Wer die Apple Watch Series 6 bereits ausgepackt hat, hat vor allem in der Verpackung Änderungen bemerkt: Dort findet sich kein Netzteil mehr, das Ladekabel mit der auffälligen Scheibe ist noch dabei. Hier verzichtet Apple noch auf den Umstieg auf USB-C, das Kabel endet in einem USB-A-Stecker. Auch auf der unteren Seite merkt man eine veränderte Anordnung der LED-Dioden, für die Sauerstoffmessung braucht die Uhr neben den bekannten grün leuchtenden Dioden noch rot leuchtende, dazu aber später mehr.
Ansonsten hat iFixit herausgefunden, dass Apple etwas mehr Batterie und einen größeren Chip eingebaut hat, gleichzeitig ist die Series 6 unmerklich dünner geworden. Diese scheinbare Unmöglichkeit hat der Hersteller dadurch erreicht, dass die Hardware für Force Touch in der neuen Apple Watch fehlt. Fast alles, was per Force Touch erledigt wurde, ist per langen Druck oder watchOS-Oberfläche machbar. Hier haben wir aufgeschrieben, wo Sie die Alternativen zu Force Touch unter watchOS 7 finden. Wir haben uns für das Modell in Mitternachtsblau entschieden, die Farbe ist jedoch so dezent, dass der Unterschied zum Space Grau im Alltag nur beim genauen Hinschauen auffällt. Wer also sofort auffallen will, soll sich wohl für Product Red als Farbe entscheiden.
Akkulaufzeit und Ladezeiten
Apple nimmt und Apple gibt, so lässt sich das Fehlen von Force Touch durchaus verschmerzen, wenn man einen Blick auf Akku wirft. Laut iFixit hat sich die Akkukapazität in der Series 6 etwas erhöht: 1,17 Wh statt 1,129 Wh in der Series 5. Das sind gerade mal drei Prozent mehr Kapazität, wohl auch durch besseres Batteriemanagement erreicht Series 6 in unserem Test etwas unerwartete Ergebnisse.
Wir haben am vergangenen Samstag eine mehrstündige Wanderung aufgezeichnet, mit der Gesamtzeit von 6 Stunden 40 Minuten. Das ist ein Outdoor-Training mit ständiger GPS-Nutzung, Apple gibt auf seiner Batterie-Seite an, eine Ladung der Apple Watch würde dabei für sieben Stunden reichen. Als wir am Nachmittag die Aufzeichnung stoppten, hatten wir aber noch 42 Prozent, etwas weniger als die Hälfte an Akku-Ladung.
Bei der Apple Watch Series 5, die wir beim gleichen Training getragen haben, waren es nur noch 22 Prozent. Auch nicht schlecht, wenn man bedenkt, dass die Uhr über ein Jahr ständig im Einsatz ist. Ach ja, die Aufzeichnung startete gleichzeitig auf beiden Uhren mit der gleichen Ladung von 98 Prozent.
Im Alltag macht sich diese Verbesserung bemerkbar: Unter Normalumständen laden wir die Uhr einmal pro anderthalb Tage auf. Die vorherige Ladung hatte von Sonntag Abend bis Dienstag knapp zwölf Uhr gereicht. Mit der aktuellen Ladung sind wir bei 32 Prozent nach 24 Stunden Nutzung, der Rest wird für die nächsten sechs Stunden locker ausreichen.
Auch bei den Ladezeiten hat Apple wahrscheinlich an mehreren Stellen nachgebessert. Eine Stunde auf der Ladestation ergibt zusätzliche 80 Prozent der Ladung, um von Null auf Hundert zu laden, kommen wir wie Apple auf knapp anderthalb Stunden. Aber auch ein kurzes Auflegen auf die Ladestation kann Großes bewirken, nach zwanzig Minuten kann die neue Watch auf knapp 30 Prozent mehr Ladung kommen. Ein Richtwert von anderthalb Prozent mehr Akku nach einer Lademinute beim Akkustand weniger als 80 Prozent kommt recht gut hin. Offensichtlich setzt Apple bei der Apple Watch bzw. watchOS 7 das gleiche optimierte Batteriemanagement wie beim iPhone ein, wobei die verbleibenden zwanzig Prozent der Akku-Ladung etwas länger brauchen.
Der Prozessor
Laut Angaben von Apple wirkt im Inneren der S6, der auf dem A13 von iPhone 11 basiert. An der Oberfläche merkt man davon nichts, beziehungsweise nur recht wenig: Die Training-App startet einige Bruchteile der Sekunde schneller, Siri denkt bei einem gestellten Timer nicht mehr so lange nach. Die merkbaren Vorteile halten sich in Grenzen.
Wer aber die Liste der Neuerungen in watchOS 5, 6 und vor allem 7 studiert hat, dem fällt auf, dass Apple bei der Apple Watch sehr viele der Gesundheitsfunktionen primär im Hintergrund laufen lässt, sodass der Nutzer nur dann was bemerkt, wenn die Uhr meckert, dass man sich in einer zu lauten Umgebung befindet oder man die Hände nicht lang genug gewaschen hat.
Dass die Last von solchen Hintergrundaufgaben in den letzten Jahren zugenommen hat, sieht man an dem Beispiel der Apple Watch Series 3. Theoretisch unterstützt das Gerät das watchOS 7, sein 32-Bit-Prozessor ist nicht leistungsfähig genug, um die Händewaschenfunktion zu unterstützen, Familien-Sharing zu betreiben oder etwas aufwendigere Zifferblätter wie Memoji-Zifferblatt darzustellen. Der S6 der Apple Watch Series 6 ist vor allem eine Investition in die Zukunft, damit die Uhr auch in den kommenden drei bis vier Jahren alle neuesten Features der künftigen watchOS leisten kann.
Höhenmesser ständig aktiv
Bei unserer Wanderung unterschieden sich die Höhenangaben auf der Series 6 und Series 5 stets um ein paar Meter, bei der Höhe ab 1400 über dem Meeresspiegel macht das nicht mehr viel aus. Die Funktion ist vor allem beim Bergsport oder Ähnlichen ganz nett, im Alltag haben wir sie kaum benutzt.
Sauerstoffmessung: Heilsbringer oder Marketing-Trick?
Die Hauptneuerung bei der Präsentation war die Möglichkeit, das Sauerstoffgehalt im Blut mit der Apple Watch zu messen. Dafür sind auf der unteren Seite der Uhr noch zusätzliche rote LEDs angebracht: Der sauerstoffgesättigte Hämoglobin absorbiert am besten die Wellen im Bereich von 660 Nanometer und 940 Nanometer – eben im roten und infraroten Bereich. Man kann die Blutsauerstoffmessung auf der Apple Watch nach Wunsch des Benutzers starten – mittels der gleichnamigen App, wichtig ist, dabei sich nicht zu bewegen, ansonsten wird die Messung erst gar nicht durchgeführt. Am besten legt man den Arm mit der Uhr auf eine feste unbewegliche Oberfläche und hält 15 Sekunden lang still. Danach zeigt die Uhr eine Prozentzahl mit der Sauerstoffmessung: Der "gesunde" Bereich ist zwischen 95 und 100 Prozent.
Apple hat kurz erwähnt, dass die Watch den Wert auch im Hintergrund nachmessen kann, wenn der Nutzer sich gerade nicht bewegt. Nach knapp einer Woche Nutzung fällt in der Health-App auf, dass die Apple Watch immer zu einer vollen Stunde versucht, eine Messung vorzunehmen. Besonders gut sieht man das, wenn man in die Tagesansicht umschaltet: In jeder Nacht gibt es in den regelmäßigen Abständen sechs Messungen zwischen null und sechs Uhr morgens, danach sind die Daten eher sporadisch, weil man sich deutlich mehr bewegt.
Die Uhr kann übrigens feststellen, wenn man eine Messung in den Bergen vornimmt: Bei unserer Wanderung haben wir den Sauerstoffgehalt in der Höhe von knapp 1600 Meter über dem Meeresspiegel gemessen, die Watch weist darauf hin, dass diese Messung in einer Höhenlage erfasst wurde.
Was können diese Daten aussagen? Momentan gibt es keine Angaben zu der Genauigkeit der neuen Sensoren von Apple. Anders als bei der EKG-Funktion hat Apple die Apple Watch Series 6 nicht einer FDA- oder TÜV-Prüfung unterzogen, der Hersteller vermarktet den neuen Sensor als Wellness-Funktion.
Um welche Wellness es hier gehen soll, ist ebenfalls nicht klar, beim Sport zumindest, einem der naheliegendsten Bereiche, kann man die Messung nicht einsetzen: Bewegungsstörungen gehören zu einer der wichtigsten Fehlerquelle bei allen Pulsoxymetern. Dies bestätigt uns auch Prof. Dr. Tim Conrad vom Fachbereich Mathematik und Informatik an der Freien Universität Berlin: Ohne Angaben zu der Genauigkeit wie Spezifität und Sensitivität und anderen Fehlerquellen lasse sich zu den Ergebnissen nicht viel sagen. Bei ähnlichen Technologien sei eines der Grundprobleme, dass die Mittelwerte der Messungen meistens ganz gut sind, aber einzelne Werte stark von der Realität abweichen. Wir haben bei Apple zu der Genauigkeit der Sauerstoffmessung angefragt, bisher jedoch keine Antwort erhalten.
Eine Apple Watch in ihrer Funktion als Pulsoxymeter unterscheidet sich übrigens von den herkömmlichen Geräten in Klammer-Form, die Oxymeter wie beispielsweise Nonin Onyx II ( mit einer FDA-Zulassung). Diese können die Sättigung des arteriellen Hämoglobins messen, indem sie den Finger oder das Ohrläppchen komplett durchleuchten. Das erweist sich in Studien genauer als die Smartphone-Systeme mit dem Prinzip der reflektierenden Pulsoxymetrie. Allerdings geht es in der Studie primär um Apps, die auf den Kamera-Modulen der Smartphones basieren, die herkömmlichen Smartwatches kommen dort als Testgeräte nicht vor.
Spätestens wahrscheinlich Mitte 2021 werden wir etwas genauer über die Effektivität der Apple Watch in der Bekämpfung der Grippe und vor allem Covid-19 wissen: Die University of Washington startet zusammen mit Apple eine Studie, die zeigen soll, ob Smartwatches oder ähnliche Fitness-Geräte mittels Herzfrequenz- und Sauerstoff-Messungen schon früh Symptome von Influenza und Covid-19 erkennen und so ihre Nutzer zum Test und Selbst-Quarantäne bewegen können.
Evolution statt Revolution
Die Apple Watch Series 6 ist eine inkrementelle Entwicklung seiner Vorgänger der Series 4 und Series 5. Neben dem helleren Display ist besonders der Akku (wahrscheinlich mit dem optimierten Batteriemanagement) ein deutlicher Fortschritt bei der Nutzung. Über die Sauerstoffmessung lässt sich nur dann etwas sagen, wenn man ihre Genauigkeit kennt. Hier bedarf es weit mehr als Stichprobenmessungen, womöglich mit anderen Smartwatches als Referenzgerät, noch dazu an ausschließlich gesunden Probanden. (Macwelt)