Es ist 15 Jahre her, dass Apple zuletzt einen Plattformwechsel für den Mac ankündigte. Am 6. Juni 2005 gab Steve Jobs zur Eröffnung der WWDC zu, dass die Gerüchte wahr seinen und man vom PowerPC auf den x86er wechseln wolle. Der wesentliche Grund: Performance pro Watt. Also möglichst hohe Leistungsfähigkeit bei möglichst geringem Energieverbrauch. Im Auditorium - seinerzeit das Moscone Center in San Francisco - konnte man dann eine Stecknadel fallen lassen.
Mit Tim Cook dann 15 Jahre und 16 Tage später das deja vu: Der Apple-CEO erklärt, dass man die Chip-Plattform im Mac wechseln werde. Wegen der Performance pro Watt. Erneut ist es mucksmäuschenstill im Saal. Aber eben aus anderen Gründen: Denn der Saal bleibt wegen der Pandemie leer. Hätten auch heuer Entwickler nach Cupertino kommen können, wären sie wohl auch nicht so entsetzt gewesen wie im Jahr 2005, auch wegen der positiven Erfahrungen, die sie mit dem Umstieg auf Intel machen konnten. Aber dass Apple auf die ARM-Plattform wechselt, beziehungsweise auf "Apple Silicon", also Chips, die Apple selbst gestaltet, hatte sich schon angedeutet – an sich schon seit Jahren.
So hatte Apple immer wieder betont, wie stark doch dieser oder jener Ax-Chip für iPhone und iPad wäre und durchaus mit aktuellen Desktops-Chips mithalten könne, sie sogar übertreffe. Jetzt ist der Tag gekommen, den Tim Cook als einen "wahrlich historischen Tag" für den Mac apostrophierte. Hardware gibt es noch keine, es sei denn, man ist Entwickler. Dann kann man sich einen ARM-Mac-Prototypen im Mac-Mini-Gehäuse samt etlicher Softwaretools besorgen und schon mal loslegen. Bis Ende des Jahres will Apple die ersten der neuartigen Macs in den Handel bringen, insgesamt zwei Jahre sind für den Umstieg veranschlagt.
Das kann auch schneller gehen, wie das Beispiel der letzten Transition zeigte: Damals lieferte Apple schon nach einem halben Jahr statt einem ganzen die ersten Intel-Macs, ein halbes Jahr später war die Sache abgeschlossen. Die Produktpalette ist aber im Jahr 2020 deutlich umfangreicher und laut Tim Cook stecken auch noch einige "fantastische" Intel-Macs in der Pipeline, die Zeitrahmen klingen durchaus realistisch. Eine Überraschung am Rande: Das neue macOS sieht nicht nur anders aus und heißt anders, es zählt auch anders: Auf macOS 10.15 Catalina folgt macOS 11.0 Big Sur.
Aber der Reihe nach.
Größte WWDC der Geschichte
Ungewöhnliche Zeiten erfordern ungewöhnliche Maßnahmen. Live war an der Show nichts, die nahtlos ineinander übergehenden Präsentationen hat Apple vorproduziert, weshalb sie auch Schlag auf Schlag erfolgten. Keine Unterbrechung durch Applaus, keine retardierenden Momente durch Einspieler, keine kurzen Umbaupausen. Keine der sonst üblichen Updates zu den Systemwelten – gerne hätten wir aber erfahren, wie viele iPhones nun schon mit iOS 13.5 ausgestattet sind und Corona-Warn-Apps laufen lassen könnten.
In der Viertelstunde vor dem Start ein Einspieler zu Meditationsmusik, Bilder wie von einem Satellitenflug über den Planeten und seinen leuchtenden Lichtern. Diese entpuppten sich zum Start der Show als Memojis hinter Macbooks, die ins Bild flogen und den Zuschauer mit auf einen Kameraflug in den Apple Park und in das dortige leere Steve Jobs Theater nehmen.
Zu Beginn der Keynote tritt Apple-CEO Tim Cook dort auf die Bühne und spricht in die Kamera, die auf den leeren Zuschauerraum gerichtet ist. Es werden wieder bessere Zeiten kommen, beginnt Cook seine Ansprache und geht zunächst auf aktuelle Ereignisse ein und die Beiträge, die Apple im Kampf gegen Rassismus und gegen das Corona-Virus leistet. Welch Kontrast zu dem hohlen Gebrülle eines verantwortungslosen Wüterichs in einer halbleeren Halle in Oklahoma, die Amerika am Wochenende von den TV-Sendern serviert bekam.
Auch wenn man nicht zusammen in Cupertino sein könne, ist diese WWDC die größte bisher, mit all den weltweit zugeschalteten Entwicklern. Alle Plattformen werde man auf ein neues Niveau heben, verspricht Cook und bittet Softwarechef Craig Federighi auf die virtuelle Bühne, um zunächst über iOS 14 zu sprechen. Etwas Selbstironie ist in diesen vorproduzierten Filmen enthalten, denn Federighi scheint in den nächsten 90 Minuten überall und gleichzeitig zu sein – die Frisur sitzt aber.
Die wichtigsten Änderungen von iOS 14:
Die Verwaltung von Apps wird übersichtlicher: Die App Library gruppiert Apps automatisch gruppiert und Seiten des Home Screens lassen sich auf Wunsch ausblenden.
Widgets: Man habe von der Apple Watch und ihren Komplikationen gelernt. Die neuen Designs kommen mit mehr Daten, Widgets können in unterschiedlichen Größen kommen - man kann sie sogar auf den Home Screen ziehen - ein lang gewünschtes Feature. Die Widget-Galerie zeigt Vorschauen der Widgets an, mit dem Smart Stack kann man sich die wichtigsten Widgets in einem Balken auf den Home Screen holen, die Anzeige wechselt per Swipe oder automatisch.
Bild-in-Bild: Kennt man schon seit einigen Jahren vom iPad, die Funktion kommt nun auch auf dem iPhone an: Videos spielen in einem kleinen Fenster ab, das über dem Home Screen schwebt.
Siri bekommt ein neues Design, beim Zuhören nimmt der Assistent nicht mehr den ganzen Schirm ein und verdeckt wichtige Informationen.
Doch erweitert Siri auch die Funktionalität, soll beim Diktieren besser werden. Die neue App Translate will Kommunikation über Sprachbarrieren hin ermöglichen.
Messages: Die Nachrichten-App soll Unterhaltungen besser und übersichtlicher organisieren, Memojis bekommen zusätzliche Optionen bei Gesichtsbedeckungen und dem Alter, auch drei neue Sticker fügt iOS 14 zu. Gruppenunterhaltungen sollen klarer zeigen, wer mit wem spricht (Mentions), Threads lassen sich aus- oder einklappen, Gruppen sich mit einem Gruppenfoto oder einem Memoji auszeichnen. Messages lernt also von WhatsApp und Co. dazu.
Karten: Die aktualisierte Karten-Anwendung mit höherer Auflösung kommt nach UK, Irland und Kanada, "Great Places" sind eine Art von Reiseführer mit aktuellen Fotos und Empfehlungen. Und endlich, endlich, endlich bringt Apples Maps auch Fahrradrouten. E-Mobile bekommen die kürzeste Route zur nächsten Ladestation angezeigt.
CarPlay: Kompatible Autos lassen sich mit dem iPhone entsperren, das erste Modell wird der neue 5er-BMW von 2021. Virtuelle Autoschlüssel kann man über iMessages teilen, das gemeinsame Nutzen von Fahrzeugen wird so leichter. Vermutlich eher für Firmen- und Mietwägen interessant. Der neue 5er kostet doch ein klein wenig mehr als das iPhone 11 Pro Max.
App Clips: Ein kleiner Teil einer App, der sich etwa per QR-Code oder NFC auf den Schirm des iPhone spielen lässt. So werden etwa Käufe und Leihen schnell und sicher, da man mit Apple Pay bezahlen kann. Oder Anmeldungen an Services mit der AppleID.
iPadOS 14: Schrifterkennnug und ein Ausblick auf den neuen Mac
Auch iPadOS stellt Federighi in einem vorproduzierten Video vor. Dabei übergibt er den Staffelstab des Präsentators an sich selbst, indem er im Apple Park scheinbar ein Stockwerk höher rennt. Aber sonst wäre es ja auch witzlos. Die wichtigsten Neuerungen:
Die neu gestalteten Widgets bekommt das iPad natürlich auch, doch auch einige exklusive Neuerungen, etwa eine Seitenleiste für Fotos: Sieht dann wieder ein bisschen auf dem Mac auf. Auch Anwendungen wie Pages, Musik oder Dateien bekommen die Seitenleiste. Die Musik-Anwendung bekommt eine Vollbildansicht mit allen wichtigen Informationen auf einen Blick. In diesem Moment bekommen wir auch eine erste Ahnung, wie das neue macOS aussehen könnte …
Anrufe blockieren nicht den gesamten Bildschirm, sondern kündigen sich mit einem dezenten PopUp an, das wird auch in iOS der Fall sein.
Die Suche will Apple von Grund auf verbessert haben, mit Suchvorschlägen, Websitesuche und schnellem App-Launcher. Sieht sehr nach Spotlight auf dem Mac aus - und ist es im Prinzip auch. Die Systeme nähern sich weiter aneinander an
Mit iPadOS 14 soll der Apple Pencil nützlicher werden: Handschriftliche Notizen sollen so leistungsfähig und leicht werden wie getippter Text. Die Funktion Scribble will geschriebenen Text umwandeln in getippten. Handschriftenerkennung auf einem neuen Niveau? Die Rückkehr des Newton? Hoffentlich besser, aber die Demonstration sieht interessant aus, sie erkennt sogar chinesische Schriftsymbole. Aber bisher auch nur englische Sprache, so wie es aussieht. Kann sich bis Herbst aber noch ändern.
AirPods Software: Die Airpods sollen nun leichter von iPhone zu iPad zu iPhone und wieder zurück wechseln können. Spatial Audio bescheren den Airpods Pro einen immersiven Raumklang, lautet das Versprechen: Sounds kann man praktisch überall im virtuellen Raum platzieren, die Quellen sollen auch bei Kopfbewegungen dort bleiben, wo sie sind. Surround Sound mit Stereolautsprechern? Nicht schlecht, wenn's tatsächlich funktioniert wie versprochen. Wir sind dann ganz Ohr.
watchOS 7: Fitness statt Aktivität
Über die Hardware der kommenden Apple Watch Series 6 sagen die ersten Einblicke in das neue Uhrenbetriebssystem nicht viel aus. Erkennung von Blutsauerstoff oder gar Blutdruck benötigt jedoch zwingend neue Hardware, die Apple nicht vor Herbst zeigen wird. DI heute vorgestellten Funktionen sind aber auch nicht ohne.
Entwickler haben nun mehr Einfluss auf Komplikationen, Zifferblätter kann man besser teilen, etwaige fehlende Apps und deren Komplikationen werden nachgeladen.
Die Fahrradrouten kommen auch auf die Uhr. Endlich.
Neue Workouts: Tanzen wird jetzt auch eine Aktivität, Hip-Hop, Disco oder Cardio-Dance. I can't dance! I can't talk! Only thing about me is the way that I walk! Aber auch Krafttraining wird nun aufgenommen, die App bekommt nun auch einen neuen Namen: Fitness statt Aktivität.
Schlaftracking: Mit "Wind down" wollen iPhone und Watch die Schlafenszeit einleiten. Meditative Musik wird gespielt, der Bildschirm wird dunkler, auch die Apple Watch schaltet den Screen aus. Wecken am nächsten Morgen per Sound oder Vibration, sofort zeigt die Uhr dann auch ihren Ladezustand an: Neue Energie für die Uhr, während man duscht und sich ankleidet.
Hände waschen: Die Uhr erkennt nicht nur, dass man sich die Hände wäscht, sondern zeigt auch an, wie lange das man noch sollte. Nervige Musik spielt dabei nicht.
Datenschutz und Privatsphäre:
Datenschutz und Privatsphäre sieht Apple als ein Menschenrecht an, der Datenschutz ist von Anfang bei der Entwicklung eines Produkts eingebaut. Apple sieht vier Säulen für seine "Privacy by Design":
Datenminimierung
Datenverbeitung auf dem Gerät
Sicherheit
Transparenz
Der Trackingschutz wird nun auf Apps ausgeweitet, das iPhone zeigt noch auffälliger an, ob Kamera und/oder Mikrofon aufzeichnen, Entwickler müssen ihre Apps anzeigen lassen, welche Daten sie nutzen und ob sie dieser weitergeben.
Auch das Heim soll sicherer werden und vor allem bequemer und übersichtlicher, was die Integration von HomeKit-Geräten betrifft, Automatisationen und Statusberichte. Adaptive Lighting ändert die Farbe des Lichts über den Tag. HomeKit-Kameras bekommen Gesichtserkennung, ebenso soll man Aktivitätszonen definieren können - jeweils nicht über die App des Herstellers, sondern über Home.
tvOS 14
Neu ist etwa die Bild-in-Bild-Funktion, die Trennung von Accounts will Apple verbessert haben, über das Kontrollzentrum fällt der Wechsel leichter. Apple TV+ bekommt nun endlich die Foundation-Verfilmungen nach den Romanen von Isaac Asimov. Ein erster Trailer beeindruckt, aber in das Programm nimmt Apple TV+ Foundation erst nächstes Jahr auf.
macOS 11 Big Sur
Apple verlässt in Sachen Nomenklatur die Insel Catalina vor Los Angeles und geht an die Küste: Big Sur lautet der neue Name, wie in den letzten Tagen immer heftiger gemunkelt worden war. Das wird neu auf den Mac kommen:
Vor allem das Design hat Apple kräftig überarbeitet: Es fühle sich gewohnt an, ist aber in jedem Detail neu. Auf den ersten Blick sieht Big Sur so aus wie iPadOS 14, was wir ein paar Minuten davor ja schon erwartet hatten. Die Fenster werden transparenter, vor allem die Seitenleiste, alle Apps von Apple bekommen die neuen Toolbars, Menüleiste und Kontrollen.
Die von iOS und iPadOS bekannten Widgets kommen ebenso auf dem Mac in unterschiedlichen Größen und einfacher Konfiguration in der Benachrichtigungszentrale
Messages: Die Suche wird verbessert, der Foto-Picker ebenso, sogar Memojis kann man nun auf dem Mac erstellen und verwalten. Die Neuerungen bezüglich Chats und Gruppen, die wir schon gesehen haben, kommen auch auf dem Mac an.
Karten: Auch hier ist das Design neu, erstmals kann man sich Favoriten erstellen und Guides für begehrte Orte.
Mac Catalyst: Entwickler bekommen mehr Möglichkeiten, den größeren Bildschirm und die Menüs des Mac anzusprechen. Apple selbst hat die Tools benutzt, um Karten und Nachrichten zu entwickeln
Safari: Apple verspricht, seinen Browser schneller und effizienter gemacht zu haben. Ein Privacy Report erklärt dem Nutzer, was die besuchte Seite mit den gesammelten Daten macht. Extensions dürfen nicht beliebig auf allen Seiten aktiv sein, genaue Einstellungen ermöglichen, sie auf bestimmte Seiten zu beschränken. Die Startseite ist nun anpassbar, etwa mit Hintergrundbildern, auch eigenen. Tabs bekommen endlich Icons und zeigen eine Vorschau an, streicht man mit der Maus über sie. Mehr zu Safari hier: Grundlegend erneuert
Eine wesentliche Änderung ergibt sich bei der Nomenklatur, Mac-OS X ist endgültig Geschichte. Denn während das X in Form einer indish-arabischen 10 noch bis 2019 weiterbestand und macOS Catalina die Versionsnummer 10.15 trug, ist nun damit Schluss: macOS 11 Big Sur ist der offizielle Name des Systems.
Apple setzt auf eigenes Silizium
"Ein wahrlich historischer Tag für den Mac" kündigt Tim Cook die wesentliche Neuerung an: Der Mac wechselt auf Apples eigene Prozessoren, die auf Basis der Designs von ARM gestaltet sind. Performance pro Watt ist der entscheidende Punkt, erklärt Chefentwickler (Hardware) John Srouji. Das hatten wir vor 15 Jahren auch schon, aber da war das iPhone noch kaum mehr als ein Prototyp und Apples eigene Chipentwicklung noch in den Kinderschuhen. Doch hat man seither die Leistung der Chips um bis einen Faktor 1000 steigern können, bei stets steigender Effizienz.
Für Apple ist es aber vor allem ein Vorteil, Software und Hardware selbst zu entwickeln und so die Software perfekt an die Hardware anpassen zu können, wie Craig Federighi erklärt. Aber ein wenig überraschend, angesichts des teilweise langwierigen Umstiegs auf Intel vor 15 Jahren: Wichtige Softwarehersteller sind auch schon dabei mit nativen Apps, etwa Microsoft und Adobe. Was Federighi mit Powerpoint, Excel, Photoshop und Final Cut Pro X zeigt, ist in der Tat beeindruckend. Und das Versprechen an Entwickler auch nicht ohne: Im Handumdrehen soll man aus seinen Xcode-Arbeiten native Apps für den ARM-Mac kompilieren können.
Apple gewährleistet aber auch, dass für Intel-Chips gebaute Apps auf den neuen ARM-Maschinen laufen. Dazu legt Apple die Übersetzungsschicht Rosetta in Version 2 auf. Eine Virtualisierung soll auch für andere Systeme konzipierte Apps auf Big Sur laufen lassen. Selbst iPhone- und iPad-Apps lassen sich nun direkt auf dem Mac ausführen, sofern er einen ARM-Chip hat.
Entwickler bekommen auf die neuen Optionen ab heute Zugriff auf ein Developer Transition Kit mit einem ARM-Mac im Gehäuse eines Mac Mini. Für die Öffentlichkeit gibt es noch keine Vorabversion des ARM-Mac, gegen Ende des Jahres sollen aber erste Geräte kommen und der Umstieg in zwei Jahren abgeschlossen sein. Aber es wird bis dahin auch noch einige neue Intel-Macs geben.
Die Developer-Versionen der neuen Systeme sind ab sofort verfügbar, die Public Betas starten im Juli, erstmals auch für watchOS. (Macwelt)