Wäre es nicht cool, mit einer Art von Stift auf die Oberfläche eines flachen Computers Worte zu kritzeln und dieser setzt das Gekrakel in digitalen, editierbaren Text um, als sei dieser getippt? Ohne dass der Anwender irgendwelche Kurzschriften lernen muss und diese akribisch anzuwenden hat? Das wäre doch die Zukunft des Computers! Willkommen im Jahr 1992. Willkommen im Jahr 2020.
Das ist vielleicht die spektakulärste Ankündigung Apples zu iPadOS 14, nicht nur weil sie so sehr an den letztlich gescheiterten Newton mit seiner sehr fehlerhaften Handschriftenerkennung erinnert. Im Computerzeitalter sind 28 Jahre aber beinahe so viel wie ein ganzes Zeitalter, womöglich klappt es auch diesmal: Tablet in die eine Hand, Stift in die andere, damit auf den Bildschirm gekritzelt und - oh Wunder! - aus "I'm writing a sentence" werden keine "Egg Freckles" mehr, sondern klar verstandener, editierbarer Text.
Nun kann man hoffen und beinahe sogar erwarten, dass Apple in den letzten Jahren enorm dazu gelernt hat und womöglich sind die Technologien nun so weit, dass es klappt. Schon seit Mac-OS X 10.2 hat Apple eine Technologie namens "Inkwell" im Einsatz, die aber offenbar nie irgend ein Softwarehersteller auch tatsächlich nutzte. Der Apple Pencil ist nicht der Eingabestift, den der Newton hatte, sondern schon beinahe selbst ein Computer, der auf den ausgeübten Druck reagiert und seine Position im Raum kennt. Letztlich verhilft die Erfahrung mit dem neuronalen Kernen der A-Prozessoren dabei weiter, zu erkennen, was der Krakler gemeint haben könnte. Gewiss, was Apples neue Technologie namens "Scribble" wirklich taugt, werden erst Tests zeigen und wir werden sehr herausfordernd unsere Apple Pencils spitzen, unseren Handschriften nach hätten wir auch Ärzte werden können. Wenn sich aber Scribble als Apotheker unter den Schrifterkennungen erweist: Respekt!
Doch auch bei nur ausreichender Schrifterkennung - zunächst nur in Englisch und Chinesisch verfügbar - kann sich Scribble als wertvoll erweisen, solange man selbst sein Geschmiere auf dem Screen wieder erkennt. Denn Scribble ermöglich auch, Texte in Blöcken zu verfassen und diese zu verschieben - anders als auf dem analogen Schmierzettel können wir also unsere Texte umarrangieren.
iPadOS 14: Die Zwischenwelt
Ansonsten geht Apple den Weg weiter, den es vor einem Jahr mit iPadOS eingeschlagen hatte. Das Tablet-Betriebssytem wird unabhängiger von iOS 14, dem größeren Bildschirm des iPads Rechnung tragend. So bekommt es einige eigene Features, nicht nur die Schriftenerkennung. Gleichzeitig nähert sich iPadOS 14 im Look and Feel dem Desktop-Betriebssytem macOS 11 Big Sur an. Dramaturgisch hatte Apple das auf derWWDC-Keynote sehr interessant gestaltet: Natürlich würde auch das iPad von den neuen iOS-14-Features wie dem flexibleren Home Screen und den Widgets profitieren, ebenso übernehmen weder Siri noch die Telefon-App den gesamten Bildschirm, wenn sie aktiv sind. Aber da ja mehr Platz ist: Warum dann nicht Apps eine Seitenleiste verabreichen? So wie auf dem Mac? Nun ja, wer die Bilder von iPadOS 14 sah, bekam sofort eine Ahnung, wie macOS zukünftig aussehen würde. Und ist das iPad Pro nicht auch ein Computer?
Was aber fehlt: Das iPad ist nach wie vor ein persönliches Gerät und lässt sich nicht wie ein richtiger Computer, also ein Mac, für mehrere Benutzer einrichten. Dazu ist es doch zu sehr ein Mobilgerät, wie etwa auch ARKit 4 zeigt: Die Schnittstelle für Augmented Reality greift nun auch auf das Lidar zurück, das es bisher nur im iPad Pro gibt, aber wohl auch in künftigen iPhones und iPads eine wesentliche Rolle spielen wird.
Ab dem iPad Air 2 sind alle iPads zum neuen System kompatibel, ebenso iPad Mini 4 und iPad 5 aufwärts und alle iPad Pro. Aber vom fernen Hauch des Newton profitieren nur die Tablets, die auch mit dem Apple Pencil umgehen können, also iPad Air 3, iPad Mini 5 und iPad 6 sowie die iPad Pro. (Macwelt)