einrichtung neuer Stores und Märkte werden diese in Zukunft immer 'smarter' werden. Diese Intelligenz erfordert einerseits Rechenleistung, andererseits aber auch breitbandige Netzwerkverbindungen und Services, für die Partnerleistungen dann unabdingbar sein werden", prognostiziert Christian Rannetshauser, Director EMEA Channel bei Allied Telesis.
Das bestätigt auch Henning Jungclaus, Channel Director DACH bei Extreme Networks: "Egal ob moderne Kassensysteme, der vermehrte Einsatz von mobilen Endgeräten im Einzelhandel – sei es auf Kunden- oder Anbieterseite – oder die weitgehende Vernetzung von In-Store- und Onlinehandel: Ein zuverlässiges und sicheres Netzwerk ist essenziell." Lancom-CTO Christian Schallenberg beschreibt die aktuelle Situation aus seiner Sicht folgendermapen: "Die immensen Vorteile Cloud-basierter Technologien wie Sofware-defined Networking sorgen dafür, dass Retailer mit minimalem Aufwand voll digitalisierte Ladengeschäfte aufsetzen und per SD-WAN vernetzen, die Netze agil an neue Bedingungen anpassen und neue Standorte oder – in Kombination mit 4G- oder 5G-Mobilfunk – auch Pop-Up-Stores in Minutenschnelle einbinden."
Vorreiter beim Wandel sind die großen Einzelhandelsketten. Sie wissen zentrale Steuerung und Verwaltung vor Ort bei gleichzeitig minimal erforderlichem Technik-Know-how schon lange zu schätzen. Daher setzen sie auf SD-WAN-Lösungen - und das so intensiv, dass sich dafür sogar schon der Begriff SD-Branch etabliert hat - also die komplette, softwaregesteuerte Filialvernetzung. Aber auch bei kleineren Einzelhandelsketten sind SD-WAN, Network-as-a-Service (NaaS) und das Management der Netzwerkinfrastruktur schon Praxis.
In diesem Umfeld haben D-Link und Netgear entsprechende Angebote, aber auch Allied Telesis ist mit extra darauf zugeschnittenen Produkten unterwegs. Alle drei Hersteller bieten gute Möglichkeiten, wenn Kasse, Videoüberwachung, Digital Signage und andere WLAN-Komponenten ins Netzwerk gebracht werden sollen.
Retail-Vernetzung ist mehr als WLAN
"Bei der Ausrüstung von Verkaufsflächen geht es um vier Kernpunkte: den mobilen Netzwerkzugang für Mitarbeiter und Kunden über WLAN, eine Besucherstromanalyse über Bluetooth Low Energy (BLE), die Anbindung elektronischer Preisschilder sowie um die Vernetzung von IoT-Technologien wie elektronischen Schließanlagen und Licht- und Klimasteuerung über ZigBee", fasst Axel Simon, Chief Technologist bei HPE Aruba, zusammen. Das bestätigt so auch Lancom-CTO Christian Schallenberg: "Mobile Payment, Electronic Shelf Label, Barcode Scanner, Tablets, Hotspot und Location-based Services – alles Bestandteile eines typischen PoS – arbeiten mit ganz unterschiedlichen Funktechnologien, von Wireless LAN über BLE bis zu proprietären Low-Power-Lösungen für die elektronischen Preisschilder. Der Trend geht also hin zu Hardware, die alles kann."
WLAN gehört bei allen Netzwerkausrüstern inzwischen zum Standardprogramm. Unterschiede gibt es vor allem bei der abbildbaren Komplexität und der Größe der umsetzbaren Installationen. Knifflig wird es jedoch regelmäßig, wenn zusätzlich IoT-Geräte über Zigbee oder elektronische Preisschilder - in der Branche auch ESL genannt (kurz für: Electronic Shelf Label) eingebunden werden sollen. Extreme Networks hat zur ESL-Ansteuerung bei einem Möbelhaus zusammen mit dem auf Logistik und Supply-Chain-Optimierung spezialisierten, österreichischen Partner LN Consult dafür IoT-Gateways des Herstellers SES-Imagotag einbezogen.
Lancom Systems und HPE Aruba bieten mit ihren eigenen Produkten die Möglichkeit, elektronische Preisschilder anzusteuern - Lancom sogar patentgeschützt und natürlich bevorzugt für die eigenen, für die es mit SES-Imagotag zusammenarbeitet. Andere IoT-Komponenten kann Lancom mit Access Points mit "IoT-Readiness" einbinden. Dazu gehört zum Beispiel der "LN-830U". Dort steht ein USB-Port zur Verfügung, über den dann die jeweils erforderliche IoT-Vernetzungstechnologie bereitgestellt wird.
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"Aus Sicht von Cisco bleibt ein gut funktionierendes und vor allem sicheres Netzwerk sowie die Adaption von Cloud-Services zentral. Dadurch das einige Dienste (beispielsweise Digital Signage, intelligente Klimasteuerung, Kassensysteme) von Dritten angeboten werden, ist zudem eine starke Sicherheits-Segmentierung erforderlich. Vor allem sollte der Traffic des Public Internet (etwa Gäste-WLAN) von dem der Firmenzentrale oder zu einem Drittanbieter getrennt werden", empfiehlt Kristina Appelt, Manager Systems Engineering, Partner Organisation bei Cisco Germany.
HPE Aruba verbaut BLE und Zigbee gleich mit, weil es für seine Kunden die Komplettabdeckung für unverzichtbar hält. Juniper Networks hat sich mit der Übernahme von Mist Systems im Frühjahr 2019 einen Spezialisten gekauft, der in seinen WLAN-Access Points für Location Based Services zusätzlich 16 Bluetooth-Antennen verbaut. Das Angebot soll fortgeführt werden, größeren Nutzen sieht Juniper jedoch in der Übertragung des besonders einfachen Geräte- und Netzwerkmanagements von Mist Systems auf sein weiteres Portfolio. Location Based Services seien doch noch eine Nische, heißt es aus dem Unternehmen.
Cloud Management ist im Einzelhandel Pflicht
Einig sind sich die Anbieter darin, dass die Verwaltung stark verteilter Strukturen, wie beim Einzel andel üblich, am zweckmäßigsten über eine Cloud erfolgt. Dafür hat Lancom seit Jahren seine Management Cloud (LMC) ausgebaut, D-Link sein Angebot Nuclias eingeführt, Netgear das Insight Cloud Managementsystem für die Nutzung durch Systemhäuser weiterentwickelt.
Cisco hat dafür schon 2012 das Unternehmen Meraki gekauft, aus dem die nicht nur im Retail erfolgreiche Sparte Cisco Meraki hervorgegangen ist. "Ein Trend ist das Netzwerk als Managed Service, da es die IT-Abteilungen entlastet und Zeit für Innovationsprojekte lässt. Dabei ist eine umfassende Beratung und die Zusammenarbeit mit den Fachabteilungen besonders wichtig, um die IT als Ideengeber und Enabler zu betrachten", berichtet Cisco-Managerin Appelt.
Bei HPE Aruba kann Aruba Central als cloudbasierte Plattform neben der Verwaltung des Netzwerks auch Funktionen wie die Zählung von Besuchern übernehmen. Auch Allied Telesis bietet eine cloudbasierte Netzwerkmanagement-Software an und hat sein Portfolio um WLAN-Komponenten der Einstiegsklasse erweitert, um das kostenbewusste Marktsegment besser bedienen zu können. Router und Switches mit PoE-Unterstützung hat der Hersteller schon länger im Angebot.
"Bei moderaten Budgets bieten sich im Netzwerkbereich aus unserer Sicht – gerade auch für kleinere Filialisten – per Cloud gemanagte Lösungen an", empfiehlt Gunter Thiel, Country Manager DACH & Benelux bei D-Link (Deutschland). Denn um im Wettbewerb mit dem Online-Handel zu bestehen, müssten Ladengeschäfte "Kunden am PoS langfristig positive, digitale Einkaufserlebnisse bieten" - seien es nun WLAN-Hotspots in Einkaufszentren, Beratungsterminals oder interaktive Displays mit LTE-/5G-Anbindung. Thiel weiter: "Große Geschäftschancen für Partner bieten Managed Services wie cloudbasiertes Netzwerkmanagement. So lässt sich die Netzwerkverwaltung von Unternehmen mit mehreren Shops und Filialen – bei geringen Anfangsinvestitionen und kalkulierbaren Kosten für den Kunden – relativ einfach zentralisieren."
Unterstützung der Hersteller bei PoS-Vernetzung
Der Retail-Markt ist durch klassisches Projektgeschäft geprägt, bei dem das enge Zusammenspiel von Hersteller, Systemhaus und Kunde ein entscheidender Erfolgsfaktor ist. Für den Einstieg reicht solides Netzwerk- und vor allem WLAN-Know-how. Es muss ja nicht gleich der weltweit tätige Discounter sein, auch bei lokalen Bäckereiketten, Imbissketten oder anderen Geschäften besteht Bedarf.
Vorteilhaft aus Sicht des Handels ist dabei regelmäßig der Mangel an IT-Personal vor Ort bei den Unternehmen. Dadurch drängen sich Service-Modelle geradezu auf und kann sich der Handel, "im besten Fall als Service-Provider langfristig eng mit der Infrastruktur der Kunden verzahnen", wie Lancom-CTO Christian Schallenberg erklärt. Darauf sollten Händler mit ihrer Organisation und personellen Ausstattung vorbereitet sein.
Bei HPE Aruba gibt es zusätzlich zum üblichen Unterstützungsangebot spezialisierte Mitarbeiter, die zusammen mit Partnern die technischen und kaufmännischen Anforderungen für Einzelhandelskunden lösen, versichert Chief Technologist Axel Simon. Cisco-Vertreterin Kristina Appelt erklärt: "Für Cisco sind die Partner besonders erfolgreich, wenn sie ein tieferes Kundenverständnis haben und dadurch individuelle Lösungen entwickeln." Das gelte auch im Retail-Umfeld. Bei dieser Spezialisierung unterstütze Cisco auf vielfältige Weise.
Für Netgear-Manager Jörg Lösche sind "Beratung und Service die Zauberwörter. Grundsätzlich kann aus unserer Erfahrung jedes Systemhaus im Netzwerkumfeld solche Projekte realisieren. Es zeigt sich jedoch häufig, dass eine gewisse Branchenexpertise beziehungsweise Fokussierung durchaus erfolgreicher sein kann", denn häufig gehe es nicht nur um die Netzwerktechnik.
Extreme Networks hat mit "Extreme Retail Select" Pakete für Einzelhandelsketten und Franchiseunternehmen vorgestellt, die es erlauben, Einrichtung und Verwaltung der Netzwerkverbindung von einem bis zu tausenden von Standorten zu automatisieren. Sechs dieser Technologiepakte sind verfügbar und auf unterschiedliche Anforderungen im Einzelhandel ausgelegt. "Dadurch können die Kosten und die Komplexität bei der Planung und Implementierung sowie dem Kauf, Aufbau und Management von Netzwerkdiensten gesenkt werden", verspricht Extreme-Manager Jungclaus.
Für den HPE-Aruba-Experten Simon ist der Schlüssel zum Erfolg das Verständnis für das Geschäftsmodell von Einzelhändlern und die Fähigkeit, dieses in technische Lösungen umzusetzen. "Dabei geht es nicht nur vorrangig um die mobile Konnektivität für die Kunden, sondern auch um die Digitalisierung bisheriger papierbasierter Logistikprozesse – vom Lieferschein bis hin zu elektronischen Preisschildern", so Simon.