Das Vorurteil ist weit verbreitet: Der Enterprise Architect sitzt in seinem Elfenbeinturm und malt Tapeten voll mit bunten Kästen und Symbolen - fernab von jeder betrieblichen Realität. Oliver Bossert, Senior Knowldege Expert bei McKinsey, räumt mit solchen Vorurteilen auf: "Wer die Architektur fest im Griff hat, wird im Zuge der digitalen Transformation weniger Zeit damit verbringen, an Schnittstellen herumzubasteln." Nur dann ließen sich Services viel effizienter wiederverwenden, und die Datenqualität steigern.
Gemeinsam mit der Henley Business School hat McKinsey die Studie "Themes of successful platform transformation" vorangetrieben. Wichtigstes Ergebnis: Nahezu alle relevanten Kennzahlen verbessern sich, wenn Unternehmen die digitale Transformation anhand einer durchdachten Enterprise Architecture vorantreiben. Auf Tools könne man sich dabei allerdings kaum verlassen. Zwar gebe es jede Menge davon, aber keine, die für die Umsetzung wirklich einen nennenswerten Beitrag leisteten.
Enterprise-Architekten sollten intern gut vernetzt sein
"Uns fällt auf, dass Architekten, die viel mit ihren CxOs reden und wenig mit externen Anbietern, die größten Erfolge aufweisen", sagt Bossert, der sich bei McKinsey mit Enterprise-Architekturen und -Technologien beschäftigt. Umgekehrt bekämen die meisten Spezialisten, die primär das Gespräch mit externen Cloud- und Softwareanbietern suchten, in aller Regel Probleme. "Im Architekturmanagement muss ich das Heft des Handelns unbedingt selbst in der Hand halten", sagt Bossert. Erfolgskritisch sei die Zufriedenheit der Fach- und IT-Entscheider im eigenen Unternehmen. Es gelte Transparenz zu schaffen und schnelle Entscheidungen auf Vorstandsebene zu ermöglichen.
Wie die Studie nachweist, entstehen in Unternehmen, die sich digital transformieren, viel mehr Punkt-zu-Punkt-Verbindungen, Schnittstellen und auch Anwendungen, was zu überdurchschnittlichem Integrationsaufwand und höheren Kosten führt. Ist eine funktionierende Enterprise-Architektur im Einsatz, lässt sich das Problem eindämmen. Die Zahl der genutzten Services steigt, und auch die der Wiederverwendung solcher Services. Agilität und Skalierbarkeit nehmen signifikant zu.
Legacy-Fesseln und der Schlüssel zum Erfolg
Erst im September vergangenen Jahres hatten McKinsey und die Henley Business School in einer anderen gemeinsamen Analyse davor gewarnt, alte Legacy-Anwendungen durch die digitale Transformation zu schleppen. Diese über Jahre, manchmal sogar Jahrzehnte entstandenen Altanwendungen zu re-engineeren, nehme viel zu viel Zeit in Anspruch. Würden alter Software neue digitale Funktionen hinzugefügt, müssten immer mehr Punkt-zu-Punkt-Verbindungen programmiert und gepflegt werden, was zu einer Spaghetti-ähnlichen Programmstruktur führe, die weitere Anpassungen enorm schwierig mache. An diesen "technischen Schulden" hätten viele Unternehmen schwer zu leiden.
Schon damals stellte das Analystengespann fest, dass sich "Digital Leaders" dadurch vom Rest unterschieden, dass sie weniger Schnittstellen zu verwalten hätten und somit schneller kundennahe Produkte und Services ausrollen könnten. Sie seien gut darin, modular aufgebaute digitale Plattformen zu schaffen, die auf Agilität ausgelegt seien und die Wiederverwendung von Services erlaubten. Schon damals wiesen die Studienautoren darauf hin, dass es starker architektonischer Fähigkeiten bedürfe, um das geeignete Umfeld für die Entstehung einer "ausbalancierten digitalen Plattform" zu schaffen.
In der aktuellen Studie betonen McKinsey und Henley Business School zudem, dass für digital führende Unternehmen immer die Customer Journey der Ausgangspunkt für die Roadmap der digitalen Transformation sei. "Das ist außerordentlich wichtig, um schnelle Erfolge zeigen zu können", sagt Bossert. Theoretisch ließe sich ein solcher Umbau ja auch nach Unternehmensfunktionen wie Finanzen oder Logistik angehen, "aber irgendwann bin ich dann mit allem durch, und beim Kunden ist nichts angekommen", warnt der McKinsey-Mann. Besser sei es, bei der Customer Experience anzusetzen und von dort aus "rückwärts zu planen" - auch wenn das immer wieder Kompromisse in der Architektur verlange.
Was Enterprise Architects können müssen
Und welche Eigenschaften sollte ein Enterprise Architect mitbringen? "Das wichtigste ist eine hohe Bereitschaft, unbequem zu sein", sagt Bossert und bezeichnet aus diesem Grunde Manager aus dem Finanzbereich als oftmals gut qualifiziert. Eine IT-Ausbildung sei gar nicht zwingend erforderlich, hier komme es vielmehr auf die Soft Skills an: Ist die Person bereit und selbstbewusst genug, querzudenken und die richtigen Fragen zu stellen?
Ein Enterprise Architect frage zum Beispiel: "Warum machen wir das?" oder "Welchen Nutzen haben wir davon?" oder "Wie können wir die Fachseite optimal bedienen?" Seine Aufgabe ist es Bossert zufolge, vieles in Frage zu stellen, angefangen bei den oft langsamen Geschäftsentscheidungen über unnötige Komplexität in der IT bis hin zu Unternehmenszielen und -werten. Deshalb seien Soft Skills hier wichtiger als ein technischer Sachverstand, der tief ins Detail geht.